Natalie Livingstone:
DIE FRAUEN DER ROTHSCHILDS
DAS UNTERSCHÄTZTE GESCHLECHT
DER MÄCHTIGSTEN DYNASTIE DER WELT
560 Seiten, Quadriga Verlag, 2022
Es gab gerade in letzter Zeit viel Literatur über die Rothschilds, außerdem eine große Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien. So gut wie immer wird die Geschichte der Männer der Familie erzählt obwohl man gerade heute weiß, dass Frauenschicksale ähnlich interessant sind – und viele neue Akzente zu Altbekanntem hinzufügen können. Das versucht die britische Journalistin Natalie Livingstone in ihrem Buch „Die Frauen der Rothschilds“, wo sie von der „Urmutter“, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die zweite Generation der Rothschilds gebar, bis zu den Rothschild-Frauen von heute signifikante Einzelschicksale im Zusammenhang nachzeichnet.
19 Kinder brachte Gutle Schupper (1753–1849) für ihren Mann Mayer Amschel Rothschild zur Welt, zehn überlebten, davon fünf Söhne, von denen der Vater vier in die europäischen Metropolen schickte, um das Netz der Rothschild-Banken zu knüpfen. Dabei ist der älteste Sohn, Amschel Mayer, der im heimatlichen Frankfurt die „Zentrale“ verwaltete, der einzige, der nicht zahlreiche Nachkommen hatte. Salomon ging nach Wien, Nathan nach London, Carl nach Neapel und Jakob, der sich später James nannte, nach Paris.
Sie begründeten die vielen Zweige der Familie Rothschild, wobei der alte Mayer Amschel in seinem Testament verfügte, dass die Brüder immer eng zusammen halten sollten – woran sie sich hielten. Wie weit es die Rothschilds schon in der Frühzeit gebracht haben, geht nicht zuletzt daraus hervor, dass Kaiser Franz I. zum Dank für die Unterstützung, die Salomon ihm immer wieder zuteil werden ließ, alle fünf Brüder in den Adelsstand erhob.
Männer waren für den Stammvater die Stützen der Familie. Dass er von Frauen wenig hielt, machte der Patriarch gleichfalls in seinem letzten Willen klar – sie bekamen zwar Geld, aber nicht das Verfügungsrecht, und er verbot ihnen geradezu, sich mit Geschäften zu befassen. Ein Befehl, über den sich einige Damen in der Folge ohne weiteres hinwegsetzten. Dass Frauen für die ersten Rothschilds nicht unbedingt gleichberechtigte Partnerinnen waren, machte James in einen Brief an seinen Bruder Nathan klar: „Meine Frau ist ein wichtiges Stück Möbel.“
Wie wichtig die Frauen dennoch in der Geschichte der Rothschilds waren, zeigte ihre Tendenz, so oft wie möglich unter einander zu heiraten, bis zur Inzucht, immer wieder Cousin und Cousine, oft auch Onkel und Nichte, ganz wie in den europäischen Fürstenhäusern. Diese Rothschild’schen „Binnenheiraten“ gingen sehr weit und dienten der Einheit der Familie und dem Zusammenhalt des Vermögens. Man liest, dass von 21 Rothschild-Hochzeiten zwischen 1824 und 1877 nicht weniger als 15 unter direkten Nachkommen von Mayer Amschel und Gutle stattfanden…
Da es, wenn irgend möglich, bei den Rothschilds selbstverständlich war, viele Kinder zu haben, breitete sich die Familie über die Generationen geradezu unübersichtlich aus, denn auch die „Angeheirateten“, wenn sie Juden waren, gehörten gewissermaßen dazu. Der Stammbaum, der in der Mitte des Buches über die Frauen der Rothschilds zu finden ist, bezeugt, dass schon ab der dritten Generation kaum noch die Übersicht zu behalten ist. Sicher haben hunderte Frauen entweder von Geburt oder durch Heirat den Namen Rothschild getragen.
Wollte man kein Lexikon machen, stand die Autorin vor zwei grundlegenden Entscheidungen: Wer und wie? Welche der Frauen wählt man aus, und wie beschreibt man ihre Schicksale? Natalie Livingstone entschied sich für die Frauen des britischen Zweigs (die natürlich auch immer wieder in die anderen Familien übergreifen), und sie ging nach Generationen vor, das heißt, schaltet die Schicksale der von ihr gewählten Heldinnen gewissermaßen parallel. Das ist anfangs wunderbar und anschaulich, wird später, wenn das Who is Who trotz Stammbaums (der gar nicht leicht zu lesen ist) gänzlich verwirrend ist, doch eher unübersichtlich. Da hätte man sich Einzelschicksale für sich betrachtet gewünscht.
Natürlich ist der Beginn besonders faszinierend, und es beginnt natürlich im Frankfurter Judenviertel bei Gutle, ohne deren Gebärwilligkeit und Arbeitskraft es keine „Rothschilds“ gegeben hätte. Selbst aus einem angesehenen Handelshaus stammend, hat sie ihr Leben lang nicht nur Haushalt und Familie in Gang gehalten, sondern auch im Geschäft mitgearbeitet (anfangs handelte der Gatte mit Münzen und Antiquitäten) und unerschütterlich gespart. Als Witwe blieb sie mit Geld, aber was die Familiengeschäfte betrifft rechtlos zurück.
Von da an wendet sich die Geschichte nach England, wo die Autorin unendlich viel Material vorfand, denn die Rothschild-Frauen waren unermüdliche Schreibende von Briefen und Tagebüchern. So kommen sie unendlich lebendig aus den Seiten des Buches. Wie an einer Perlenkette reihen sich die unterschiedlichsten Frauenschicksale an einander, eines interessanter als das andere.
Stammmutter der englischen Rothschilds wurde Nathans Gattin Hannah Barent Cohen, aus einer reichen Bankiersfamilie stammend, die in England schon etabliert war, als Nathan noch als Neuankömmling misstrauisch beäugt wurde. Hannah bekam nicht nur sieben Kinder und gab nicht nur die tollsten Partys, sie machte auch Geschäfte und interessierte sich leidenschaftlich für Politik (damals gab es immer wieder vergebliche Interventionen im Parlament, die rechtliche Lage der Juden zu verbessern). Nur einmal hat sie die Familie schwer erzürnt, als sie duldete, dass ihre Tocher Hanna 1839 (da war Vater Nathan schon tot) den englischen Adeligen Henry FitzRoy heiratete (was beide Familien gewaltig erschütterte) und auch noch den jüdischen Glauben verließ. Ehen mit Nichtjuden waren für die Rothschilds (und auch die meisten Juden ihrer Zeit) im Grunde undenkbar.
Dazu gibt es einen anderen Fall, der Nathans Schwester Henriette (Gutles jüngster Tochter) betraf. Sie hatte in Frankfurt einen so schlechten Ruf, dass sich kein Mann für sie finden ließ, also wurde sie nach London geschickt. Und dort ergab sich eine arrangierte Ehe. Die Schwester ihrer Schwägerin Hannah, Judith, hatte in die angesehene Familie Montefiore hinein geheiratet. Judiths Gatte hatte ienen einen „mißratenen“ Bruder, der eine Christin zur Gattin genommen hatte, worauf er aus der jüdischen Gesellschaft ausgestoßen wurde. Nach dem Tod seiner Frau konnte er nur durch eine jüdische Ehe mit einer akzeptablen Kandidatin in seine Kreise zurück kehren, und Henriette Rothschild war eine solche. Allerdings wurde sie mit Abraham Montefiore nicht besonders glücklich. Früh verwitwet, bestand Henriettes Ehrgeiz darin, wenigstens eines ihrer fünf Kinder in die Rothschild-Familie zurück zu verheiraten. Es gelang ihr mit Tochter Louisa, die ihren Cousin Anthony de Rothschild, einen Sohn von Nathan, zum Gatten bekam, der charakterlich nicht die beste Wahl war, ließ sich der Playboy doch von der künftigen Schwiegermutter für eine Ehe mit irgendeiner ihrer Töchter geradezu kaufen…
So könnte man stundenlang Schicksale weiter erzählen, und das mag nun den Eindruck erwecken, man habe es nur mit Familienklatsch zu tun, aber wenn sich die Rothschild-Frauen auch sehr mit ihren Familienmitgliedern befassten, so hatten viele von ihnen doch künstlerische, wissenschaftliche und politische Interessen – und schließlich spielte in den zweieinhalb Jahrhunderten ihrer Geschichte immer wieder die Politik eine gewaltige Rolle (und mehr als einmal standen europäische Rothschilds schutzsuchend vor den Toren der englischen Verwandtschaft und wurden natürlich aufgenommen).
Wo im Lauf der Zeit zu viele Frauen, zu viele Menschen aus der Familie vorkommen, hilft eine Kurzbeschreibung der zentralen Frauen sowie der wichtigsten Rothschilds am Ende. Der Autorin ist es jedenfalls gelungen zu zeigen, wie ungeheuer groß der Anteil der Frauen an der Geschichte der Familie war – eine Geschichte, die bis dato immer nur aus der männlichen Perspektive erzählt wurde. Es war hohe Zeit, das zu ändern, und das Ergebnis ist eine Fülle faszinierendster Schicksale.
Renate Wagner