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NANCY : Christoph Willibald Gluck – ORFEO ED EURIDICE

08.04.2016 | KRITIKEN, Oper

NANCY  Opéra national de Lorraine
„ORFEO ED EURIDICE“ von Christoph Willibald Gluck – 7 IV

Glucks „Reform-Oper“ im Rahmen eines großen Orpheus-Zyklus in Nancy

 

Es gibt viele architektonisch hochgradige Opernhäuser in Frankreich, doch keines hat einen so schönen Opernplatz wie in Nancy. Denn die Oper liegt am „Place Stanislas“, dem Wahrzeichen der Stadt. Der vor wenigen Jahren prachtvoll restaurierte Platz war eigentlich eine Idee von Leopold, Herzog von Lothringen (Schwiegervater von Kaiserin Maria-Theresia). Doch in Folge des spanischen Erbfolgekrieges besetzte Ludwig der XIV. Lothringen, das schließlich vorübergehend an den polnischen König Stanislaus gegeben wurde – mit der Auflage es nach seinem Tode an seine Tochter, der Gattin von Louis XV., also an Frankreich zu vererben. Stanislaus (auf Französisch „Stanislas“) ließ um 1750 eine königliche Residenz in purem Barock erbauen, die auch in Wien oder Ost-Europa hätte stehen können. Dazu gehörte dieser Platz und natürlich auch eine große Oper. Doch 1906 brannte diese ab, nach einer Vorstellung der „Mignon“ (das gleiche Werk, bei dem kurz zuvor die Opéra Comique in Paris abgebrannt war).

Die Opéra de Nancy

Die Opéra de Nancy, das neue Haus seit 1919

Aus der früheren Oper ist inzwischen das Musée des Beaux Arts geworden, mit einer beeindruckenden Sammlung, die sehr sehenswert ist. Und auf der anderen Seite des Platzes wurde die neue Oper (nach)gebaut, die erst 1919 eröffnet werden konnte. Das Haus wird seit 2001 von Laurent Spielmann geleitet, der durchsetzte, dass Nancy 2006 das begehrte Prädikat „französische Nationaloper“ bekam (das nur an sechs Opernhäuser vergeben wurde). Durch alle Spielzeiten Spielmanns ziehen sich thematische Leitfäden, die es auch ermöglichen, dass kaum bekannte Werke wieder auf die Bühne kommen. So fing der „Orpheus-Zyklus“ mit „Orfeo“ von Monteverdi an und landete nun, nach „Orphée aux Enfers“ von Offenbach (an Sylvester) und dem kaum bekannten „Orfeo“ von Luigi Rossi (1647), bei „Orfeo ed Euridice“ von Christoph Willibald Gluck. Gespielt wird die „Wiener Fassung“, also die der Uraufführung am 5. Oktober 1762. Das ist besonders, denn in Frankreich spielt man traditionell die „Pariser Fassung“, die 1774 speziell für die Pariser Oper (um)komponiert wurde, oder die „Mischfassung“ die Berlioz 1859 für Pauline Viardot schrieb, in der er die Rosinen aus den mindestens zwölf Fassungen der Oper (!) herauspickte. Erst im Rahmen der kritischen Neu-Ausgaben der berühmten Opern und dem aufkeimenden Interesse für Barockmusik hat Rolf Liebermann 1973 in seiner ersten Spielzeit als Direktor der Pariser Oper „Orfeo ed Euridice“ in der ursprünglichen Fassung von 1762 angesetzt. Seit Jochen Kowalski und den in vieler Hinsicht stilbildenden Aufnahmen von Hartmut Haenchen (1989) und John Eliot Gardiner (1991) besetzt man die Rolle des Orfeo in der Wiener Fassung, die 1762 durch den berühmten Kastraten Gaetano Guadagni gesungen wurde, mit einem Counter-Tenor.

Opera National de Lorraine, Orphée et Eurydice, Christoph Willibald Gluck. Direction musicale : Rani Calderon ; Mise en scène : Ivan Alexandre

Opera National de Lorraine: Christopher Ainslie (Orfeo) und Lenka Macikova (Euridice) in den Fängen des Todes (der Tänzer Uli Kirsch) Foto : Oper


Das hat Marc Minkowski auch bei den Salzburger Mozartwochen getan, wo diese Produktion im Januar 2014 Première hatte. Der Counter Bejun Metha drehte zeitgleich einen wunderschönen Orfeo-Film, den man jetzt auf Youtube sehen und hören kann. Nach nur zwei Minuten versteht man schon, warum in Salzburg die ganze Presse quasi nur über den Orfeo von Metha schrieb und so wenig über den ganzen Rest der Produktion – denn Metha überstrahlte wirklich alles. Nach Grenoble und Bremen ist die Produktion nun in Nancy zu sehen, aber leider nicht mehr mit dem gleichen Cast. Der Südafrikanische Counter Christopher Ainslie sieht wunderbar aus (wir sehen ihn öfters mit nacktem Oberkörper) und singt auch gut, doch Metha können nur ganz wenige Countertenöre das Wasser reichen. Und leider geriet Ainslie gerade in der berühmten Arie „Che faro senza Euridice“ an die Grenzen seiner Stimme. Die Arie kommt im dritten Akt, nachdem er schon über eine Stunde pausenlos auf der Bühne gestanden hat, und Euridice nach einer langen Schonzeit zum ersten Mal den Mund aufmacht. Lenka Macikova singt ihre einzige Arie „Che fiero momento“ betörend schön mit einer überaus kräftigen Stimme. Doch danach scheint der Counter-Orfeo noch blasser und kann der schmale Sopran von Norma Nahoun als Amore auch nicht mehr mithalten. An dem Dirigenten lag es nicht, denn der neue Chefdirigent in Nancy, Rani Calderon, dirigierte aufmerksam und sängerfreundlich und wir haben den Chor und das Orchestre symphonique et lyrique de Nancy schon lange nicht mehr so gut gehört. Calderon (1972 in Israel geboren) dirigierte mit Schwung und Verve und einem – für unsere Ohren – meist sehr hohem Tempo. Das „straffte“ einerseits die berühmte „Reformoper“ von Gluck“, doch dabei gingen andererseits viele Feinheiten der Partitur verloren. So gab es zum Beispiel wohl das von Gluck verlangte Bühnenorchester für das „Echo“, das Orfeos einsames Rufen im ersten Akt wiederholt. Bei der Uraufführung „hallte die Musik von hinter der Bühne“, jetzt schien sie quasi aus dem Orchestergraben zu kommen. Das Cembalo stand dort zwar erhöht, doch es wurde in den meisten tutti einfach durch die Streicher „zugedeckt“. Nur die Harfe konnte man wirklich uneingeschränkt gut hören, denn sie wurde durch den Regisseur Ivan Alexandre auf die Bühne gestellt und durfte auch als Solo den Abend beenden (mit einer kleinen Zusammenfassung des Schlusssatzes).

Opera National de Lorraine, Orphée et Eurydice, Christoph Willibald Gluck. Direction musicale : Rani Calderon ; Mise en scène : Ivan Alexandre

Opera National de Lorraine : Christopher Ainslie (Orfeo) und Lenka Macikova (Euridice) und der Tänzer Uli Kirsch Foto : Oper

Die Inszenierung wirkte im Januar 2014 „weitgehend statisch und oratorienhaft“ (so Gerhard Ottinger im Merker) und scheint seitdem zusätzlich eingeschlafen zu sein. Daran konnte die durch den Regisseur erfundene Figur des Todes auch nicht viel ändern. Der Tänzer Uli Kirsch geisterte in schwarzer Lederhose – kein besonderes Lob für die Ausstattung von Pierre-André Weitz – durch beinahe alle Szenen und stiftete in unseren Augen mehr Verwirrung, als dass er die Handlung zusammenhielt. Oder hatte man ihn hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen erfunden? Denn es gab sonst keine Tänzer – auch nicht in den berühmten Tanzeinlagen! – und der Chor machte am ganzen Abend kaum dreißig Schritte. Da haben wir schon ganz andere Inszenierungen von Ivan Alexandre gesehen! Vor kurzem gab Dominique Meyer bekannt, dass Ivan Alexandre zusammen mit Marc Minkowski im Oktober den Premierenreigen der kommenden Spielzeit der Wiener Staatsoper eröffnen wird, diesmal mit Glucks „Armide“ – wir sind gespannt!

 

Waldemar Kamer MerkerOnline – Paris

 

Info: www.opera-national-lorraine.fr

 

 

 

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