NINA STEMME
Das Glück im Beruf
Kammersängerin Nina Stemme hat schon viele Premieren der Wiener Staatsoper veredelt. Nach Fanciulla, Elektra, Kundry ist nun im Jubiläumsjahr die Färberin in „Die Frau ohne Schatten“ in der Thielemann-Produktion an der Reihe.
Mit Nina Stemme sprach Renate Wagner
Frau Kammersängerin, Sie sind in der Neuproduktion der „Frau ohne Schatten“ die Färberin. Von Ihrer Stimmlage her hätten Sie aber auch die Kaiserin singen können? Stand das je zur Diskussion?
Ja, aber viel früher in meiner Karriere, noch in Köln, aber es kam dann nie dazu. Heute bin ich in dem Alter, wo die Färberin besser passt. Und es geht ja bei einer solchen Rolle auch darum, dass man genügend Vorbereitungszeit hat. Ich bin seit zwei Jahren damit beschäftigt – wann immer ich freie Tage hatte, fuhr ich nach Wien, weil es nicht überall gute Korrepetitoren für solche Rollen gibt. Wobei mir dann natürlich jene besonders lieb sind, die schon mit Thielemann gearbeitet haben. Wir bringen ja die Oper ohne einen einzigen Strich – Strauss selbst hat ja schon gestrichen, aus dem Gefühl, es könnte zu lang sein. Diesmal gibt es die vollständige „Frau ohne Schatten“.
Der Text von Hofmannsthal ist ungemein schwierig und verklausuliert. Oft – um die Wahrheit zu sagen – auf Anhieb gar nicht wirklich verständlich. Wie lernt man so etwas?
Ich fange mit der Sprache an, wiederhole die Sätze immer und immer wieder. Aber man muss sich natürlich vorab fragen: Verstehe ich, was ich da sage? Denn vieles bei Hofmannsthal ist mystisch, hat einen doppelten Boden, das liebe ich sehr. Und so muss man dann schrittweise die Figur verstehen. Aber letztendlich lernen sich Text und Musik gleichzeitig – wenn ich einen Satz verstehe, kommt auch der Rhythmus dazu, die Töne, die Sprache, es verschmilzt.
Nun tritt die Figur der Färberin dem Publikum entgegen, als sei sie von einer negativen Aura umgeben – sie ist unzufrieden, sie ist unfreundlich, sie ist verwirrt. Sie macht ihm Vorwürfe, dass sie keine Kinder haben…
Ja, aber sie ist auch sehr intelligent, sie überragt ihren Mann geistig. Es ist wunderbar differenziert, wie sie zu Barak spricht, nämlich schlichter im Vergleich zu dem, was sie sonst sagt. Dabei ist sie eine „Herbeigelaufene“, scheint aus einer Bettlerfamilie zu stammen. Das heißt, es steckt auch ein soziales Problem dahinter. Sie ist auch verletzlich – die Figur hat viele Schichten. Und man darf auch nicht vergessen, dass die Handlung im höheren Sinn ein Märchen ist. Man kann also mit glatter Psychologisierung nicht alles erklären. Wenn niemand die Handlung der „Frau ohne Schatten“ bis in jedes Detail versteht, kann ich nur sagen: Man muss nicht alles verstehen. Das Publikum muss offen sein, entscheidet selbst, was es aus der Geschichte heraus nimmt, und sollte sich letztendlich auch der überwältigenden Musik hingeben. Das Ende der Oper ist jedenfalls offen – aber es ist, wie Kollegin Evelyn Herlitzius sagt, eine Oper über Zukunft. Das war damals, als sie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geschrieben wurde, besonders wichtig. Hofmannsthal und Strauss wollten für die Ungeborenen positiv ins Leben blicken.
Ist die Färberin schwieriger als etwa die Elektra?
O ja! Die Elektra hat große Blöcke, sie hat eigene Szenen, allein ist es auf der Bühne immer einfacher, und die Färberin ist auch schwerer zu singen. Typisch Strauss ist natürlich, dass in beiden Opern drei Frauen wichtige Rollen spielen – hier Kaiserin, Färberin, Amme, dort Elektra, Chrysothemis, Klytämnestra…
Nun sind Sie ja eine der berühmtesten Elektra-Interpretinnen unserer Tage. Wenn Sie jetzt die Färberin neu im Repertoire haben – wie lange braucht man, bis man eine neue Rolle für sich selbst „hat“?
Jede neue Rolle entwickelt sich, es braucht, würde ich sagen, zehn bis fünfzehn Vorstellungen mindestens, um wirklich in eine Figur hineinzukommen. Abgesehen davon, dass jeder neue Dirigent für den Interpreten etwas dazugibt, dass man in jeder neuen Inszenierung etwas erfährt. Ich möchte auch absolut nicht stets ganz gleich sein. Wir bleiben lebendig, nicht zuletzt durch jede neue Partnerkonstellation, und das finde ich sehr schön. Das macht den Beruf besonders spannend.
Sie werden noch im Juni, nur fünf Tage nach der letzten Vorstellung der „Frau ohne Schatten“-Serie in Wien die „Tosca“ singen. Das ist doch ein ziemlicher Sprung?
Nun, wenn ich mich erinnere, dass ich einst mit Puccini und Mozart begonnen habe… Meine erste Tosca war 1996, dann kam sie lange nicht, dann habe ich sie für Wien hervorgeholt. Aber eines stimmt: Fünf Tage zwischen Strauss und Puccini ist wenig, mindestens eine Woche wäre besser. Aber der Kalender ist so voll! Da kommt man auch zu vielem nicht, etwa zu Liedern, denen ich gerne mehr Zeit widmen würde – wenn ich sie hätte.
Wie ist das überhaupt, wenn man – abgesehen von Strauss, wo aber jetzt auch nur Elektra und Färberin übrig geblieben sind – „die“ Wagner-Sängerin von heute ist, die Isolde, Brünnhilde, Kundry überall auf der Welt, und sonst höchstens der hochdramatische Puccini mit Turandot. Wo sind die anderen Rollen geblieben?
Wohl in der Vergangenheit. Die Minnie in der „Fanciulla del West“ habe ich in Stockholm, Wien und Paris gesungen, dann nicht mehr. Viel früher Marschallin und Ariadne, aber wahrscheinlich täte ich mir heute mit der Leichtigkeit in den höheren Lagen schwer. Die Stimme hat sich geändert, die Technik auch, und ich fühle mich sehr wohl in dem Fach, in dem ich jetzt bin. Dabei muss eines klar sein: Dramatische Rollen zu singen, bedeutet nicht, sie zu brüllen, auch nicht, sie durchwegs „laut“ zu singen: Ich versuche eigentlich immer, dort, wo es geht, so leise zu sein wie möglich.
Sie haben in einem Gespräch angedeutet, Sie könnten einmal die Küsterin in „Jenufa“ ins Auge fassen – aber das würde gewissermaßen ein zweites Stadium der Karriere in den so genannten „Altersrollen“ bedeuten?
Jetzt ist für mich eine gute Zeit, das zu singen, was ich singe, die großen Wagner- und Strauss-Rollen, dazu Leonore, Turandot und einige andere. Aber die Stimme verändert sich, irgendwann muss es ein neues Fach geben. Jetzt nütze ich meine Zeit, und ich wünsche mir, dass ich noch lange so glücklich und zufrieden in meinem Beruf sein kann: Die Arbeit ist so hart, dass man dankbar sein muss, wenn man sie genießt und Freude und Erfolg damit hat.
Ist dann der Kreis des Möglichen ausgeschritten?
Nicht unbedingt. Ich habe 2015 in Göteborg in der Uraufführung von „Notorious“ gesungen, eine Oper von dem schwedischen Komponisten Hans Gefors nach dem Hitchcock-Film mit der Schwedin Ingrid Bergman in der Hauptrolle. Es war ein sehr „schwedisches“ Projekt, dem ich mich verpflichtet fühlte, auch, weil ich in Göteborg einst meine Karriere begonnen habe. Ich denke, man hat gehofft, die Oper würde anderswo nachgespielt werden – aber leider herrschte kein Interesse.
Stichwort Schweden. Ihre Heimat hat Sie im Vorjahr zur „Internationalen Schwedin des Jahres“ gekrönt, Sie haben auch den Birgit-Nilsson-Preis erhalten, und es heißt, Birgit Nilsson habe Sie sehr gefördert. Wie ist das zu verstehen?
Ich bin sehr froh, dass ich das Foto gefunden habe, das mich als junges Mädchen mit Birgit zeigt, die ja immerhin 45 Jahre älter war als ich. Und damals, als sie mich umarmte, hatte ich zwar in Göteborg als „Madama Butterfly“ debütiert, aber niemand konnte ahnen, dass ich je in ihr Fach hineinwachsen würde. Sie behielt mich im Auge, wir kommunizierten zu dieser Zeit noch per Fax, und als ich im Jahr 2000 meine erste Senta gesungen hatte, kam damals schon das Angebot für die Isolde in Glyndebourne. Ich hielt das für ausgeschlossen, aber als ich das Birgit schrieb, die immer sehr gut informiert war und meine Karriere genau verfolgte, kam drei Wochen später die Antwort: Ja, das könne sie sich vorstellen… Ich habe dann tatsächlich 2003 meine erste Isolde in Glyndebourne gesungen. Birgit ist 2005 gestorben, ich habe nie versucht, sie zu kopieren oder nachzumachen, aber es war eine Freude und Ehre, dass sie mich immer im Blick hatte.
Frau Stemme, Sie halten Ihr Privatleben sehr bedeckt, man hört nur von drei Kindern, sieht diese Karriere – und fragt sich doch, wie man das unter einen Hut bringen konnte?
Was glauben Sie? Das geht natürlich nur im Einverständnis mit dem Partner. Mein Mann Bengt Gomér ist Bühnenbildner, und er hat – weil meine Karriere ja ein größeres Ablaufdatum hat als seine – wirklich die Hauptlast der Arbeit mit unseren drei Kindern getragen, zwei Töchter und ein Sohn, die heute zwischen 20 und 25 sind. Dazu gab es ein Netzwerk von Verwandten, Freunden, Kindermädchen, und wenn Sie mich fragen, wie jeder es tut, ob meine Kinder sich für Musik interessieren, dann sage ich – sie kommen freiwillig zu meinen Premieren, auch hierher nach Wien.
Frau Kammersängerin, vielen Dank für dieses Gespräch.