Fotos: Metopera
NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino:
FEDORA von Umberto Giordano
14. Jänner 2023
Wer „Umberto Giordano“ sagt, denkt an „Andrea Chenier“, und tatsächlich hat dieser Komponist sich mit diesem einzigen Werk seine ewige Stellung im Verismo und in den Opernspielplänen gesichert. Solche Inspiration ist ihn nie wieder überkommen. Dennoch taucht seine Oper „Fedora“ immer wieder auf, meist, wenn man sie für jemanden spielen will.
Unersättliche Opernfreunde (wie ich damals) haben „Fedora“ nach der Premiere im Dezember 1994 (mit Baltsa und Carreras) mindestens ein halbes Dutzend Mal gesehen, sangen doch die Freni, die Ricciarelli, Mara Zampieri die Rolle, Domingo bekam als Tenorheld die damals bei Holender ewig eingesetzte Eliane Coelho, bei den Herren waren noch Sergej Larin und Luis Lima eingesetzt (wer erinnert sich noch an sie?).
Kurz, es gab immer einen Grund, in „Fedora“ zu stürzen, aber die Metropolitan Opera hat jetzt Sonya Yoncheva und Piotr Beczała, und das ist auch nicht schlecht, zumal wenn Marco Armiliato am Pult steht, dessen Qualitäten für das italienische Repertoire wir kennen (und das nun Mailand und New York zugute kommt…)
Dass „Fedora“ aber letztlich – na sagen wir: nicht wirklich erstklassig ist, liegt schon an der Vorlage von Victorien Sardou. Dessen Hauptaufgabe war es wohl, „Reißer“ für Sarah Bernhardt zu schreiben. So Gutes wie die „Tosca“ gelang natürlich nicht alle Tage, die fünf Jahre davor (1882) geschriebene „Fedora“ (ein Frauenname als Titel ist immer gut!) war eine richtige Räuberpistole, was Giordano nicht daran hinderte, sie 1898 als Opernstoff zu nehmen (während Puccini sich bekanntlich zwei Jahre später – und unendlich erfolgreicher – die „Tosca“ schnappte).
„Fedora“ hat dramaturgische Schwächen, vor allem im ersten Akt, wo sich unendlich viele Personen ohne tieferen Sinn auf der Bühne tummeln (man kennt das Chaos ja auch aus „Andrea Chenier“, immer schrecklich schwer zu inszenieren, wenn so viele Kleindarsteller auf der Bühne sind). Die reiche Fürstin Fedora darf majestätisch, erhobenen Hauptes in der Wohnung des Mannes erscheinen, den sie liebt und am nächsten Tag heiraten will, aber dieser wird nach etwas Wartezeit angeschossen hereingebracht und stirbt – nicht viele Möglichkeiten für die Titelheldin.
Akt zwei spielt in Paris, wohin Fedora dem Mörder des Geliebten hin gefolgt ist. Dauernd werden irgendwelche Geheimnisse aufgeklärt – jedenfalls ist Loris Ipanov kein gemeiner Mörder, sondern ein Edelmann, viele umständliche Erklärungen, kurz und gut, nun lieben die beiden einander.
Akt drei in der Schweiz lässt diese Liebe nur kurz blühen, dann erweisen sich die einstigen Racheschwüre Fedoras als Bumerang. Sie hat damit das Unglück von Loris’ Familie verschuldet, und weil offenbar auch glückliche Heldinnen immer ein Fläschchen Gift bei der Hand haben, kann sie (mit schönem Abschiedsgesang) reuevoll in den Tod gehen.
Das musste schon eine Sarah Bernhardt erspielen bzw. möglich machen. In der Oper ist man allerlei Unsinn gewöhnt, aber dieser hätte noch um einiges mehr musikalische Inspiration benötigt als nur die Tenorarie „Amor ti vieta“, die bei aller Kürze entfernt an die Qualität der Chenier-Tenorarien erinnert und immerhin überzeugend genug war, dass Enrico Caruso einst die Uraufführung der Oper sang.
Doch man soll nicht ungerecht sein – wie Marco Armiliato in der Pause der Met-Übertragung so überzeugend ausführte, hat Giordano die Musik in jedem Akt je nach Schauplatz differenziert, düster in St. Petersburg, eine heitere, lockere Ballszene in Paris, und tatsächlich ein wenig alpenländisches Hautgout im Schweiz-Akt. Originell auch, dass im zweiten Akt ein dramatisches Duett zwischen Fedora und Loris zu Klavierbegleitung stattfindet (es spielt, wie es das Libretto vorgibt, hier ein „berühmter Pianist“, brillant exekutiert von Bryan Wagorn). Dazu kommen schöne orchestrale Passagen, und gegen Ende, wo dann Verzweiflung und Tod ausbrechen, wird auch die Musik stark. Kurz, man kann „Fedora“ mit entsprechender Besetzung durchaus spielen.
Allerdings auch in einer entsprechenden Inszenierung von der Art, zu der sich heutzutage (obwohl man auch dort mittlerweile „moderner“ geworden ist) wohl nur noch die „Met“ entschließt. Und der Brite David McVicar, dem klar war, dass man ein solches „Historienstück“ (das zu seiner Entstehungszeit ein Zeitstück war!) nicht aus seiner Welt reißen und nicht mit Regietheater-Schnapsideen beladen kann.
Also entschloß man sich zu einer total historisierenden, Räume bauenden Ausstattung von Charles Edwards und opulenten Belle-Epoque-Kostümen von Brigitte Reiffenstuel, wahrlich schön anzuschauen (wenn Fedora außer schwarz und weiß auch ein bisschen Farbe verdient hätte). Kurz, ein idealer Rahmen für die Horror-Story. Im Kino hatte man sogar einen Vorteil gegenüber dem Publikum, das live in der Met saß. Da konnte man nämlich zusehen, wie unendlich aufwendig der Umbau von Akt eins, dem düsteren großen Raum in St. Petersburg, zum Pariser Ballsaal war. Eine wahre Phalanx von Bühnenarbeitern schuftete da und brauchte doch gut zehn Minuten. Direkt spannend anzusehen.
Dass man in einer solchen Ausstattung ein Werk nur „vom Blatt“ spielen lassen kann (mit ein paar kleinen, stimmigen Ideen – etwa dem Auftritt des toten Geliebten) versteht sich. Allerdings ist man darauf angewiesen, wie viel darstellerisches Talent die Sänger mitbringen.
In einer Rolle, die sonst perfekt für die Netrebko gepasst hätte, hatte nun Sonya Yoncheva ihren Starauftritt, königlich schön in Schwarz mit Diadem im ersten Akt (und eher überfordert damit, die Tragödie von des Geliebten Tod zu spielen), später in Weiß, am Ende verliebt mit Lockenpracht. Stimmlich wuchs sie nach scharfem Beginn in die Rolle hinein, um am Ende in Verzweiflung und Tod auch unter die Haut zu gehen. Da packte sie die Figur dann auf allen Ebenen, wenn auch der Wunsch nach strömender Stimm-Schönheit ein wenig zu kurz kam.
Die Crux bei Piotr Beczała besteht daran, dass er sich immer so bemüht, was ehrenwert ist, aber man die Bemühung eben zu sehr merkt. Alles an ihm ist ein wenig verkrampft, als Schauspieler sowieso, gesanglich letztlich auch, er hat die hohen Töne und presst sie doch mit spürbarer Gewaltanwendung heraus, er hat das Legato nicht (und wird es wohl nie bekommen), aber was Technik vermag, verhilft auch ohne das wahre Aufblühen des Tenors immer noch zu einer ehrenwerten Leistung. Und doch, wenn man (was man nicht sollte) sich auf YouTube anhört, wie die Arie bei Domingo klingt (aus der Met-Aufnahme mit ihm und Mirella Freni vor Jahrhunderten), hört und spürt man sofort den Unterschied zwischen einem genuinen „italienischen“ Tenor und einem, der dieses Repertoire singt, weil es für die Karriere nützlich ist (und es nicht genügend für seine Stimme ideale slawische Opern gibt, um in aller Welt zu reüssieren).
Die „komische“ Rolle der Olga Sukarev, für die Handlung unwichtig, aber zusammen mit dem De Siriex für etwas Auflockerung gedacht, war bei Rosa Feola in besten Händen – wenn man bedenkt, wie wenig überzeugend letzte Saison an der Met ihre Gilda ausgefallen ist, konnte sie hier mit parodistischem Übermut überzeugen (und da achtet man dann gar nicht so auf die Qualität der Stimme). Als De Siriex rangierte Lucas Meachem (als Einspringer) hörbar um eine Klasse unter den drei Hauptdarstellern, gab aber eine überzeugende Figur ab. Keiner der Nebendarsteller mit Ausnahme des eindrucksvollen Baritons von Jeongcheol Cha als Kutscher Cirillo (was eigentlich Kyril hätte heißen sollen, man ist im ersten Akt ja in Russland), wäre erwähnenswert.
Mit Marco Armiliato am Pult verdichtete sich der Abend musikalisch, wo immer es möglich war, die Bilder erfreuten das Auge, die Weltstar-Besetzung war würdig, wenn auch nicht wirklich begeisternd – aber das Met-Publikum jubelte. Es hatte auch eine schöne Aufführung gesehen.
Renate Wagner