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NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino: CHAMPION

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NEW YORK – WIEN /  Die Met im Kino im Cineplexx: 
CHAMPION von Terence Blanchard 
29.
April 2023

Peter Gelb und die Metropolitan Opera sind sehr stolz auf die Aufführung von „Champion“, die Oper von Terence Blanchard, der kürzlich mit “Fire Shut Up in My Bones” überhaupt der erste PoC-Komponist war, der an der Met gespielt wurde. Natürlich werde man die „weißen alten Männer“ (wie Mozart oder Verdi) weiterhin im Repertoire behalten, sagte Yannick Nézet-Séguin, der Musikchef der Met, im Pausengespräch zur weltweiten Met im Kino-Übertragung von „Champion“. Aber für die Multi-Kulti-Gesellschaft von heute müsse man den Kreis der Themen und Protagonisten erweitern. Und so skeptisch man in  Europa sein mochte – in New York war die Met für die Geschichte des Afro American Boxers Emile Griffith dicht gefüllt.

Dieser, geboren 1938, in den fünfziger bis siebziger Jahren mehrfacher Weltmeister in Welter-, Halbmittel- und Mittelgewicht, starb übrigens 2013, einen Monat, nachdem die ihm gewidmete Oper „Champion“ uraufgeführt worden war. Die Tragödie seines Lebens bestand darin, dass er 1962 seinen Gegner, den Boxer Benny „Kid“ Paret, buchstäblich tot geschlagen hatte, nachdem dieser angeblich die Homosexualität von Griffith angesprochen hatte. Dessen  Karriere ging nach diesem „Unfall“ zwar noch eine zeitlang weiter, aber die These der Oper von Terence Blanchard besteht darin, dass er den Rest seines Lebens zerfressen von Reue und Gewissensbissen verbracht hätte.

Herausgekommen ist ein „Biopic“ für die Opernbühne, geschrieben von dem Drehbuchautor Michael Cristofer, wobei der alte Emile Griffith in Rückblenden auf sein Leben schaut und er auch als kleiner, gequälter Junge erscheint, vor allem aber als der junge Mann, der aus der Karibik aufbrach, um in New York seine Mutter zu suchen, die ihn als Kind weggegeben hatte. Sie verschaffte ihm die Stellung in einer Hutfabrik, deren Besitzer das Box-Talent von Emile erkannte und als Manager seine Karriere betrieb. Im ersten Akt bekommt man erste Erfolge und Siege mit, aber auch schon den Besuch in einer Schwulen-Kneipe, wo Griffith sich seiner Veranlagung bewusst wurde.

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Direkt vor der Pause passiert dann die Katastrophe, er boxt den Gegner ins Koma. Nach der Pause erlebt man den alten Griffith (der dramaturgisch geschickt auch immer wieder in den Szenen seiner Jugend quasi als Zuseher auftaucht) mit seinen Zwangsvorstellungen, der Tote taucht immer wieder auf. Der junge Griffith heiratet sogar, offenbar, um sich zur Normalität  zu zwingen, aber wenig später gibt es dann wieder eine Szene in der Schwulen-Kneipe, wo er dann seine Bedürfnisse auslebt. (Einen echten Partner lernt man allerdings nicht kennen.)

Hier zieht sich das Geschehen –  Emiles ambivalente Mutter bekommt eine große Arie, um ihre Taten zu rechtfertigen und über ihr schweres, auswegloses Schicksal zu reflektieren, und auch der Manager darf sich noch lange monologisch ergehen, wobei zumindest das recht überflüssig wirkt. Eine brutale Szene, wo der junge Griffith von Hooligans verprügelt wird, mündet dann in ein oratoriengleiches, schon verdammt kitschiges Ende, wo der alte Griffith vom Sohn seines Opfers Verzeihung erbittet, aber belehrt wird, dass er sich diese nur selbst gewähren kann. Was dann gewissermaßen auch geschieht…

Terence Blanchard ist, man kann es den ganzen Abend lang nicht überhören, ein routinierter und preisgekrönter (Oscar-Nominierungen, Emmy-Trophäen) Filmkomponist. Dass er stolz darauf ist, sich rundum in der Welt der Musik zu bedienen, kommt dem Werk durch musikalische Vielfalt zugute, bleibt aber stets nur „Stimmungs“-Accessoire. Über seinen Lieblingskomponisten Puccini sollte man schweigen –  nur weil Blanchard nie atonal und meist (meist, wenn die Tessitura nicht zu hoch wird) angenehm singbar ist, reicht sein Parlando-Stil doch nicht einmal annähernd an Puccinis Kantilenen heran. Karibik-Rhythmen, Jazz, Unterhaltungsmusik, alles fließt zusammen mit dem Effekt, dass man immer wieder aufgehorcht hat, ohne wirklich gepackt zu werden. Tatsächlich ist die Musik das Werk eines Könners, aber die wahre Inspiration, die eine „echte Oper“ aus „Champion“ gemacht hätte, fehlt.

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Dass die Met dennoch einen höchst sehenswerten Abend zu bieten hat, liegt an vielen Glücksfällen. Der Regisseur James Robinson war Direktor in St. Louis, als er das Werk in Auftrag gab und dort uraufführte, er kennt es also in jedem Detail und sorgt in einem sehr geschickten Bühnenbild von Allen Moyer für reibungslosen Ablauf. Die Kostüme von Montana Levi Blanco sorgen für eine Fünfziger-Jahre-plus-Nostalgie-Stimmung, und die Choreographie von Camille A. Brown bringt bei jeder sich bietenden Gelegenheit Dynamik ein. Es hat sich auch gelohnt, einen echten Boxer als Coach für die Box-Sequenzen zu engagieren – auch wenn sie stilisiert sind, wirken sie immer richtig und laufen nie Gefahr, lächerlich zu werden.

So braucht die Aufführung, die für einen wirklich perfekten  Rahmen sorgt, nur die richtigen Interpreten, und auch da bleibt kein Wunsch offen. Wir  hatten in Wien fünf Jahre lang in der Ära Dominique Meyer nie Gelegenheit, Ryan Speedo Green wirklich zu würdigen, da er so gut wie keine Hauptrollen gesungen hat. Aber wahrscheinlich hat die  Fülle kleiner Aufgaben (na ja Warlaam, Sparafucile, Basilio, Colline) ihn darauf vorbereitet, einmal Großes zu leisten. Als junger Griffith ist er ideal, vor allem als Darsteller. Gesanglich ist die Herausforderung nicht so groß, aber Zweifel und Seelenschmerzen gestaltet er überzeugend. Und im Pausengespräch ließ er in deutscher Sprache seine Wiener Freunde herzlich grüßen. Sie können stolz auf ihn sein.

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Eric Owens gibt den alten Griffith, überzeugend schmerzzerfurcht, gequält, am Rande der Demenz. Ergreifend – und rührend auch sein Freund Luis (Chauncey Packer), der sich immer um den Alten in seinem einsamen Zimmer am Rande von New York kümmert… Schließlich ist da noch Ethan Joseph, ein Sängerknabe, der einem als gequälter kleiner Griffith  als Kind das Herz zerreißt.

Die weibliche Paraderolle der Mutter macht Latonia Moore zu einem Prunkstück überbordender Persönlichkeit, da wird  selbst die immer so präsente Stephanie Blythe als vollmundige Herrin der Schwulenkneipe (wo die Tänzer eine wahre Trans-Show abziehen dürfen) in die zweite Reihe verwiesen. Der Frau, die Griffith (für alle unbegreiflich, letztlich auch für ihn selbst) heiratete, wird nur eine Nebenrolle zugedacht (Brittany Renee).

Größere Rollen sind noch Howie Albert zugedacht, dem wohlwollenden Manager, den Paul Groves mehr spielt als singt, sowie  Benny „Kid“ Paret, dem totgeboxten Kollegen, der am Ende auch als sein eigener Sohn auftaucht (Eric Greene). Die Liebesszene mit Griffith in der Bar exekutierte Edward Nelson entsprechend verführerisch, und Lee Wilkof setzte stets Pointen, wenn er mit der schneidenden Stimme eines Marktschreiers die Boxkämpfe ankündigte. Wie gesagt, eine Besetzung, die vieles wett machte, was die Musik schuldig blieb.

Yannick Nézet-Séguin erschien in einem hoch stilisierten Trainingsanzug in Schwarz mit weißen Applikationen am Dirigentenpult (das hätte das Kostümdepartment für ihn ausgesucht, meinte er) und versuchte, der Filmmusik so viel Farbe und Stimmung zu geben wie möglich. Die New Yorker waren begeistert, die Wiener hatten sich nur in geringer Besetzung im Cineplexx Landstraße eingefunden. Bei den beiden nächsten Mozart-Aufführungen wird das Publikum garantiert wieder zahlreicher erscheinen.

Renate Wagner

 

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