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MÜNSTER: ROMEO ET JULIETTE – Premiere

30.04.2012 | KRITIKEN, Oper

Lerche und Nachtigall – oder die Liebespassion / Charles Gounod: Romeo et Juliette – Städtische Bühnen Münster, Premiere 29.4.2012

Leo Slezak witzelte einmal über die Besetzungsschwierigkeiten bei Verdis „Troubadour“, der sei doch eigentlich ganz einfach zu besetzen, schließlich benötigte man nur die vier besten Solisten … Bei Charles Gounods Shakespeare-Adaption „Romeo et Juliette“ verhält es sich noch einfacher, da benötigt man nur zwei. Doch die idealen Sänger zu finden, das hat es in sich, mit ein Grund, warum des Franzosen Hymnus auf das Veroneser Liebespaar nicht nur hierzulande recht selten auf den Spielplänen erscheint. Die Zeiten eines Björling, eines Kraus, eines Gedda sind tempi passati. Dank Rolando Villazon, Pjotr Beczala  und Zugpferd Netrebko feierte Gounods Fünfakter bei Festivals wieder eine Wiederbelebung. An „normalen“ Bühnen ist das Werk aber noch eine seltene Rarität.

Da die städtischen Bühnen Münster zur Zeit aber mit dem jungen Koreaner Yung-Seong Shim über einen Vertreter dieses Rollenfachs verfügen, konnte man sich in der westfälischen Metropole getrost auf das Wagnis einlassen. Vom ersten Takt an hält Shim das Publikum für sich gefangen. Die mühelose Attacke, mit der er die Morgendämmerung heraufbeschwört, um mit dem Strahl seines Tenors selbst den ersten Sonnenstrahl blass aussehen zu lassen, die delikate Clarté seines Timbres und die Delicatezza,  mit der er nicht nur seine Angebetete betört, neben für den jungen Tenor ein. Ein edles Juwel, das da Münster als Stimmpräziose bewahrt. Daneben besteht Henriette Jacob als dramatisch auftrumpfende Juliette. Sie ist nicht die süße, Koloratur versprudelnde Zwitschermaschine. Ihr leicht dunkeltimbrierter Sopran besticht eher durch seine edle Herbe. Allerdings leistete sie sich anfangs einige schneidende Schärfen, an denen die junge Sopranistin noch feilen sollte. Überzeugend ihre grandiose Leistung im zweiten Teil, wo sie ihre Fähigkeit zur Tragödie voll auskosten und -spielen konnte. Mit den beiden jungen Stimmen in Münster haben Lerche und Nachtigall ihren Widerhall gefunden.

Den dritten in dieser Oper erwähnten Vogel präsentierte uns Tijana Grujic als burschikos androgyner Page Stefano. Quirlig und degengewandt reizte der junge Mezzo mit dem Spottlied der entflogenen weißen Taube nicht nur das Blut der Capulets. Hier reift eine Rollenvertreterin heran, die sich für die großen Rollen ihres Fachs, Octavian, Komponist etc. empfiehlt. Der junge Kavaliersbariton Roman Grübner platzierte als Mercutio mit seiner delikat duftig vorgetragenen Ballade von der Königin Mab den ersten Hit des Abends. Mit seinem jungen koreanischen Tenorkollegen Jeong-Kon Choi lieferte er sich nicht nur belcanteske Klanggefechte sondern auch regelrechte Fechtattacken. Choi bestach nicht nur durch seinen edlen höhensicheren Tenor, womit er sich vielleicht schon als Alternative für die Titelpartie empfiehlt, sondern auch durch sein sportives Spiel. Die Stunts, die er mit gewandten Kaskaden und Rädern spickte,  waren Hollywood-reif.

Lobenswert sei somit auch die treffliche Kampfchoreographie, für die Benjamin Ambruster verantwortlich zeichnete, erwähnt. Diese Spielzeit auf die großen Priesterrollen fokussiert, spendete Plamen Hidjov als Frere Laurent nicht nur das fatale Gift, sondern verströmte auch balsamische Baßgewalt in seiner knappen, aber beeindruckenden Partie. Als Gertrude vermochte Suzanne McLeod einmal mehr mit ihrer großen Bühnenpräsenz zu überzeugen. Noblesse zierten den Comte Capulet in der Gestaltung Olaf Plassas und den Comte Paris durch Thomas Mayr. Den Bannspruch des Veroneser Dogen hätte man sich allerdings etwas nobler und stimmgewaltiger gewünscht, als durch den blassen Julian Schulzki. Chor und Extrachor der Städtischen Bühnen Münster (Einstudierung: Karsten Sprenger) repräsentierten würdevoll die Veroneser Gesellschaft.

Für das musikalisch exquisie Fundament sorgte Hendrik Vestmann mit seinem umsichtigen Dirigat. Zwar ließ es das Sinfonieorchester Münster zu Beginn etwas knallen und die Ouvertüre wirkte ein wenig zu forsch, aber schnell fand man in den edlen Ton und somit wurde die Aufführung allein schon musikalisch ein Hochgenuß. Vielleicht sollte man in Münster mit diesem Team durchaus auch mal wieder einen Meyerbeer wagen.

Szenisch bestach die Aufführung durch ihre unprätentiöse Strenge, die dem Werk durch eine feinabgestimmte Lichtregie und spartanischen Requisiten zu einer stimmungsvollen Aura verhalf (Bühne: Manfred Kaderk) , wozu auch die edlen, aber schlichten – für die Maskenszenen phantasiereich geschmackvollen Kostüme aus der Feder Ute Frühlings beitrugen. Igor Folwill beschränkte sich in seiner Regie auf das Wesentliche. Die Idee – gerade angesichts der verfahrenen finanziellen Situation in den kommunalen Kulturhaushalten – Shakespeares Drama und die Oper Charles Gounods im selben Bühnenraum aufzuführen – könnte nicht nur als „Münsteraner Modell“ Schule machen, sie birgt auch einen besonderen Reiz.

Das Publikum bedankte sich jubelnd für eine runde, in sich geschlossene Aufführung und war dankbar, einmal dieses großartige Werk aus der Feder Gounods erleben zu dürfen. Opernfreunden und Gourmets sei eine Fahrt nach Westfalen unbedingt anempfohlen, bis Mitte Juli sind noch sechs weitere Aufführungen anberaumt.

Dirk Altenaer

 

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