NEW YORK – WIEN / Met Opera live im Kino / Village Cinema:
GROUNDED von Jeanine Tesori
19. Oktober 2024
Was Oper eben doch nicht kann
Wahrscheinlich sollte man sich zuerst einmal fragen, ob es nicht Themen gibt, die sich der „Veroperung“ entziehen. Was die Prosa kann, wohl auch das Theater, sicherlich der Film, kann auf der Opernbühne eklatant fehl am Platz sein. Etwa moralische Kriegsreflexionen und zerrissene Soldatenseelen, wie die Aufführung von Jeanine Tesoris „Grounded“ an der Metropolitan Opera in New York zeigte. Dergleichen in gefälligen Orchesterfluten zu versenken, ist bar jeder Überzeugungskraft.
Im Anfang war ein Ein-Personen-Theaterstück von George Brent aus dem Jahre 2012, in dem er sich dafür interessierte, was in jenen Soldaten vorgeht, die hinter Bildschirmen sitzen und mit ihren Joysticks Drohnen lossenden, als handle es sich um ein Videospiel – aber dabei werden wirkliche, echte Menschen getötet.
Die Metropolitan Opera des überkorrekten Peter Gelb („Seht her, welch aktuelle Themen wir aufgreifen! Seht her, wir beauftragen jüdische Frauen mit der Komposition!“) bestellte dazu eine Oper, und George Brent ließ sich darauf ein, die Geschichte um die Pilotin Jess zu einer Riesenstory aufzublasen (die nichtsdestoweniger weidlich langweilig ist). Da gibt es furchtbar viel Privatleben und furchtbar viele Seelenkrämpfe der Hauptfigur. Man begegnet ihr zuerst, als sie offenbar durch die Lüfte fliegt (natürlich steht sie dabei auf der Bühne) und das „Blue“ des Himmels arios bejubelt. Dann lässt sie sich in einer Soldatenbar von einem hereingeschneiten Rancher „anmachen“, wie das schöne neudeutsche Wort heißt, und prompt ist sie schwanger. Als sie bei Freund Eric vor der Tür steht, schließt er sie in die Arme, schon hüpft ein kleines Mädchen herein, und wenn Mama sich richtigerweise gesagt hätte, dass Militär und Familie sich nicht vertragen, hätten wir all die Probleme und auch die mühsame Oper nicht.
Aber als sie nach fünf Jahren in den Job zurückkehrt, ist Krieg mit dem Irak und man braucht sie bei der „sitzenden Truppe“, die die Drohnen lenkt – womit die leidenschaftliche Fliegerin „grounded“, nämlich am Boden gelandet ist. Nun muss man sich den Rest der Handlung mit ihren Gewissensbissen abgeben (wobei man sich fragt, ob sie früher, als aktive Kampfpilotin, nicht über ihren Job nachgedacht hat?) Das unendlich kitschige Familienleben mit Kleinkind (dem man ein rosarotes Kleidchen kaufen muss…) ist tragisch beeinträchtigt, sie erkennt, dass sie nun „der Krieg“ ist, und erst am Ende, als sie wegen einer (absichtlich?) mißglückten Aktion offenbar im Gefängnis landet, fühlt sie sich frei, weil sie nicht mehr töten muss…
Wenn man nun ernsthaft versucht hätte, daraus eine Oper für heute zu machen, müsste diese „weh tun“. Nicht so bei Komponistin Jeanine Tesori, die bislang mit Musicals, Filmmusiken und einer Kinderoper erfolgreich war und entsprechend gefällige Musik komponiert. Das tat sie auch für „Grounded!, wobei Arioses, Chorisches und Orchester letztendlich zwar angenehm, aber gleich einförmig klingen.
Die Met setzte nun alles daran, dieses tragische Musical, das sich als Oper ausgibt und von seiner Kriegs- und Drohnen-Botschaft natürlich nichts Ernsthaftes vermitteln kann, wenigstens in eine Show zu verwandeln, die das Publikum anlockt. Wobei Regisseur Michael Mayer, mit Hilfe von Bühnenbildnerin Mimi Lien digital viel Spektakuläres schuf, von Zeit zu Zeit belebt die Optik den Abend, wenn es nicht allzu sehr um die Personen geht. Dabei ist dann der Soldatenchor natürlich ein Problem. Den verträgt man (sieht man von Verdis „Macht des Schicksals“ ab) ja auf der Bühne nur in humoristisch-parodistischer Form (siehe „Regimentstochter“ oder „Liebestrank“). Hier ist er als ernsthafter Hintergrund gemeint, muss aber choreographisch doch immer wieder wie eine Boygroup agieren, was letztendlich vor allem peinlich ist.
Die Komponistin hat die Rolle der Jess für die heute 30jährige kanadische Mezzosopranistin Emily D’Angelo geschrieben, die aus dem „Young Artists“-Programm der Met hervorgegangen ist und von der man noch nicht viel gehört hat. Das wird sich ändern – eine attraktive Erscheinung, die gut in die Uniform passt, und eine starke, schier unermüdliche Stimme, die hier permanent aggressiv gefordert ist. Und darstellerisch leidet sie, was das Zeug hält. Warum die Figur der Jess sich gelegentlich verdoppelt (Kirsten MacKinnon), wird nicht wirklich klar.
Für Liebe, Anteilnahme und jede Menge Familienkitsch mit Banalitäten ist der sympathische Tenor Ben Bliss zuständig. Im übrigen gibt es nur zwei Solopartien, Greer Grimsley als Commander, der Jess die Entscheidungen ihrer Vorgesetzten mitteilt, und Kyle Miller als „Sensor“, der neben Jess an den Joysticks sitzt und sich, als herumlungernder Nerd, kein Gewissen daraus macht, was er tut.
Yannick Nézet-Séguin versucht sich schon seit einiger Zeit als Jimmy-Levine-Ersatz (den es nicht wirklich geben kann), indem er einfach alles dirigiert. Im Pausengespräch (diesmal mit der nicht sehr souveränen Nadine Serra) erfüllt er seine Aufgabe, die Oper grandios zu finden und zu hoffen, man könne die Komponistin zu einer weiteren Oper überreden. Vielleicht sollte sie mit ihren keinesfalls anzuzweifelnden Fähigkeiten aber doch besser am Broadway bleiben.
Direktor Peter Gelb war, wie kolportiert wurde, sehr ungehalten darüber, dass viele Kritiken mehr als negativ ausfielen („Bestenfalls nicht bemerkenswert, schlechtestenfalls unerträglich kitschig“). Dazu kann man ihm nur sagen, dass „gut gemeint“ noch nie zwingend ein „gutes“ Ergebnis nach sich gezogen hat.
Renate Wagner