Nadja Tomoun
DAS GEHEIMNIS DES TUTANCHAMUN
Der goldene Pharao und seine abenteuerliche Wiederentdeckung
304 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2022
Keine Frage, dass das Thema nie aufhören wird zu faszinieren – denn auch hundert Jahre danach ist der Fund des Howard Carter, ist die Entdeckung des Grabes von Pharao Tutanchamun ein in der Geschichte der Archäologie unübertroffenes Ereignis. Mit dem Ergebnis, dass es geradezu unübersehbar viele Bücher zu dem Thema gibt, die bereits sozusagen jeden Winkel in der Geschichte des Pharao und seiner Entdeckung beleuchtet haben.
Immerhin gibt es zwei Anlässe für ein neues Buch über „Tutanchamun“, gewissermaßen auch dann, wenn es leider gar nichts Neues zu bieten hat. Erstens jährt sich im November das Ereignis der Entdeckung von 1922 zum hundertsten Male. Und zweitens wird ja, nach vielen Ankündigungen und Verschiebungen, das „Grand Egyptian Museum“, das seit Jahren bei den Pyramiden von Gizeh gebaut wird, nun irgendwann eröffnet werden. Und dort soll der gesamte Schatz des Tutanchamun, jedes Stück, das aus dem Grab geholt wurde, gezeigt werden, was noch nie der Fall war.
Genaues über die Autorin, die nun das neue Buch zum Thema vorlegt, ist nicht erfahren – der Text am Buchumschlag und im Internet äußert sich gänzlich unspezifisch zu Dr. Nadja Tomoun, nur dass sie Ägyptologin und Kunsthistorikerin sei. Man erfährt nicht, wo sie in Kairo gearbeitet hat, keines ihrer „Projekte“ wird spezifiziert. Sie gibt in ihrem Buch auch in keinem Vorwort (das man sehr vermisst) gewissermaßen eine „Rechtfertigung“ dessen, was zu erwarten ist, welche neue Kenntnisse es gibt, mit welcher Intention das Buch geschrieben wurde. Sie springt kopfüber ins Geschehen – und erzählt, was alle Leute, die sich für das Thema interessieren, irgendwo schon gelesen haben.
Nadja Tomoun gibt keine neuen Theorien vor (auf die Rolle von Semenchkare, von Nofretete lässt sie sich beispielsweise gar nicht ein . man weiß es nicht). Nur eines behauptet sie fest, und das war bisher keinesfalls die allgemeine Meinung: Gen-Analysen hätten nun bewiesen, dass Tutenchamun tatsächlich der leibliche Sohn von Echnaton war, allerdings nicht von dessen großer Gemahlin Nofretete, sondern einer anderen Frau, die im Grunde nirgendwo Erwähnung findet, also ist sie wohl bei seiner Geburt gestorben. Allgemein hat man Tutanchamun meist nur als Schwiegersohn von Echnaton identifiziert.
Über das kurze Leben von Tutenchamun gibt es erstaunlich wenig zu erfahren, auf die verschiedenen Theorien über seinen Tod lässt sich die Autorin nicht ein, obwohl sie viele naturwissenschaftliche Untersuchungen an der Mumie zitiert, die vorgenommen wurden. Aber – Genaues weiß man nicht.
Ist man im historischen Teil die Pharaonen der 18. Dynastie durchgegangen (bis zum Ende, dann kamen die Ramessiden), sind Howard Carter und Lord Carnavon mit ihren Lebensgeschichten und ihrer langen, mühseligen Suche nach dem Grab an der Reihe. Rund um die sensationelle Entdeckung lässt sich viel erzählen, auch Logistisches über die Bergung, Sichtung, Katalogisierung, Aufarbeitung des Schatzes (wobei sich nach Carters Tod einige Stücke aus dem Grab in seinem privaten Besitz gefunden haben…).
Es geht um die Mumie selbst, um den „Fluch des Pharao“ (mit dem Hinweis, welch große Rolle Zauber und Magie im alten Ägypten gespielt haben), und fast am interessantesten ist die Schilderung der immer wieder aufgekochten Mediensensation von einst bis heute, wo man tatsächlich mit der „Tutmania“ immer noch Schlagzeilen machen kann.
Die schier unglaubliche Verwertung durch Merchandising steht neben der für uns heute unfasslichen Tatsache, dass die Ägypter über Jahre hinweg tatsächlich Originale des Schatzes per Tournee auf Reisen geschickt haben (was allerdings ein Millionenpublikum und Millioneneinnahmen brachte). Jeder will das Original sehen – auch im Tal der Könige, wo man mittlerweile (wie bei den Höhlen von Lascaux) eine komplette Nachbildung zur Verfügung stellt – und sture Touristen bestehen auf das Original, das natürlich durch den Besucherstrom schwer in Mitleidenschaft gezogen wird.
Am Ende findet sich dann der Hinweis auf das „Grand Egyptian Museum“, das – wie alles rund um Tutanchamun – mit der so sagenhaft mysteriösen Goldmaske des Pharao werben wird (dass deren Nase schon abgefallen ist und mühsam wieder befestigt werden musste, merkt man ja nicht).
Der Verlag kann damit rechnen, dass die Eröffnung des Museums bei den Pyramiden und alle „Erinnerungsartikel“, die im November 2022 zum Fund von Howard Carter zweifelsfrei erscheinen, das Interesse am Thema neu anheizen werden. Was es dazu zu sagen gibt, ist in diesem Buch brav gesammelt. Wahrscheinlich gibt es nichts Neues dazu zu bemerken – und das immer wieder bschworene „Geheimnis“ des „Goldenen Pharao“ besteht darin, dass er schon ausspekuliert ist und wir uns damit abfinden müssen, dass wir dennoch viele Dinge nicht wissen können, nie wissen werden.
Renate Wagner