Fotos: MetOpera
NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino / Village Cinema Wien Mitte;
TOSCA von Giacomo Puccini
23. November 2024
Große Liebende
statt großer Diva
Auch die Metropolitan Opera in New York, die ein besonders großes Haus ist, muss ihre Sitze verkaufen – und das gelingt am besten, wenn man bekannte Werke mit Stars bringt. Und gerade die Norwegerin Lise Davidsen hat an der Met von der Strauss’schen Ariadne und Marschallin bis zur Verdi’schen „Macht“-Leonora ihre Triumphe gefeiert. Nun ist sie einer der großen Namen geworden, auf die Direktor Peter Gelb setzt. Sie wird übrigens von der „Tosca“ an der Met gleich nach Wien weiter ziehen und die Rolle an der Staatsoper ab 7, Dezember (mit demselben Partner wie in New York, Freddie De Tommaso) singen.
Die Met-Tosca ist zwar nicht so schön wie unsere in Wien, aber eine „klassische“ Aufführung, schließlich stammt sie von David McVicar (Ausstattung: John Macfarlane), der nie Unsinn machen wird – wo eine Kirche noch eine Kirche ist, ein Arbeitszimmer genau das (und kein Folterkeller), ein Hinrichtungsplatz desgleichen. Innerhalb eines solchen Rahmens kann dann, da es ja langfristig für das Repertoire der reisenden Stars gedacht ist, jeder Sänger, der in diese Inszenierung hinein springt, sein Rollenbild entfalten, ohne dass er von einer Inszenierung vergewaltigt würde.
Wie anders man eine Rolle sehen kann, zeigt nun Lise Davidsen, die man ihrer übergroßen Stimme wegen immer am liebsten bei Wagner verorten möchte. (Da hat sie außer Elisabeth und Sieglinde an großen Rollen noch wenig im Repertoie, aber das wird schon kommen). Aber die Tosca ist schließlich eine hochdramatische Partie, und da gibt sie auch gewaltig Stimme (leider schon mit geringen Höhenschärfen) und frappiert wieder durch ihre Technik der makellosen Übergänge und schwebenden Piani.
Aber es ist ihre Darstellung, die so fasziniert. Kaum eine Kollegin hat sich die Möglichkeit entgehen lassen, vor allem das auszuspielen, was schon vom Libretto her (am Theater war es eine Virtuosenrolle der Sarah Bernhardt) in der Figur steckt: Nämlich die große Diva, egozentrisch und eifersüchtig, aber gleichzeitig großherzig und stürmisch liebend, also prächtiges Theater. Lise Davidsen lässt das alles weg. Sie liebt diesen Cavaradossi, das prägt sie, vielleicht ist sie im ersten Akt gelegentlich verliebtes Kätzchen, aber sie spielt nicht, auch nicht, als sie angesichts des ja wirklich schrecklich radikalen zweiten Akts zur Kämpferin wird – aber ohne die Posen des Stars. Wunderbar, wie sie (und Cavaradossi) im dritten Akt zu ahnen scheint / scheinen, dass es vielleicht nicht gut ausgehen wird – da liegt eine wunderbare Traurigkeit über dem Spiel von Lise Davidsen. Nein, das ist keine Tosca üblichen Zuschnitts, und mancher New Yorker Kritiker hatte da Einwände. Aber wenn man sie einfach auf sich wirken lässt, ohne seine Erwartungen mitzubringen, ist sie schlechtweg wunderbar.
Freddie De Tommaso war frische 27 Jahre alt, verkündet die Staatsoper stolz, als man ihn 2020 für die „Butterfly“-Eröffnungspremiere der Ära Roscic quasi „entdeckt“ hat, ohne dass er damals sonderlich überzeugt hätte. Mittlerweile hat er zugelegt, in jeder Hinsicht (aber wer außer Kaufmann und Florez hätte nach Carreras auf Tenorebene je einen Schönheitswettbewerb gewonnen?) – vor allem stimmlich, und darauf kommt es an. Das Timbre ist nicht individuell betörend, aber schön hell tenoral, die Kraft, die Technik und die Spitzentöne sind das, was man im besten Fall erwarten kann, und wenn er und Davidsen ihre großen Stimmen los lassen, dann geht es ab in der Oper. Der Cavaradossi war De Tommasos Met-Debut, und er reüssierte.
Schließlich ist da noch Scarpia. Der Hawaiianer Quinn Kelsey ist an der Met, man sagt das mit allem Respekt, ein Hausmöbel für düstere Rollen, auch wenn sein Bariton nicht wirklich „schwarz“, sondern sogar eher belcantesk ist. Er spielt den Bösewicht ohne sonderliche Dämonisierung (die halt immer gut wirkt), ist aber glaubhaft.
Zu Beginn machten noch Kevin Short als gehetzter Angelotti und Patrick Carfizzi als bebrillter, eher mürrischer, mit Putzkübel auftretender Mesner auf sich aufmerksam, viel mehr wichtige Rollen gibt es ja nicht (Scarpias Schergen gehen meist unter).
Yannick Nézet-Séguin erfüllt das, was die Met nach dem unvergessenen, unvergeßlichen Jimmy Levine braucht, nämlich einen Mann für alles, der wirklich alles gleich gut kann, und die „Tosca“ dramatisch über die Bühne zu jagen, war für ihn kein Problem.
Der Beifall an der Met war so stürmisch wie verdient.
Renate Wagner