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NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino: TURANDOT

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Foto: metopera

NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino: 
TURANDOT von Giacomo Puccini 
7.
Mai 2022

Es war Arthur Schnitzler, der gesagt hat, man solle nichts voraus sagen, nicht für den nächsten Tag, nichts für die nächste Stunde. (Bestes Beispiel zuletzt: Willi Resetarits, abends auf der Bühne, am nächsten Tag tot.) Mitte März schien es noch eine sichere Bank, angesichts einer schütter besetzten „Ariadne auf Naxos“ voraus zu sagen, dass die „Turandot“ die wohl einzig ausverkaufte Vorstellung der „Met im Kino-Serie sein würde, schließlich hatte man Anna Netrebko hier noch nicht in dieser Rolle gesehen. Wer konnte damals ahnen, dass Putins Krieg auch ihre Karriere auf den Kopf stellen würde? (Keine Angst  um sie, sie ist schon dabei, sich wieder zu errappeln.) 

Met-Direktor Peter Gelb hat jedenfalls in doppelter „Korrektheit“ nicht nur die Russin in hohem Bogen hinaus geschmissen, sondern auch gleich eine Ukrainerin als Ersatz engagiert. In einem Gespräch während der Übertragung gab er zu seiner Ambition, sich für die Ukraine einzusetzen, noch eine kleine Seiteninformation: seine kanadische Dirigentinnen-Gattin Keri-Lynn Wilson hat auch ukrainische Vorfahren. Das Politische ist hiermit auch persönlich…

 *

Ohne Anna Netrebko war die Met im Kino zwar besser besucht als bei Strauss (und auch bei Don Carlos), aber beileibe nicht ausverkauft – man hätte sich nicht um Karten raufen müssen. Warum auch, da die Besetzung für den Wiener Geschmack ja großteils durchaus nicht Weltspitze war. Immerhin erlebte man (wer weiß, wie oft noch?) eine lebende Legende. Die „Turandot“ von Franco Zeffirelli (Met-Premiere 1987, also stolze 35 Jahre alt) ist ebenso (verdient) ein Klassiker wie seine „Bohéme“. Dieses Meisterstück des Regiehandwerks muss man sich wirklich geben (und die große Leinwand ermöglicht weit mehr Detailbeobachtung, als wenn man irgendwo im Parkett oder auf der Galerie versinkt). Im übrigen schaffte es Zeffirelli, der – wie erzählt wurde – alles ausnützte, was die Met an Technik zu bieten hat, aus einer Oper mit drei durchaus nicht besonders langen Akten einen Marathon von dreieinhalb Stunden zu machen. Allein der Umbau von Akt 1 zu Akt 2 benötigt eine volle Dreiviertelstunde, zusammen füllen die Dekorationsteile 25 Container. Solcherart ist es auch ein Vergnügen, in der Pause der unglaublichen Logistik von Auf- und Umbau zuzusehen.

Dabei ist diese „Turandot“ bei aller Opulenz der Ausstattung  durchaus nicht nur eine Show. Der erste Akt etwa bringt die Bedrohlichkeit des Geschehens ein (wo sich das Volk etwa lustvoll darauf freut, dass wieder ein Prinz den Kopf verliert, Hinrichtungen als Belustigung). Dass der zweite Akt mit seinem Prunk überwältigt („Ah!“ und Szenenapplaus für das Bühnenbild, was in Wien nur gelegentlich die Schenk’sche „Flederkaus“ bekommt)., ist voll gerechtfertigt, schließlich handelt es sich bei dem Auftritt von Kaiser und Prinzessin um ein Zeremoniell. Man kann nur bewundern, wie ausgefeilt die Massen hier agieren, das ist eines Kaisers von China würdig, und wem dabei Hollywood einfällt… so sei es.

Brillant auch, wie Zeffirelli die drei Minister geführt hat, gleicherweise als komische Figuren aus dem chinesischen Theater wie durchaus auch als politische Akteure. (Und man weiß aus mancher Wiener Aufführung, wie langweilig diese Szenen werden können, wenn nicht besondere Sänger sie retten – denn so viel wie Zeffirelli ist bei uns noch niemandem zu den drei Herren eingefallen.) Auch die Psychologie der Figuren stimmt, und so paralysiert, wie dieser Calaf von Turandot ist, versteht man sogar, dass er sie wegen Lius Tod nicht umbringt, sondern dennoch in die Arme schließt…

Kurz, zu einer so perfekt ausgewogenen Inszenierung passt, was Ferruccio Furlanetto, der seit 42 (!) Jahren an der Met singt und bessere Zeiten erlebt hat, zu sagen hatte: Inszenierungen müssten nicht traditionell sein, aber sie sollten Respekt haben, vor der Musik und vor der Handlung. Besser kann man es nicht ausdrücken.

Am Pult des Orchesters der Metropolitan Opera (das der Dirigent als das beste Opernorchester der Welt bezeichnete – sollen wir nun beleidigt sein?) stand der uns wohl vertraute Marco Armiliato, der Mann, bei dem im italienischen Repertoire nichts schief gehen kann. In einem hübschen Pausenbeitrag schilderte er, am Klavier sitzend, die Gänsehaut-Wirkung, die diese Musik auf ihn immer wieder ausübt. Nun, das konnte er in vollem Ausmaß vermitteln, und dass er fast ausschließlich im Fortissimo agieren ließ, steht wohl auch in der Partitur. Interessant übrigens, wie wieder auffiel, dass es Franco Alfano in seiner nachkomponierten Endfassung einfach nicht gelungen ist, den Puccini-„Sound“ zu imitieren, es klingt alles plötzlich ganz anders und absolut nicht inspiriert. Aber ein Unterschied zwischen Genies und den anderen muss ja wohl sein… Und fürs absolute Finale hat Alfano ja dann wieder auf Puccini-Original zurück gegriffen.

Dass Liudmyla Monastyrska Ukrainerin ist und in einem Pausenbeitrag (mit eingeblendeten Familienfotos) berichtet, wie sehr sie sich um ihre Familie sorgt, berührt natürlich, kann aber nicht dazu verführen, ihre Leistung hoch zu jubeln. Sie hat, wie sie selbst sagte, die Rolle der Turandot schon seit Jahren zurück gelegt (in Wien hörte man sie zuletzt 2018 in einer anderen Mörderpartie, als Abigail), aber als die Met rief, hat sie natürlich nicht nein gesagt. Sie durchschreitet die Rolle weitgehend statuarisch (was von der Figur her nicht unbedingt falsch ist, wenngleich ein paar darstellerische Nuancen wünschenswert wären) und stimmlich mit doch hörbarer Anstrengung – wobei man sich als Zuhörer ohnedies fragt, wie diese mörderisch hohe Tessitura durchzuhalten ist. Aber man hat schon in jeder Hinsicht eindrucksvollere Turandots gehört.

Und eindrucksvoller Calafs als den Südkoreaner Yonghoon Lee allemale. Gewiß, er singt schon lange an ersten Häusern, aber auch nur, weil das Reservoire an Tenören für das italienische Fach enden wollend ist. Sein eher dunkel trimbrierter, ein wenig nasaler Tenor hat keinen besonderen Reiz, und wenn er die Spitzentöne auch trifft, so erzwingt er jeden einzelnen mit solcher Gewalt, dass das Zuhören ein bescheidenes Vergnügen ist. Darstellerisch gab er sich mit dem Prinzen Mühe, bekam auch – weil er den Schlußton traf – einigen Beifall für „Nessun dorma“, aber ins goldene Buch der Calafs wird man ihn nicht einschreiben.

Am besten kam bei den New Yorker Kritikern Ermonela Jaho als Liu weg, aber eine Idealbesetzung war die Albanerin, die zuletzt in Wien als Adriana Lecouvreur nicht sonderlich begeisterte (im Gegensatz zu ihrer phantastischen Londoner Traviata), wirklich nicht. Abgesehen davon, dass sie – brutal gesprochen – für das kleine, zarte Sklavenmädchen, das man als Kontrast zu  Turandot braucht, schon zu alt ist, ist auch die Stimme zu dramatisch und scharf, um in dieser Rolle zu reüssieren. Allerdings interpretiert Ermonela Jaho ihre Rollen mit so viel spürbarem, echtem Engagement (dem so genannten „Herzblut“), dass sie Ersatz für fehlende Jugend und stimmliche Zartheit bot.

Ferruccio Furlanetto spielte einen eindrucksvollen Timur, Carlo Bosi war ein stimmlich erstaunlich frischer Kaiser Altoum (während die Rolle in Wien ja immer mit abgestorbenen Tenören besetzt wird), und Alexey Lavrov (Ping). Tony Stevenson (Pang) und Eric Ferring (Pong) gaben ein exzellentes, perfekt auf einander abgestimmtes Trio ab.

Am Ende jubelten die New Yorker, und das Wiener Publikum im Kino hatte eine legendäre Produktion mit einer braven Repertoire-Besetzung ohne wahren Begeisterungsfaktor  gesehen.

Renate Wagner

 

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