Foto: MetOpera EVAN ZIMMERMAN
NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino / Village Cinema Wien Mitte;
LE NOZZE DI FIGARO von W. A, Mozart
26.April 2025
Braves Repertoire
Man kennt das Phänomen: Als Opernfreund widersteht man der Versuchung nicht, sich eine Lieblingsoper wieder einmal anzusehen, auch wenn man nicht sicher ist, was man von der Besetzung erwarten soll. Allerdings hat man die New Yorker Produktion von Mozarts „Le nozze di Figaro“ von einer Met-im-Kino-Übertragung von Oktober 2014 (damals dirigierte noch der dann mit Schimpf und Schande davon gejagte James Levine) in bester Erinnerung.
Der Brite Richard Eyre ist nämlich ein bemerkenswerter Regisseur, nicht nur für Filme (besonders schön: Stage Beauty, zuletzt herausragend seine moderne Leinwand-Umsetzung von „König Lear“ mit Anthony Hopkins), sondern auch für das Theater und die Oper.
Er hat die Welt des Figaro, genauer gesagt, jene des Grafen Almaviva absolut stimmig in die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts versetzt und gewissermaßen den ganzen Palast auf die Bühne gebracht, was ein geschmeidiges Gesamtbild dessen entwirft, was dort passiert – spätfeudale Zeiten, wo sich die Dienerschaft vor der Herrschaft noch immer ducken musste. Stärker als sonst, meinte man, ist (vielleicht dem gegenwärtigen Zeitgeist geschuldet) das Element der sexuellen Belästigung ausgespielt, das ja bei Mozart voll da ist, wobei es eine reizvoll-boshafte Umdrehung ergibt, wenn Cherubino sich von Susanna und der Gräfin – na, sagen wir es harmlos, sexuell necken lassen muss…
Es ist eine ungemein präzise und „schnelle“ Inszenierung, die Richard Eyre da geschaffen hat (nein, hier wetterleuchtet keine Revolution, man ist ja auch in einem anderen Zeitalter, bei dem optisch höchstens in Cherubinos Uniform ein bißchen Faschismus um die Ecke blickt). Man kann den Bühnenassistenten, die die gänzlich neue Besetzung in die alte Form gefügt haben, nur ein großes Kompliment aussprechen. Alles läuft wie am Schnürchen, und das ist keine leichte Übung..
Auch dank der Dame am Dirigentenpult, Dass die Deutsche Joana Mallwitz mit noch nicht 40 Jahren den Sprung an die Met geschafft hat, hat in deutschen Musikerkreisen bewundernde Beachtung gefunden. Ein paar New Yorker Kritikern war sie zu deutsch, doch das ist ungerecht – so schnell und spannend sie die Musik auch hernahm, sie wurde weder atemlos noch martialisch. Natürlich wäre es lyrischer und seelenvoller möglich gewesen. Aber zu dieser Inszenierung hat das Dirigat bestens gepasst.
Man muss die Besetzung zuerst pauschal loben, dass sie szenisch und musikalisch das Niveau hielt, um dann festzuhalten, dass keine einzige Sängerin, kein einziger Sänger die Möglichkeiten ihrer / seiner Partie wirklich ausgeschöpft hat. Nein, man wird sich an niemanden erinnern, zumal man als Wiener Opernfreund aus der Besetzung ohnedies nur Federica Lombardi kennt, die für die Wiener Staatsoper eine Norma ohne weitere Nachhaltigkeit war und trotz ihrer evidenten Schönheit und der Tatsache, dass sie als Mozart-Spezialistin gilt, nur eine brave, wenig interessante Gräfin abgab. Vor allem fehlt ihr die Gabe, ihre Stimme Mozartisch schweben zu lassen, ein Manko, das auch, die ukrainische Sopranistin Olga Kulchynska teilt. Was eine genuine Susanna auf der Bühne versprühen kann, an Witz, Überlebenskunst, aber auch Seelentiefe, das bekam man nicht. Die chinesisch-amerikanische Sängerin Sun-Ly Pierce ist (mit viel zu hellem Mezzo) erst auf dem Weg zu Cherubin. Ja, und die Barbarinas fallen ja oft auf und empfehlen sich als Susanne: Tatsächlich hätte man Mei Gui Zhang mit ihrem leichten Sopran und ihrer Frische fast lieber in der Rolle gesehen und gehört als ihre etwas verkrampfte Kollegin.
Michael Sumuel überzeugte als Susannas junger, stürmischer Liebhaber nicht wirklich. Ein schnarrender Bariton, ein bißchen Charme, ein bißchen Humor, mehr nicht, das reicht nicht. Da hatte der kanadische Sänger Joshua Hopkins als Graf überzeugendere baritonale Töne zu bieten, darstellerisch blieb er allerdings weit unter den Möglichkeiten der Figur. Sie alle, wie auch der Rest: Repertoire. Man wird sich nicht an sie erinnern.
Aber – „Figaro!“ Am Ende ist mir meine Lieblingsszene aus dem „Amadeus“-Stück von Peter Shaffer eingefallen. Da analysiert Salieri geradezu erschüttert anhand von „Figaro“, was damals nur ein Mann seines Formats erkennen konnte – dass dieser junge Schnösel Mozart ihn, den allseits geschätzten Hofmann und Gentleman-Komponisten, und alle anderen Musik schreibenden Zeitgenossen dank seiner unbeschreiblichen Genialität weit hinter sich gelassen hat. Diese Erkenntnis vermittelt „Figaro“ in jeder stimmigen Aufführung immer wieder. Es war die ultimative Menschwerdung der Oper.
Renate Wagner