NEW YORK – WIEN / Met Opera live im Kino / Village Cinema:
LES CONTES D’HOFFMANN von Jacques Offenbach
5. Oktober 2024
In Hoffmanns Welt
Ohne Vergleich geht es nicht, nirgends, nicht im Leben und nicht in der Kunst. Vergleiche setzen Maßstäbe und bringen Erkenntnisse. Wenn man bei den letzten Salzburger Festspielen erlebt hat, wie man Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ definitiv nicht machen soll, so zeigt die Metropolitan Opera in New York, wie man es sehr gut machen kann. Und das in einer Inszenierung, die immerhin 15 Jahre alt ist, sich aber ohne Verluste gehalten hat.
Dabei war das Konzept von Regisseur Bartlett Sher mit Hilfe von Bühnenbildner Michael Yeargan und Kostümbildnerin Catherine Zuber denkbar einfach: eine so „phantastische“ Oper auch phantastisch zu machen. Ein Dichter, in dessen Erinnerungen alle Elemente seines Lebens immer wieder zusammen und durcheinander laufen. Der durch verschiedene Welten geschritten ist – eine Art Prater- und Zirkuszauber bei Olympia, ein leeres, kaltes, sich immer mehr verfinsternde Ambiente bei Antonia, schließlich Venedig in Kostümen des 18. Jahrhunderts, aber alles geht fließend von Auerbachs Keller aus und wieder zurück, wo Hoffmann zwischen Rausch und Traum schwebt.
Dazu kommen immer wieder optisch witzige Details – die tanzenden „Augen“, die fünffache Olympia in Gestalt von Tänzerinnen, die auch einmal durch die Luft fliegen -, aber der Grundton der Inszenierung ist düster und dämonisch. Und – sie erzählt das Stück. So, wie es ist. Man befindet sich in Hoffmanns Welt. Kenntlich für das Publikum und für die Sänger, die sich darin bewegen. Was will man mehr.
Man will einen idealen Hoffmann, und man bekam ihn. Benjamin Bernheim ist in Salzburg enttäuschend unter den Erwartungen geblieben, die man in ihn setzt – aber wie auch nicht, wenn man mit Pudelmütze einen albernen Filmregisseur spielen muss? Wie geht das mit Hoffmann zusammen, wie soll man bei solcher Vorgabe eine glaubwürdige Figur singen und spielen? An der Met gelang es mühelos, erregte Bernheim Entzücken (man kann es nicht mit weniger Enthusiasmus sagen) mit seiner wunderschönen Stimme und seiner makellosen Technik. Diese hat er übrigens nicht „herausgehängt“ wie bei seinem Romeo, sondern einen leidenschaftlichen, anteilnehmenden Hoffmann gesungen, lyrische Pracht und absolut ausreichende dramatische Kraft. Das macht ihn derzeit in seinem Fach keiner nach.
Erin Morley hat schon vor neun Jahren, als man diesen „Hoffmann“ (damals mit einem vorzüglichen Vittorio Grigolo in der Titelrolle) aus der Met sah, die Olympia gesungen – und hat in dieser Zeit nichts von ihrer Brillanz und dem Humor eingebüßt, mit dem sie diese Rolle bietet, Immer noch einen Triller eingelegt, der Spitzenton noch höher, wenn man meinte, mehr ginge schon nicht mehr, und dabei bekommt diese Puppe sogar eine Art von seltsamem Leben…
Im vom Bühnenbild her unspektakulärsten Akt, dem zweiten, schien sich Pretty Yende vorgenommen zu haben, die intensivste Antonia aller Zeiten zu sein. Sie sang sich leidend geradezu die Seele aus dem Leib, während Clémentine Margaine als Giulietta so kühl (und hier eigentlich mehr unfreundlich als verführerisch) gab, wie es die „böse“ Rolle verlangt.
Die Russin Vasilisa Berzhanskaya, die in der Staatsopern-Norma im Februar die Adalgisa singen wird, debutierte an der Met als Muse / Nicklausse und ließ gleich zu Beginn einen hochdramatischen, wirklich dunklen Mezzo hören. Das war für die Rolle, die eine leichtere Stimme erfordert, nicht eben ideal, auch überzeugt sie in höheren Regionen weniger als in der Tiefe, aber sie meisterte die von der Regie stark aufgewertete Figur mit Verve. Christian Van Horn ist mit seiner hart-scharfen Stimme und in seiner Erscheinung zwar kein nobler Bösewicht (wie es der damals schon etwas stimmschwache Thomas Hampson in der Übertragung vor neun Jahren war), aber ein durchaus überzeugender, der geradezu böse Lust versprüht..
Dirigent Marco Armiliato feierte an diesem Abend sein 500. Auftreten an der Met – was bedeutet, dass er schon öfter hier dirigiert hat als Toscanini. Man kennt und liebt ihn aus Wien, man weiß, dass er „alles“ kann (d.h., Wagner hat man noch keinen von ihm gehört), er ist ein „sauberer“ Dirigent, dem es um das Werk geht und um keine Mätzchen, Offenbach strahlt, reißt mit, schmalzt zur Not auch (im Antonia-Akt). Alles, wie es sich gehört. Das komplettierte den Abend, für den das Wiener Publikum wieder einmal vollzählig im Kino erschienen ist (was ja zuletzt nicht bei allen Met-Aufführungen der Fall ist).
Renate Wagner