Fotos: © Marty Sohl/The Metropolitan Opera
NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino:
MEDEA von Luigi Cherubini
22.Oktober 2022
Es geht um „Medea“ von Luigi Cherubini, selten genug gespielt. Man braucht jemanden, der das singen kann, meinte Dirigent Carlo Rizzi im Pausengespräch. Wenn man sie hat, macht man es, wenn nicht, dann nicht. Und wenn man gar eine Sängerin hat, die es kann und sich die Oper auch noch dezidiert wünscht, muss man sie ihr zuliebe spielen, erklärte Met-Direktor Peter Gelb vor der Vorstellung, mit der die „Met im Kino“-Saison begann.
Peter Gelb hat Cherubinis „Medea“ nun für Sondra Radvanovsky erstmals in New York auf die Bühne gebracht. Uraufgeführt 1797 in Paris auf Französisch mit gesprochenen Dialogen, wurde das Werk schon 1802 im Kärntnertortheater auf Deutsch nachgespielt. Später erhielt „Medea“ Rezitative und auch eine italienische Fassung, in der die Oper nun an der Met gezeigt wird.
Basierend auf der antiken Medea des Euripides und dem Stück von Corneille, ist das Libretto von François-Benoît Hoffman nicht gerade ein dramaturgisches Meisterstück. 50 Minuten muss man auf die Heldin warten. Bis dahin ist man bei Prinzesschen Glauke, die sich gar nicht auf ihre Hochzeit mit Giasone, dem Fürsten aus Iolkos, freuen kann, denn schließlich hat dieser noch eine unheimliche Ehefrau im Hintergrund, jene Medea, die Königstochter aus Kolchis, die alles für ihn aufgegeben hat, um ihm das Goldene Vlies zu verschaffen… Nun, Glauke muss sich beruhigen, ihr Vater, der König von Korinth, wird mit dieser zauberkundigen Fremden schon fertig werden. Die Hochzeit beginnt, und Jason (unter diesem Namen kennt man ihn, nicht zuletzt dank Grillparzer) kann hoffen, seine Vergangenheit samt düsterer Gattin hinter sich zu lassen und aus der Beziehung nur die beiden Söhne für sich zu retten…
Bis dahin vergehen 50 Minuten des ersten Aktes – erst dann taucht Medea auf. Sie macht, flapsig gesagt, eine Mordsszene und ist überhaupt nicht bereit zu weichen. Von nun an ist Medea ununterbrochen auf der Bühne, bis zum bitteren Ende, die meiste Zeit singend, selten im Duett, meist solo. Schon rein von der Kraft her ist das ein Aufwand, der sich mit wenigen anderen Rollen vergleichen lässt. (Bereits in der Frühzeit von Cherubinis Oper waren die „stärksten“ Sängerinnen damit befasst, Anna Milder-Hauptmann, die auch Beethovens Leonore war, oder die Wagner-Heroine Amalia Materna). Von da an hat der Regisseur vor allem Medea zu inszenieren…
Der Brite David McVicar (der zuletzt an der Met den eher enttäuschenden französischen „Don Carlos“ ablieferte) ließ sich natürlich nicht auf die griechische Antike ein, braucht keinen Königspalast von Korinth und keinen Tempel, sondern geht mit der Handlung optisch in die Entstehungszeit der Oper: Der Chor trägt die Gewänder der Napoleonischen Epoche (Kostüme: Doey Lüthi), die Damen mit den unter der Brust geschnürten Kleidern, die Herren Uniformen – und eigentlich ist es ziemlich egal. Denn Medea in ihrem schwarzen Gewand und mit ihrem wirren Haar würde in jeder Epoche so aussehen, und die großen „Mauern“, die aus verschiebbaren Toren bestehen (Bühnenbild vom Regisseur) evozieren die richtige Zeitlosigkeit.
Vor allem aber hat McVicar auf einen Trick zurück gegriffen, der nicht selten, aber immer effektvoll ist (Kasper Holten hat ihn 2014 für „Idomeneo“ in der Staatsoper verwendet, derzeit erlebt man ihn in abgeschwächter Form im Volkstheater): Über der Szene hängt ein schräger Riesenspiegel, der das auf der Bühne ablaufende Geschehen auf dem „Kopf stehend“ verdoppelt und die Aktionen gewissermaßen irrational macht. Das ist von eindrucksvoller Wirkung.
Typisch ist, dass Medea in diese Welt, in der man opulent Glauces Hochzeitskleid und die Hochzeitstafel widergespiegelt bekommt, nicht hinein darf. Sie muss sich mit ihrem Leid immer vor den Toren der Gesellschaft, die diese Außenseiterin nicht hinein lässt, verweilen. McVicar spielt keine Spielchen mit dem Werk, er inszeniert die Psychologie aller Figuren, wobei die anderen Hauptdarsteller – Jason, Glauke, der König, Medeas Gefährtin Neris – eigentlich keine wirklich starken Rollen haben. Alles konzentriert sich auf die alles beherrschende Hauptfigur. Natürlich geht die Sache so tragisch aus, wie sie seit der Antike angelegt ist, und sorgt final für einen Rieseneffekt: Am Ende entfesselt McVicar einen „Feuerzauber“, wie man ihn so schön und eindrucksvoll noch in keiner „Walküre“ gesehen hat – leider!
Weil die Titelrolle als kaum zu bewältigen gilt, dreht sich nun in New York alles um Sondra Radvanovsky, seit langem einer der Spitzenstars des Hauses, die ohne Angst auf „die“ Medea-Interpretin Maria Callas oder auf die einst so starke Leonie Rysanek (Wiener Staatsoper 1972) blicken kann. Die amerikanische Kritik war denn auch voll Bewunderung – es sei „ihre Show“ hieß es, sie „behexe“ das Publikum. Und so ist es auch.
Sondra Radvanovsky also. Wenn sie der New York Times über die Rolle gesagt hat, “You can’t just act it. You really have to live it”, so beweist sie das, indem sie Medea, die von der Umwelt geschundene Frau, vorlebt. Sie hat nicht nur ihren Körper in jeder Hinsicht (oft am Boden kriechend) dämonisch zu bewegen, sie muss auch darstellerisch ein gewaltiges Repertoire von Gefühlen liefern – da ist noch die Liebe zu Jason, den sie anfleht, zu ihr zurück zu kehren, da ist die Wut über die Demütigung, die man ihr antut, da kocht der Hölle Rache in ihrem Herzen, aber es zerreißt sie auch, wenn sie fühlt, was sie ihren Kindern antun wird, es nicht will und doch, in dieser Situation, offenbar muss… Man wird nicht müde, Sondra Radvanovsky bei diesem Aufruhr der Emotionen zuzusehen. Und zuzuhören. Was es allein an Kraft erfordert, die letzten beiden Stunden der Oper gewissermaßen durchzusingen, von dramatischen Höhen bis düstere Tiefen der Stimme, die sie auch noch unheimlich verändert, wenn sie sich auf ihr Hexentum besinnt… Die Sängerin dieser Rolle muss technisch alles können – und Sondra Radvanovsky kann es. Und die hält es durch, nie bricht sie angesichts des Kraftakts ein. Diese Leistung wird man nicht vergessen – etwa, wie sie zum Finale des zweiten Aktes dem Gatten „Pietà!“ entgegen schleudert… Gänsehaut!
Matthew Polenzani, der im Pausengespräch mit der wirklich brillanten Gastgeberin Joyce DiDonato vermerkte, an seiner Rolle sei tenoral fast nichts dran, hat ziemlich recht, aber was er singen konnte, hat er getan, und dass Opportunist Jason, der Medea so beklemmend schlecht behandelt, kein Sympathieträger ist, damit muss er leben. Dafür findet man die arme Glauce in Gestalt von Janai Brugger äußerst sympathisch, weil man ihr die Unschuld glaubt, auch wenn ihr Sopran nicht mehr so jung klingt, wie es die Figur sein soll,.Mit hellem Mezzo gibt Ekaterina Gubanova Medeas Gefährtin Neris. Einzig Michele Pertusi, den man aus der Ära Meyer noch als stimmkräftig in Erinnerung hat, musste als König mit schon eher brüchigem Bariton gewaltig forcieren, wenn er auch als königliche Persönlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ.
Cherubini lebt nicht zuletzt davon, dass Beethoven seiner Musik so hohe Bewunderung gezollt hat, und „Medea“ ist sicherlich ein glorioses Werk dramatischen Opernschaffens. Carlo Rizzi, der dieser „Medea“ in seiner Karriere hier erstmals begegnet ist, hat erfolgreich das realisiert, was er im Gespräch sagte: Dass hier nämlich das Orchester nicht nur begleitet, sondern einen wichtigen Teil der Geschichte erzählt, nicht zuletzt mit dem solistischen Wirken einiger Blasinstrumente. Ob lyrisch, festlich oder abgrundtief tragisch, „Medea“ funktionierte auf allen Ebenen.
Und das Publikum nicht nur in New York, sondern auch in Wien muss geahnt haben, dass etwas Besonderes bevorstand – der große Saal des Cineplexx Landstraße war fast voll, wie in den guten Zeiten des Opernbesuchs.
Renate Wagner