Über die (Un)möglichkeiten in Kriegszeiten einen Gottesdienst zu zelebrieren : Giuseppe Verdi: NABUCCO – städtische Bühnen Münster Wiederaufnahmepremiere im Rahmen der „Musica Sacra“ – 9.4.2012
Foto: Städtische Bühnen Münster
Es sind verstörende Bilder, die uns Regisseur Ansgar Haag mit seinem Ausstattungsteam (Bernd Dieter Müller – Bühne; Annette Zepperitz – Kostüme) für seine Münsteraner Nabucco-Inszenierung präsentiert, doch kennen wir sie nicht zu gut? Allabendlich flimmern sie in unsere Wohnzimmer aus den technischen hochauflösbaren Tabernakeln. Fazit der gemäßigt modernen Bibel-Adaption, angesiedelt in einem mediterranen Luxushotel: Es mögen sich die Zeiten, die Waffen geändert haben, an des Menschen Hang zur Intoleranz, zum religiösen Fanatismus hat sich im Laufe der Jahrtausende nichts, zumindest kaum etwas geändert. Die unprätentiöse, dabei spannende Inszenierung, die Haag für Münster bereits in der vergangenen Spielzeit kreierte, feierte am Ostermontag im vollbesetzten Haus als szenischer Abschluss der „Musica Sacra“-Reihe eine triumphale Wiederaufnahme.
Ein Hauch Mailänder Scala lag in der Luft, nicht allein dank der phänomenalen Raffaella Angeletti. Schlank in der Erscheinung, dabei mit einem betörenden Sopran gesegnet, der die Mordspartie der Abigaille mit ihren fatalistischen Registersprüngen mühelos bewältigt, hält die Angeletti nicht nur ihren Vater, das Volk Israel gefangen, nein sie überwältigt auch das Publikum. In atemberaubender Weise gelingt es der Piemonteserin, uns diese machtbesessene Person glaubhaft zu machen, bis sie zuletzt an ihrer Hybris zugrunde geht. Angeletti findet nach all den Attacken, fulminant ihr brustig rundes „Prode guerrier“, ihre makellos dargebrachte große Arie „Ben io t’invenni – Anch’io dischiuso“, für die finale Preghiera filigranste zarteste Töne voller Innigkeit.
Neben ihr Paolo Ruggiero als Nabucco. Auch er lässt uns den Machtmenschen, der sich vom demagogischen Tyrannen zum Gottesfürchtigen wandelt, glaubhaft erscheinen. Ganz in der großen italienischen Belcantoschule stehend, nimmt Ruggiero mit wohltimbriertem Bariton für sich ein. Ergreifend seine Anbetung Jehovas und die Gestaltung seiner Wandlung, die sich schon im großen Duett mit seiner Tochter Abigaille andeutet.
Nur wenige Häuser dürfen sich glücklich schätzen, einen veritablen Belcantisten und Spinto im Ensemble zu führen. Münster hat mit Andrea Shin einen solchen Tenor. Nun zählt Ismaele wohl zu den undankbarsten Rollen seines Fachs, aus der Feder des Meisters von Roncole. Keine eigene Arie außer wenigen ariosen Stellen, gehört sie aber zu den heikelsten Partien Verdis. Shin bewältigt das mit seinem Ausnahmetenor, dessen Timbre an den großen Carlo Bergonzi erinnern lässt, mühelos. Dankbar kann man als Melomane dem Leitungsteam sein, dass es Ismaele, durch eine Arie aus der dem Nabucco folgenden Werk, Verdis Vertonung von Byrons Dogendrama „I due Foscari“, doch noch zu tenoral kantablen Ehren kommen ließ. Aus dem originalen „Venezia“ wurde einfach „Gerusalemme“ – und so wurde das Publikum mit Jacopos Arie „Ah si, ch’io senta ancora“ in der großartigen Interpretation Andrea Shins beschenkt. Noch undankbarer als der Ismaele ist die kleine Rolle der Anna, die zwar im Bühnengeschehen integriert ist, aber erst den finalen Jehova-Hymnus überstrahlen muß. Hellen Cho bewältigte das mit ihrem engelsgleichen Glockensopran süperb. Es wäre schön, sie einmal in einer größeren Partie hören zu dürfen. Ihren Bruder Zaccaria, den geistigen Führer der Hebräer, zeichnete Plamen Hidjov als fanatischen Politiker des Glaubens. Seine Worte waren Stachel und Balsam zugleich, dafür war Hdjiovs nobler Basso cantante die Idealbesetzung. Judith Gennnich (Fenena), Jin-Chul Jung (Abdallo) und Thomas Mayer als Oberpriester des Baal rundeten das homogene Ensemble ab.
Eine nicht unwesentliche Rolle spielt gerade im „Nabucco“ der Chor und der zeigte sich in Münster wieder von seiner exquisitesten Seite. Bestens von Donka Miteva präpariert gehörten die Chorauftritte zu den absoluten Höhepunkten des Abends. Ergreifend und wohltuend wider des „Schlager“-Klischees, interpretierten sie die inoffizielle Nationalhymne Italiens als Hoffnungs spendenden Klageruf. Die szenische Umsetzung, die das Regieteam dazu fand, die Situation eines Volkes im Paßamt sich der Willkür bei der Ausreisegenehmigung auszusetzen, wirkte im ersten Moment etwas maniriert, wenn nicht affektiert, gewann aber zunehmend an ergreifender Dichte.
Für die Wiederaufnahme ließ es sich GMD Fabrizio Ventura nicht nehmen, selbst den Taktstock zu erheben. Unter seiner fiebernden Attacke peitschte das Sinfonieorchester Münster atemberaubend durch die Partitur. Brio und Italianità sorgten für einen exquisiten kurzweiligen italienischen Opernabend der Extraklasse. Das Publikum zeigte sich darob dankbar und äußerst enthusiasmiert.
Dirk Altenaer