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NAPOLI/ CAMPANIA TEATRO FESTIVAL: TRANSVERSE ORIENTATION von Dimitris Papaioannu und LUCY E LE ALTRE von Laura Angiulli/Philipp Roth

20.09.2021 | Allgemein, Theater

NAPOLI/ CAMPANIA TEATRO FESTIVAL: TRANSVERSE ORIENTATION von Dimitris Papaioannu und LUCY E LE ALTRE von Laura Angiulli/Philipp Roth

am 16.9. und 18.9.2021

 

Das CAMPANIA TEATRO FESTIVAL (vormals NAPOLI TEATRO FESTIVAL) – Italiens versuchte Antwort auf grosse internationale Theaterfestivals wie Avignon etc. –  findet „in normalen Zeiten“ an einem Stück im Mai und Juni statt. Aufgrund der gegebenen Umstände musste es heuer (wie auch die Wiener Festwochenmonate) zweigeteilt werden.

Die Herbstsaison wurde gerade eröffnet mit der riesigen Internationalen Co-produktion TRANSVERSE ORIENTATION von Dimitris Papaioannou.

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“ Transverse Orientation . Foto: Campania Teatro Festival

Papaioannou hat sich mit der Eröffnung der Olympischen Spiele in Athen 2004 einen weltweiten Namen gemacht und ist dadurch zu so etwas wie einem Kultregisseur geworden mit seinen (seltenen) Inszenierungen wie Still Life, She is und The Gamer etc…

Der etwas sperrige und perplex lassende Titel seines neuesten Werkes “ Transverse Orientation “ hat ausnahmsweise nix mit Transen und/oder sexueller Orientierung zu tun, sondern soll sich auf eine wissenschaftliche Theorie beziehen, die erklären soll, warum sich Motten zwangshaft auf das nächstgelegene Licht stürzen, obwohl das doch ihren sicheren Tod bedeutet.

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“ Transverse Orientation . Foto: Campania Teatro Festival

So weit, so gut, so weit, so verständlich (??). Was sehen wir hingegen: eine Neonröhre, die immer wieder zischend ausgeht, Männer in Schwarz, ein riesige Leiter, eine nackte Frau, mehr riesige Leitern, einen riesigen schwarzen Stier, nackte Männer, mehr nackte Männer, eine nackte Frau auf dem schwarzen riesigen Stier, ein nackter Mann, der dem Stier zu trinken gibt, Wasser, das über die Bühne hereinbricht und eine Bühne, die dann von schwarzen Männern in ihre Einzelteile zerlegt wird usw.usf…

100 (laaange) Minuten voller wunderschöner, eleganter, hochästhetischer Bilder, 100 (laaange) Minuten, in denen kein einziges Wort gesprochen wird (nur ab und zu ertönt vom Band ein wenig geschmäcklerisch ein wenig Vivaldi-Musik). Das Ganze erinnert ein bisschen an den Stil von Romeo Castellucci – allerdings ohne dessen uneinbremsbaren Hang zu optischer, akustischer und körperlicher Gewalt.

Tja, was soll man sagen, tja, was soll man da kritisieren ? Wir haben 100 Minuten laaang sehr gerne zugeschaut und uns auch sehr gut unterhalten. Die Sinnfrage stellt man hingegen lieber nicht, um sich nicht als Banause zu outen… aber wer versteht auch schon, warum sich Motten unbedingt ins nächstgelegene Licht stürzen m ü s s e n…?

Auf der diametral entgegengesetzten Seite des theatersprachlichen Ausdrucksspectrums lag die zweite Herbstpremiere des Campania Teatro Festival: Laura Angiullis LUCY E LE ALTRE…

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„Lucy e le altre“. Foto: Campania Teatro Festival

Haben bei Papaioannou nackte Schauspielerinnen 100 Minuten lang nur geschwiegen, haben bei Angiulli völlig angezogene Schauspielerinnen 100 Minuten lang nur – gequatscht.

Angiulli ist mit ihrer Off-Bühne GALLERIA TOLEDO seit Jahrzehnten so etwas wie d i e Avantgardetheater-Ikone Neapels. Wir haben absolut wunderbare Produktionen von Shakespeare-Stücken und selten gespielten neapolitanischen Autoren von ihr gesehen…was diesmal in sie gefahren ist, ist daher völlig unverständlich.

LUCY E LE ALTRE (Lucy und die Anderen) stützt sich auf Novellen des amerikanisch-jüdischen Nicht-Nobelpreisträgers Philip Roth. Aber warum nur, warum…?

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„Lucy e le altre“. Foto: Campania Teatro Festival

Der Titel klingt ja ziemlich feministelnd, und Angiulli behauptet auch, dass sie mit diesem Abend den weiblichen „Nebenfiguren“ von Roths „patriarchalem“ Oeuvre mehr Raum und Sichtbarkeit verschaffen will. Was leider in diesem Fall ein völliger Holler ist: denn diese titelgebende LUCY ist die einzige weibliche HAUPTFIGUR im gesamten Philip Rothschen Opus – und sie ist bei ihm eine absolut unsympathische, bigotte, gestörte, famiienzerstörende „bitch“.

Und „die anderen“ sind auch nicht viel besser …

Im vollen Bewusstsein, dass Roths Texte PROSA sind, versucht Angiulli erst gar nicht, diese Textmassen irgendwie großartig zu dramatisieren. Was ein großer Fehler ist…Denn so erleben wir

100 Minuten laaaang eine Art pseudofeministisches Lese-Oratorium (bei dem einige Akteure noch nicht einmal ihre Texte auswendig wissen…)

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„Lucy e le altre“. Foto: Campania Teatro Festival

Es ist schwer erträglich… Hier ist die Sinnfrage wirklich zu stellen: warum nur, warum, liebe Frau Angiulli?

Aber warum stürzen sich Motten auch in selbstmörderischer Weise ins nächstgelegene Licht…?

Tssssssss….

Robert Quitta, Neapel

 

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