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NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino: AGRIPPINA

01.03.2020 | KRITIKEN, Oper


Fotos: Metopera

NEW YORK – WIEN / Die Met im Kino:
AGRIPPINA von Georg Friedrich Händel
29.
Februar 2020

Händels Frühwerk „Agrippina“, von dem 24jährigen noch für Venedig geschrieben, zählt wohl zu seinen amüsantesten Opern. Obwohl Agrippina, ihr Gatte Claudius, ihr Sohn Nero, außerdem Poppea und Ottone historische Figuren sind und das Werk seriös als „Dramma per musica“ bezeichnet wird, handelt es sich nicht um einen „Römerschinken“ – man höre nur der „lockeren“ Musik zu.

Das ist eine komponierte Polit-Satire, und diese in unsere Zeit zu versetzen, ist öfter versucht worden und gelungen (u.a. von Robert Carsen 2016 im Theater an der Wien). Regisseur David McVicar (mit dem wir an der Wiener Staatsoper wirklich keine schlechten Erfahrungen gemacht haben) hat die „Agrippina“ schon vor 20 Jahren in Brüssel „heutig“ gezeigt. Die Version, die er nun für die Metrpolitan Opera erarbeitet hat, geht zwar grundsätzlich denselben Weg (und hat mehr oder minder dasselbe Bühnenbild), unterscheidet sich aber doch ziemlich von der damaligen Aufführung (man kann es auf YouTube überprüfen) – sie ist den Sängern der Met und vor allem Titelheldin Joyce DiDonato mit hinreißendem Effekt auf den Leib gearbeitet.

Eine riesige goldene Treppe (Ausstattung: John Macfarlane),  meist im Bild, führt zu einem großen goldenen Thron: ein Spiel der Macht, aber, weil in heutige Gewänder gekleidete, hat man auch von einem „House of Cards“ gesprochen. Die Rücksichtslosigkeit scheint sich seit dem Alten Rom tatsächlich nicht verändert zu haben. McVicar spürt den einzelnen Figuren mit infernalischem Witz und gewaltigem satirischem Potential nach (sie müssen schon was leisten, um da nicht etwa „umzukippen“).

Außerdem kennt er – er ist auch ein Händel-Spezialist – die Gefahr dieser Opern. Es ist nichts daran zu ändern, dass sich, von rezitativischen Szenen unterbrochen, einfach eine Arie an die andere reiht. In schlechten Inszenierungen bleibt das Geschehen dann quasi stehen, der Sänger liefert ab, dann geht es irgendwie weiter. Nicht bei McVicar. Nie unterbricht er die Handlung, er lässt sich für so gut wie jede Arie eine Begleithandlung einfallen – vieles davon ist unirdisch komisch, etwa wenn Poppea in einer Bar den Barmann mit ihren Problemen ansingt (eine Situation, die sich – ohne Singen notabene – in mancher Bar finden mag).

Aber McVicar fordert seine Sänger auch als Darsteller extrem – wenn Nerone sich in einem wahren Kokainbad in eine Hysterie hineinsingen muss, hat er es vergleichsweise leicht: Wenn hingegen Mama Agrippina in einer riesigen Arie (“Pensieri, voi mi tormentate”) immer wieder drehen und wenden muss, dass ihre Gedanken sie quälen – ja, dann braucht man schon Joyce DiDonato, um jeder neuen Wendung desselben Textes eine neue Nuance zu geben und dabei gleichzeitig wieder einmal den Charakter der Dame zu entblättern…

Es ist der Abend der Joyce DiDonato, sie genießt das Über-Biest, sie ist eine Meisterin der darstellerischen und gesanglichen Nuance (wobei für die Darstellung McVicar jede Menge pointierter Details eingefallen sind). Die Stimme ist schlank (mit vergleichweise wenig Resonanz), für einen Mezzo sehr hell, absolut brillant im Meistern von Koloraturen und sonstigen Schwierigkeiten, und durchhaltefähig in erstaunlichem Ausmaß (keine wacklige Stelle an einem Vier-Stunden-Abend). Sie hat Spaß daran, sich durchs Leben zu intrigieren, Menschen zu manipulieren, das Spiel der Macht zu spielen – aber gefährlich ist sie auch. Die DiDonato hat die Agrippina kürzlich auch auf CD aufgenommen, wohl als Lust an der Rolle. Aber das reicht nicht – man muss sie auch sehen.

Wo immer sie kann – und es gibt schon solche Passagen – übernimmt Brenda Rae (bei ihrem Met-Debut) als Poppea das Ruder. Sie ist nun nicht so schön, wie man es von der jungen Rivalin der Kaiserin erwartet, aber sie ist erstens als Komikerin ein As und zweitens als Koloratursopran (als sie 2012 in der Staatsoper für die Damrau als Lucia einsprang, war man noch nicht so begeistert von ihr).

Und dann noch die dritte Dame, die keine sein muss (im Theater an der Wien hatte man einen Counter für den Nerone): Hier ist es Kate Lindsey (unser Staatsopern-„Orlando“), die ein Meisterstück liefert, vor allem darstellerisch – ihr heller Mezzo hat nicht so viel zu tun wie die anderen. Aber wie sie da einen schlaksigen, unsicheren, dabei spürbar schwer neurotischen und bei aller Komik beängstigenden jungen Mann spielt … wie gesagt, das könnte in die Lächerlichkeit umkippen, macht aber wirklich sprachlos.

Da ist noch Kaiser Claudius, der anfangs für tot gehalten wird (was Agrippinas hektische Aktivitäten in Gang setzt, ihren Sohn auf den Thron zu bringen), der aber dann auftaucht: In Gestalt von Matthew Rose, der stimmlich nicht den besten Abend hatte, aber überzeugend ein rechtes Weichei auf die Bühne stellte (zerrieben zwischen Agrippina und Poppea – was soll der arme Mann tun?).

Liebling des Publikums war der Countertenor Iestyn Davies, der als Ottone so viel erleiden muss (es ist, Komik hin oder her, einfach tragisch, wenn er von allen verlassen und allein stehen gelassen wird, weil dafür gesorgt wurde, dass er in Ungnade fällt) und das sehr schön traurig besingt. Mit einem Counter, der eher weiche als scharfe Qualitäten hat, was schätzenswert ist.

Und dann gibt es noch drei Intriganten, Naricisso, auch ein Counter (Andrey Nemzer), Pallante, ein Bariton (Duncan Rock) und schließlich Lesbo, Baß (Christian Zaremba) – und wie sie um Agrppina herumwieseln, wie sie sie benützt und fallen lässt, zeigt dass McVicar dieses „Spiel der Mächtigen“ doch nicht ausschließlich komisch genommen hat. Auch wenn beispielsweise immer wieder köstliche Tanznummern mit heutigem Hüftschwung (Choreographie: Andrew George) zeigen, wie locker man Händel nehmen kann…

Bestens hatte Harry Bicket, der auch selbst das Cembalo bediente, den Abend in der Hand. Am Ende durfte man nach vier Stunden (dreieinhalb Stunden Spielzeit plus Pause) heimgehen – und stellte fest, dass dem Regisseur nicht für eine Minute die Ideen ausgegangen sind…. Händel heute. Ein Opern-Theater-Vergnügen.

Renate Wagner

 

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