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NEW YORK / WIEN / Die Met im Kino: DIALOGUES DES CARMÉLITES

11.05.2019 | KRITIKEN, Oper


Alle Fotos: Metropolitan Opera

NEW YORK / WIEN / Die Met im Kino:
DIALOGUES DES CARMÉLITES von Francis Poulenc
11.
Mai 2019

Es war der Dirigent Alain Altinoglu, der meinte, mit „Dialogues des Carmélites“ (1957) sei es Francis Poulenc gelungen, auch nach Puccini und Strauss eine publikumswirksame Repertoireoper zu schreiben. Ganz so ist es natürlich nicht. Die „Karmeliterinnen“, wie wir sie kurz gefasst nennen, leben durch die enorme Qualität ihrer Musik, die – ungewöhnlich für die späten fünfziger Jahre und damals fast mutig – total tonal auf das Publikum zukommt, singbar, ausdrucksstark, sich um das permanente Leid des Geschehens rankend.

Sie ist allerdings alles andere als opernhaft spektakulär: Die Puccini-Heldinnen leiden und sterben auch, tun dies aber in einer opernhaften Ästhetik, die letztlich hohen Unterhaltungswert hat und gewissermaßen „schöne“ Gefühle von Mitleid und Zuneigung erweckt. Das ist bei den „Karmeliterinnen“ nie der Fall. Sie schielen nicht nach der gewissermaßen gerührten Anteilnahme des Publikums, sie kommen ihm in dieser Nonnentragödie aus der Französischen Revolution gnadenlos hart entgegen. Historisch korrekt ist die Geschichte der 17 Frauen, die lieber in den Tod gingen als gewissermaßen „abzuschwören“, Gertrud von Le Fort machte daraus die „Letzte am Schafott“, durch Georges Bernanos wurde die „Begnadete Angst“ ein Stück, Poulenc schrieb sich danach sein Libretto selbst. Unspektakulär und von Anfang bis zum Ende tremolierend tragisch. Gar zu fest steht die düstere Geschichte doch nicht im Repertoire der Opernhäuser…

Schon wenn die junge Adelige Blanche de la Force ins Kloster kommt, wird sie von der Oberin Mme. De Croissy fast brutal verhört und abgewiesen. Dennoch wird sie als Novizin aufgenommen – und man erlebt eine der schlimmsten, grausamsten (und auch längsten) Sterbeszenen, die einem Opernbesucher zugemutet werden kann: Die Oberin wird nämlich von ihrem Glauben in der Todesangst nicht getröstet, sondern scheidet mit aller wütender Verzweiflung aus dem Leben. Dazwischen erlebt man die Szene zwischen Blanche und der jungen, unbeschwerten Constance, die so schwer zu spielen ist (Patricia Petibon ist es einst im Theater an der Wien am besten gelungen), wo sich auch in scheinbare Fröhlichkeit Todesahnung senkt. Daneben gibt es durchaus unfromme Konkurrenzgefühle, wenn die starke Mère Marie (eigentlich die unheimlichste Rolle des Werks) von einer Mme Lidoine als neue Mutter Oberin ausgehebelt wird – und da ist sie schon, die Revolution, die Nonnen werden in die Welt geschickt, die verschreckte Blanche versteckt sich, aber als ihre Mitschwestern dem Tod ins Auge sehen, was man zu „Salve Regina“ in erschütternder Länge miterlebt, wobei immer wieder dazwischen das Fallbeil zischt, dann geht Blanche nach Constance auch noch auf die Guillotine, obwohl sie es nicht müsste… Nerven zerreißendes menschliches Heldentum, das dem Zuschauer alles abverlangt, wenn er sich auch auf den Inhalt des Werks einlässt und von einer Düsternis in die nächste gleitet.

Wenn man nun – sagen wir es offen – das Pech hatte, die „Karmeliterinnen“ nicht nur in der fabelhaften Carsen-Inszenierung in Erinnerung zu haben, die das Theater an der Wien 2008 und 2011 zeigte, sondern auch in der absolut verstörenden Interpretation von Calixto Bieito 2011 in der Komischen Oper in Berlin (die Nonnen, die keine waren, turnten in einem vielstöckigem Gestänge herum, das wie eine Lagerhalle wirkte, von der Handlung wenig erkennbar – dieses aber exzessiv ausgereizt), dann ist die vom Datum her nicht eben jugendfrische Inszenierung des mittlerweile verstorbenen Briten John Dexter an der Metropolitan Opera in New York ein wahrer Klassiker. 1977 geschaffen (nicht nur die Staatsoper hat Uralt-Inszenierungen), wird sie immer wieder hervorgeholt, weil man es einfach nicht besser machen kann.

Auf einem weißen Holzpodest, das ein großes Kreuz darstellt, wird die Handlung mit minimalem szenischem Aufwand, in historischen Kostümen immer in höchstem Erkennungswert dargeboten. Nicht nur die geradezu „choreographische“ Ausrichtung der Nonnen-Szenen beeindruckt, die das katholische Zeremoniell und die Würde der Geschichte bedienen, sondern eine bis in kleinste Gesten ausgefeilte Personenregie, die offenbar sorglich tradiert wird. Die derzeitige Besetzung hat sie zu wahren Meisterleistungen verinnerlicht.

Für Isabel Leonard ist die Blanche nach der Marnie und der Melisande ihre dritte Riesenrolle, die sie in dieser Spielzeit in ihrem Stammhaus singt, aber es ist die ganze Figur, die so faszinierend wirkt, wobei die Schwankungen im Seelenleben dieser Blanche (im Poulenc-Libretto nicht immer ganz logisch) glaubhaft ausbalanciert werden. Ihr heller Mezzo ermöglicht ihr auch die Höhen der Rolle mühelos zu bewältigen. Dass ihre Freundin seit Studientagen, Erin Morley, die Constance singt (die beiden erzählten im Pausengespräch mit Renée Fleming, dass sie sich kennen, seit man sie in die Opernschule der Met geholt hatte), beweist, dass Peter Gelb auch „hauseigen“ besetzt – Sängerinnen, die hier herangewachsen und nach und nach zu Stars geworden sind (was den Wiener Operndirektor in seiner „Nachwuchs“-Pflege nur bestärken kann). Morley ist vielleicht eine Spur zu ernsthaft für die Constance, die etwas mehr Charme, Leichtigkeit, Unbefangenheit haben müsste, um einen echten Kontrast zu der seelisch beschwerten Blanche zu bieten, aber sie hat diese superhelle, superhohe Stimme, die perfekt zur Rolle passt.

Da ist dann noch Adrianne Pieczonka als die neue Oberin, die nach der Klosterschließung ihre Nonnen im Alltagskleid zum Bekenntnis ihrer Berufung zusammen holt (und damit ihren Tod herbeiführt), und wenn sie auch einmal nicht allerbestens bei Stimme ist wie diesmal, so singt und spielt sie die Partie doch mit der Strahlkraft ihres Soprans. Allerdings steht ihr Karen Cargill stimmlich mit tollen Tönen um nichts nach, die eigentlich die positivste Mère Marie ist, an die man sich erinnert – sie bricht alles, was an der Rolle bösartig dominant erscheinen könnte, durch Menschlichkeit.

Und doch, der Höhepunkt lag bei der schieren Unerträglichkeit. Noch vor zehn Jahren war die Finnin Karita Mattila Hauptrollen-Star der Met, die Tosca dort und überall, jetzt ist sie mit Ende 50 und schon brüchiger Stimme im „Charakterfach“ – und spielte Wesen, Leben und vor allem das schauerliche Sterben der Mme. De Croissy mit einer Schonungslosigkeit und Kraft, die einem die Zehennägel aufstellte. Das muss man aushalten. Die „Karmeliterinnen“ machen einen wirklich fertig – bis zum Fallbeil am Ende.

Da nützt es nichts, wenn das Orchester unter Yannick Nézet-Séguin die Vielfältigkeit und Ausdruckskraft der Musik wahrlich auskostete: Man weiß, es ist ein Meisterwerk. Man hört es. Aber allzu oft würde man es sich (würde ich es mir) nicht antun… Man hat ja auch nur Nerven.

Renate Wagner

 

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