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Nikolaus Bachler: SPRACHEN DES MUSIKTHEATERS

01.08.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

bachlerbuch 22

Nikolaus Bachler:
SPRACHEN DES MUSIKTHEATERS
Dialoge mit fünfzehn zeitgenössischen Regisseuren
320 Seiten, Verlag Schirmer / Mosel Literatur, 2021

Als Nikolaus Bachler, damals noch als „Klaus“ Bachler bekannt, seine Direktionsära am Wiener Burgtheater beendete, hinterließ er (zum allgemeinen Erstaunen) kein Buch, das seine Ära dokumentiert hätte, sondern einfach nur eine Menge DVDs mit Aufzeichnungen von Inszenierungen. Wenn Nikolaus Bachler nun (wie die Zeit vergeht!) auf seine 13 Jahre als Intendant der Bayerischen Staatsoper zurück blickt, gibt es ein Buch – aber auch nicht unbedingt das, was man erwartet hätte.

Keine bebilderte Chronik (mit Triumph-Kritiken-Zitaten), sondern einen quasi essayistischen Interview-Band. Bachler hat sich mit 15 Regisseuren, die in seiner Ära tätig waren, gesprächsweise auseinander gesetzt. Sie sind (nur wenige Namen fehlen) die Creme de la Creme des heutigen „Regietheaters“. Und das erweckt natürlich auch in hohem Maße das Interesse jener Opernfreunde, denen bei manchen Produktionen der Genannten die Haare zu Berg gestanden sind…

Unkonventionell ist schon die Einladung, von Albert Ostermaier „gedichtet“, eine poetische, kaum fassbare Träumerei über einen Mann in der Oper. Auch andere Erwartungen werden relativiert: Es geht, wie man an den Gesprächen bald merkt, nicht ausschließlich ums Inszenieren. 13 Männer und 2 Frauen, alle mit Ausnahme eines Choreographen in der Regie tätig (viele sowohl im Theater wie auch in der Oper unterwegs), erzählen auch sehr von sich, manchmal so persönlich, dass sie ihre Jugend ausführlich schildern, ihre Ängste, ihre Träume.

Man erfährt von jenen, die in Polen (Krzysztof Warlikowski, *1962 – „Hau ab aus dem verdammten Polen!“), Ungarn (Árpád Schilling, *1974) oder Slowenien (Mateja Koležnik, *1962) geboren wurden, wie sie ihre Heimatländer empfunden haben (und heute beurteilen).

Die DDR spielt selbstverständlich bei vielen der deutschen Regisseure eine große Rolle – interessant, dass nicht einer von ihnen von den Härten des Regimes spricht, alle scheinen sich da fast gemütlich eingerichtet zu haben, als wäre es eine Operetten-Diktatur gewesen, wie Leander Haussmann sie uns in einigen Filmen so amüsant gezeigt hat…

Viel Persönliches erfährt man darüber hinaus, etwa die Resignation, die aus Martin Kusej (*1961) spricht, der sich altern fühlt und der sich der Gefahr ausgesetzt, sieht, ein „alter weißer Mann“ und damit verächtlich zu sein. Da kann er sich nur auf seine Minoritäten-Herkunft als Kärntner Slowene zurück ziehen, um etwas an Unangreifbarkeit zu erreichen…

Interessanterweise erfährt man auch vieles von „hinter den Kulissen“, etwa gleich beim ersten Gesprächspartner, Hans Neuenfels (*1941). Nikolaus Bachler, der das Wort „Regietheater“ an sich ablehnt, verwendet es in seinem ersten Satz, weil er meint, dass mit Neuenfels’ „Aida“ das begonnen habe, was man unter Regietheater versteht. Neuenfels erzählt, dass die Initiative damals von Michael Gielen ausging, der Intendant in Frankfurt war und „Interpretation einforderte“: Der Triumphmarsch in „Aida“ ging ihm ideologisch dermaßen gegen den Strich, dass er sogar erwog, ihn zu streichen (!!!). Die Lösung bestand darin zu zeigen, wie die mitgeführten Gefangenen verhöhnt wurden – und „Aida als Putzfrau“ machte deren Stellung am ägyptischen Hof klar… Seit damals galt, dass eine Interpretation „Haltung“ zeigen müsse. (Und seit damals gilt, dass die Zuschauer als uneinsichtige Tröpfe betrachtet werden, die man ununterbrochen belehren muss…)

Eine entscheidende Frage für jede Operninszenierung ist der Ausgangspunkt – von der Musik aus, wozu sich viele bekennen, vom Text aus (was sogar ein Dirigent wie Riccardo Muti sagt)? Dass Oper schwieriger ist als Theater, wo man mit der Sprache machen kann, was man will, und jede Szene beliebig dehnen, anreichern oder raffen, ist klar – alle Regisseure wissen, dass (noch) die Musik eisern die Zeit vorgibt, innerhalb deren man etwas erzählen muss…

Man schreitet mit Bachler von Persönlichkeit zu Persönlichkeit – Romeo Castellucci (*1960), wobei mancher Wagnerianer in Erinnerung an dessen Münchner „Tannhäuser“ Gänsehaut bekommen mag und dessen Erläuterungen etwas diffus klingen. Frank Castorf (*1951), der einfach alles locker sieht („Man darf die Mächtigen nicht zu ernst nehmen“). Andreas Kriegenburg (*1963) charakterisiert den Kollegen Castorf so: „So wie ich ihn kenne, hat seine Haltung eher mit einer jungenhaften Lust an der Provokation zu tun.“ Kriegenburg stellt Überlegungen zum Bühnenbild an und hat mit dem Tangotanzen noch ein anderes Leben. Desgleichen Andreas Dresen (*1963), vordringlich Filmregisseur, der dennoch an die Zukunft der Oper glaubt, einen Teil seiner Kraft aber auch darauf verwendet, Richter am Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg zu sein. Amélie Niermeyer (* 1965) tut Nikolaus Bachler den Gefallen, seine Verdienste zu definieren: „Ihre Intendanz in München hat einen Fokus auf Regie gelegt sowie auf unterschiedliche Handschriften und Herangehensweisen gesetzt.“ Sie tut sich in der Welt der Oper leichter als in der des Theaters, weil sie Opernfreunde offener für Regieideen findet. David Bösch (* 1978) weiß viel über die Unterschiede von Theater und Oper (die schon erwähnte Zeitvorgabe durch die Musik), Axel Ranisch (*1983) ist in allen Medien tätig, nennt vor allem den Film als seine zentrale Welt, liebt aber die Oper: „Ich brauche die Sinnlichkeit und den Kitsch.“ Der flämisch-nordafrikanische Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui (*1976) bringt die Stimme des Tanztheaters ein. Und schließlich noch Dmitri Tcherniakov (*1970), der sich so viele Gedanken macht – und dann einen „Holländer“ ganz ohne Meer inszeniert, obwohl Wagner es doch mit komponiert hat…

Eines der interessantesten Gespräche führte Nikolaus Bachler mit Barrie Kosky (* 1967), nicht nur, weil dieser so witzig ist, sondern auch, weil er immer „down to earth“ bleibt und sich nie in den Schlingen hochgestochener Überlegungen und Interpretationen verfängt. Kosky, Nachfahre von polnischen Juden, die in der Entertainment-Branche tätig waren, und einer jüdisch-ungarischen Großmutter, die ihm deutsche Hochkultur predigte. So kam er von Australien über Wien, wo er sich (wir erinnern uns an seine Zeit am Schauspielhaus) gar nicht wohl fühlte, nach Berlin. Ein Weg, den so viele gegangen sind – die Stadt Berlin mit ihrer geistigen Lebendigkeit als Ziel der Wünsche von Theaterschaffenden.

Das immer wieder (in auch anderen Gesprächen) angesprochene Thema, dass man es im Musiktheater zu fast hundert Prozent mit „alten“ Werken zu tun habe, betraf auch Kosky in seiner Arbeit als Direktor der Komischen Oper. Seine beiden großen Enttäuschungen nach zehn Jahren Intendanz hier – dass er keinen Weg gefunden hat, die Operette für das 21. Jahrhundert neu zu erfinden, und dass die Uraufführungen, die er beauftragt hat, nicht erfolgreich waren… (Wovon viele Intendanten ein Lied singen können.)

Die Frage bleibt offen, wie oft sich die Interpretations-Überlegungen, die man in vielen der Gesprächen liest, erkennbar umsetzen und dem Zuschauer die von den Regisseuren gewünschten Ergebnisse wirklich klar machen – denn daran hapert es immer wieder. Ideen, die Papier bleiben und auf der Bühne in den Augen der Betrachter wie totale Willkür erscheinen…

Last not least, und das begleitet das ganze Buch, erfährt man sehr viel über Nikolaus Bachler selbst, persönliche Erinnerungen, durchformulierte Überzeugungen. Gewissermaßen statt einer Biographie? Vielleicht kommt sie noch – er hätte ja aus seinen verschiedenen hohen Funktionen einiges zu erzählen.

Am Ende stehen unbefriedigende Kurzbiographien der Interviewten, nicht einmal mit dezidierten Hinweisen darauf, was sie in München gearbeitet haben. Dem Intendanten geht es also nicht so sehr um seine Ära, als um das breite Feld der gegenwärtigen Meinungen zur Opernregie und um deren Persönlichkeiten. Ehrenwert.

Schade, dass er (wissentlich willentlich) auf einen Bildband mit Besetzungen etc. verzichtet, in welchem man Erinnerungen an die Münchner Ära Bachler hätte optisch auffrischen können. Für manchen Besucher hätte das vielleicht auch zusätzlich Sinn gemacht.

Nikolaus Bachler selbst geht mit 70 noch nicht in Pension, sondern zieht, wie bekannt, beruflich nach Salzburg zu den Osterfestspielen weiter, heiß umstritten in dieser Funktion von Anfang an, als er seine dortige Tätigkeit aufnahm. Aber das ist er ja gewöhnt.

Renate Wagner


Z  I  T  A  T  E

Hans Neuenfels:
Der Auftrag von Kunst ist sicherlich, dass sie sich mit den elementaren und zentralen Themen unseres Lebens beschäftigt. Zumindest das ist klar.

Andreas Kriegenburg:
Ich muss gestehen, dass ich sozial gestört bin – wie wahrscheinlich die meisten meiner Kollegen schon von Kindheit an.

Árpád Schilling:
Wir müssen uns mehr Gedanken darüber machen, bevor wir zum Beispiel People of Color oder Menschen mit Behinderung auf die Bühne stellen. Was ich sagen will, ist, dass wir uns gut überlegen müssen, ob wir wirklich mit diesen Menschen arbeiten, oder sie nur dafür benutzen, damit wir uns besser fühlen.

Andreas Dresen:
Wenn ich arbeite, habe ich eine kommunikative Absicht. Ich fühle mich verantwortlich für den Zuschauer. Ich möchte dem Zuschauer eine Geschichte erzählen.

Martin Kusej:
Das Älterwerden ist etwas, das mich beschäftigt oder wobei ich Zweifel habe, wie lange meine Arbeit noch Bestand haben wird, besonders gegenüber einer aktuellen Theaterpraxis, eine Auffassung bzw. Ideologie, die massiv von Identitätspolitik und ähnlichen Bereichen der Political Correctness dominiert wird. Hier ist mein Selbstvertrauen erschüttert, weil ich sehe, was das für eine Kraft entwickelt, und ich nicht weiß, wie ich mich dagegen wehren kann.

Martin Kusej:
Ich bin immer noch der Überzeugung, dass vor allem filmische Hilfsmittel in seltenen Fällen wirklich bereichernd sind.

Barrie Kosky:
Regietheater, das vom Konzept geleitet wird, ist für mich ein Widerspruch zum Musiktheater. Ich muss hier ein bisschen vorsichtig sein, aber das Problem ist: Opera attracts Dilettanten like flys are attracted to shit. Es gibt heute so viel Oper – und so wenige Regisseure. Du kannst das beste Konzept der Welt haben, aber ohne handwerkliche Fähigkeiten nützt dir das überhaupt nichts. (….) Das deutsche Phänomen des Regietheaters ging quasi auf Tournee, und zwar in schlechten Fassungen. Das Regietheaer, das sophisticated deutsche Modell, wurde zur Parodie seiner selbst.

Dimitri Tcherniakov:
Ehrlich gesagt habe ich sogar das Gefühl, dass selbst mein eigener Zugang bereits veraltet ist: nach dem Sinn eines Werkes zu suchen und dieses durch eine zeitgenössische Brille und Weltanschauung zu betrachten. Ich habe das Gefühl, als wäre die Interpretation selbst etwas, was endlich ist und auch bald enden wird.

UND HIER KOCHT DER CHEF…

Nikolaus Bachler:
Es gibt „eine gewissermaßen international gültige Sprache für moderne Opernregie“.

Nikolaus Bachler:
Ich habe immer gesagt: Mein Beruf ist es, Brücken zu bauen. Brücken von den Künstlern ins Publikum, von der Institution in die Politik.

Nikolaus Bachler:
In Deutschland kursiert immer wieder der Begriff der „Werktreue“. (…) Der normale Theaterbesucher und viele Theaterschaffende meinen damit aber nicht die Treue zum Werk, sondern die Treue zu einer Aufführungstradition von vor 20 oder 30 Jahren.

Nikolaus Bachler:
„Wunderbar gesungen, aber schreckliche Inszenierung“ ist einer der blödesten Sätze.

Nikolaus Bachler:
Als ich ein junger Schauspieler war, da war für uns alle klar: Die pure Humanität, das ist Peter Brook. Seine Bücher, seine Inszenierungen. Und dann war es so schwierig, mit ihm zu arbeiten!

Nikolaus Bachler:
Es ist ein großer Irrtum, wenn man sagt, ich möchte das machen, wie es bei Mozart war. Dann müsste ich die Menschen austauschen.

Nikolaus Bachler:
Hans Neuenfels hat einen klugen Satz gesagt: Ein Auto statt einer Kutsche auf der Bühne macht noch kein zeitgenössisches Theater.

Nikolaus Bachler:
Ich glaube nur eines: Nämlich, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis in die Werke eingegriffen wird, Das wird einer der nächsten Schritte sein. (….) Ich würde so gern noch eine Zeit erleben, in der wir in die Oper wirklich eingreifen. Stellen Sie sich die Reaktionen vor, wenn Don Carlos gespielt und etwas anderes hineingesetzt wird. Unglaublich wäre das.

Nikolaus Bachler:
Ich habe nie einen Künstler an Mut gehindert. Aber mir sind die meisten Künstler zu wenig mutig. Trotzdem, wir machen weiter.

 

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