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MUSIK PER POST

Was eine Bildpostkarte alles erzählen kann

08.07.2025 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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MUSIK PER POST
BILDPOSTKARTEN UND DAS VISUELLE WISSEN VON DER MUSIK
Hsg. Dietrich Helms, Jan Lehmann, Christoph Müller-Oberhäuser
‎632 Seiten mit 144 farbigen Abbildungen,   Verlag Böhlau, 2024

Was eine Bildpostkarte alles erzählen kann

Musik ist eine heilige Kunst, wenn sie auch viele Schattierungen hat. Die bildende Kunst bewegt sich auf höchsten (und weniger hohen) Ebenen. Immerhin, wenn zwei Künste sich im Zeichen der Trivialität begegnen und vermengen – was kommt da heraus?

Als Sabine Giesbrecht, Jahrgang 1938, lange Jahre als Professorin für Musikwissenschaft an der Universität Osnabrück tätig, begann, Musikpostkarten zu sammeln, mochte mancher Kollege noch die Nase rümpfen. Bildpostkarten, von denen sie am Ende an die 20.000 zusammen trug, galten als banal und trivial, kitschig und wertlos. Heute weiß man es besser.

Ein Wissenschaftler-Team, großzügig unterstützt von dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen, hat nun nicht nur die Digitalisierung des Postkarten-Schatzes übernommen, sondern die Bestände auch in den verschiedensten Disziplinen nach ihrer Aussage befragt. Man war viele Jahre mit dem Thema befasst, und das daraus entstandene Buch ist ein „Riegel“ von nicht weniger als 637 bedruckten Seiten geworden, mit 144 farbigen Abbildungen, die originell und auch rührend, einmal pathetisch, ja, natürlich auch kitschig ausfallen mögen – und trotzdem hätte man gerne noch viel, viel mehr davon gesehen..

Erstaunlich, wie viele Fragen man stellen und wie viele Antworten man erhalten kann. Selbst Analogien zu heute lassen sich bei einem Medium, das vor rund 150 Jahren aufkam, ziehen. Denkt man an die Bilderfülle, die heute – Selfies, Schnappschüsse, weiter geleitetes Material – in der digitalen Welt vorherrscht, so war die Bildpostkarte tatsächlich der Beginn massenhafter Verwendung von Bildern für die private Kommunikation.

Wie alles, was der Mensch tut und herstellt, spiegeln auch die Bildpostkarten – in diesem Fall jene zum Spezialthema Musik – ihre Zeit. Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts zeigen sie uns, wie die zahlreichen, an dem Buch beteiligten Wissenschaftler vermitteln, wie unsere Großeltern und Eltern gedacht haben, was sie interessierte. Bilder erfüllen immer auch Wünsche und Träume, spiegeln Ideale, und im Fall der Musik zeigt sich, was wichtig war – und auch, wie idealisiert einerseits, wie real andererseits man das Thema  sah. Immer wieder im Zentrum stehen die großen Komponisten, aber auch die interpretierenden Künstler. Da reicht die Spannweite vom Opernhaus bis zu den Jahrmarktsmusikanten. Alles wurde auf Postkarten gebannt, Gemälde, Zeichnungen, Fotografien, immer wieder sind Texte und Noten eingefügt, und wenn es um Musikinstrumente geht, so ist der Aufschwung der Gitarre in der Popmusik auch auf Postkarten mit zu verfolgen.

Historiker, Musik-  und Kunsthistoriker, Kulturwissenschaftler und Soziologen nehmen sich in Einzelkapiteln Einzelaspekte vor, finden viel Politisches auch im Zusammenhang mit den beiden Weltkriegen. Für Österreich besonders interessant ist das Kapitel über den Wiener Postkartenverlag der Brüder Kohn, der sich auf Künstlerfotos spezialisiert hatte und aus dem die Musik-  und Theaterwissenschaft heute noch schöpft.

Das Unternehmen besaß einen Motivkatalog von Wiener Bühnenkünstlern, aus dem man gewissermaßen „seine“ Stars aussuchen und als Bildpostkarte erwerben konnte. 608 Einzelaufnahmen umfassen Sängern und Sängerinnen, von Schauspielern und Schauspielerinnen. Es gab auch Gruppenaufnahmen und Szenenfotos von Aufführungen.

Der 1898 von Salomon, Adolf und Alfred Kohn in Wien gegründete Verlag war offenbar enorm erfolgreich, weil er mit diesen Künstlerfotos den Geschmack des Wiener Publikums traf. Abgesehen davon profitierte man von der Wiener Identität als „Musikstadt“. Also gab es auch Bilder von Komponisten, die mit Wien verbunden waren, historischen Orten zu deren Leben (all die Beethoven-Adressen!), und man illustrierte berühmte Lieder etwa von Schubert, aber auch Volkslieder („Kommt ein Vogerl geflogen“) oder Studentenlieder.

 Welche Künstler in wie vielen Rollenbildern verkauft werden konnten, galt als Seismograph für deren Popularität. In der Opernwelt hatten hier Selma Kurz, Erik Schmedes und Leo Slezak die Spitzenpositionen, in der leuchten Muse Alexander Girardi, Mizzi Günther und Mizzi Zwerenz. Im übrigen – ob singende Kinder, ob Gustav Mahler dirigierend, Musik war auf Bildpostkarten allumfassend vertreten. Und vieles davon fasziniert uns heute noch.

Renate Wagner

 

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