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NEW YORK / Die Met im Kino: MARNIE

11.11.2018 | KRITIKEN, Oper


Fotos: Metropolitan Opera

NEW YORK / Metropolitan Opera / Die Met im Kino:
MARNIE von Nico Muhly
10.
November 2018

Es ist nie ein Fehler, sich einen Hitchcock-Film zu Gemüte zu führen. Aber wer sich zur Vorbereitung auf die Met-Übertragung „Marnie“ aus dem Jahr 1964 angesehen hat, fühlte sich lange Zeit nicht gescheiter als die anderen – zu sehr weicht die Oper in wesentlichen Elementen der Handlung von dem Film ab. Die Erklärung gab es, quasi in einem Nebensatz, in einem Pausengespräch: Es schien zu schwierig, die Rechte des Hitchcock-Films zu erwerben, da hielt man sich lieber an die gleichnamige Romanvorlage von Winston Graham, woraus sich dann auch die zahlreichen Verschiedenheiten gegenüber dem Film erklärten.

Dessen Besichtigung hat sich im nachhinein aber doch gelohnt: Denn nun weiß man, warum Hitchcock an der Geschichte so vieles und so Grundlegendes verändert hat: Sie ist nämlich nicht wirklich gut (und das mochte auch den mangelnden Erfolg seines Films erklären, der neben seinen Klassikern „unter ferner“ läuft). Man lernt Marnie als Diebin kennen, die dauernd ihre Identitäten wechselt – eine kleine, etwas rätselhafte Kriminelle. Hitchcock machte aus ihr eine schwere Neurotikerin, deren Komplexe sich aus frühkindlichen Erinnerungen erklären, wobei die Mutter keine böse Täterin, sondern eine Beschützerin der Tochter war. Ganz anders in der Oper, wo die Mutter – ein Monster, keine Frage – das Leben der Tochter mit einer Lüge, die ihr einen Schuldkomplex einredete, zerstört hat. Warum Marnie, die es nicht ertragen kann, von einem Mann berührt zu werden (was Hitchcock viel besser begründet als das Libretto der Oper von Nicholas Wright), deshalb zur Diebin und Betrügerin werden muss, erklärt sich weder hier noch dort zufriedenstellend. Aber Hitchcock hat sich zumindest ein Happyend ausgedacht, das für alle Beteiligten versöhnlich ausfällt – in der Oper bleibt Marnie verstockt und verkrampft bis zum Ende, egal, wie der Mann, der sie liebt, sich um sie bemüht… Man scheidet unzufrieden, zumindest was die Handlung betrifft.

Mit der Musik von Nico Muhly, dem 37jährigen Amerikaner, ist man weit glücklicher. Sie ist von heute, denkt aber trotzdem an das Publikum und an die Sänger, ist raffiniert und reichhaltig, farbig sowohl im Klang wie im Ausdruck, oft effektvoll opulent und im Grunde immer interessant. Hier bleibt eigentlich nichts zu wünschen übrig, auch nicht von Seiten des Orchesters unter der Leitung von Robert Spano.

Nun wurde dramaturgisch allerlei unternommen, um aus „Marnie“ eine Oper mit einiger Opulenz zu schaffen, das heißt, es wurden Chorszenen eingeführt, im Büro, am Ball, am Begräbnis am Ende (und man merkt des Komponisten souveränen Umgang mit Choral-Elementen ebenso wie seine Verbeugung vor „schimmernden“ Musikpassagen des Philip Glass). Die Idee, Marnie vier „Shadow“-Marnies mitzugeben, wie sie im Pausen-Gespräch genannt wurden, vier Frauen, die ihre Alter Egos sein sollen (obwohl sie ja absolut keine gespaltene Persönlichkeit ist), wirkt eigentlich eher affektiert als überzeugend. Auch schleicht immer wieder ein Rudel von Männern herum, die sie quasi bedrohen und sich lästig in die Szene drängen – das mag zu den Regieeinfällen von Michael Mayer zählen, der die Handlung (bei Hitchcock fast ein Kammerspiel zwischen Tippi Hedren und Sean Connery) operngerecht aufputzen wollte. Julian Crouch hat die Bühne ganz geschickt mit beweglichen Wandelementen verwandeln lassen, und dass Marnie fünfzehn Mal (!!!!) das Kostüm wechselt (Arianne Phillips), hat genügend Aufsehen erregt.

Dass es eine zusätzliche Härte für die Interpretin sein muss, manchmal in Minutenschnelle in die meist engen Fünfziger-Jahre-Kleider zu schlüpfen – nun, Isabel Leonard hat zumindest im Pausengespräch herzlich darüber hinweg gelacht. Dass sie eine schöne Frau ist, die Hitchcock sicher gerne in seinen Blondinen-Garten aufgenommen hätte, zeigte sich bei der Kinoübertragung der Met-Aufführung in vielen Großaufnahmen. Sie ist auch noch wunderbar anzusehen, wenn sie singt. Und das tut sie einfach fabelhaft und ist überhaupt in der Rolle so ideal, dass sich jede andere Interpretin später an ihr messen muss (wobei man nicht schwören würde, dass „Marnie“, im Vorjahr in London uraufgeführt, die Opernhäuser stürmen wird). Dass man aus der Dame nicht klug wird, weil die Figur vorn und hinten nicht stimmt, überspielt sie mit schöner Rätselhaftigkeit – und in der Szene beim Psychiater, wo dann ihre Kindheitstragödie heraus kommt, mit aller tragischer Kraft. Ihr Mezzo ist hell, beweglich, bestens geführt. Sagen wir, „Marnie“ wurde für sie geschrieben und hat solcherart ihre Berechtigung.

Christopher Maltman in der Sean-Connery-Rolle des Mark Rutland, des Mannes, von dem man auch nicht weiß, warum er sich dieses verschrobene Frauenzimmer antut, gibt der Figur genügend Verliebtheit in die schöne Frau und baritonalen Nachdruck, um dennoch zu überzeugen. Als sein intriganter Bruder Terry hat Iestyn Davies (wir haben ihn schon im Theater an der Wien und im „Exterminating Angel“ gehört) scharfen darstellerischen Umriß und einen hier nicht übermäßig geforderten Countertenor zu bieten. Prächtig-böse ist die Mezzosopranistin Denyce Graves als Marnies Prekariats-Mutter, während Janis Kelly als Mutter von Mark und Terry vollkommen die große Dame der Gesellschaft verkörpert.

Die Oper spielt übrigens im Gegensatz zum Hitchcock-Film nicht in den USA, sondern in England. Den Amerikanern hat sie gefallen, und für uns, die wir da im Kino saßen, war es eine anregende Begegnung – vermutlich die einzige, die wir mit der musikalischen „Marnie“ erleben werden.

Renate Wagner

 

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