MÜNCHEN, OPERA INCOGNITA, Giacomo Puccini, „LA BOHÈME“, NI, 3. Vorstellung, 30.5.2013,
In den vergangenen Jahren füllte die Operncompagnie Opera Incognita mit selten aufgeführten Werken (Puccinis „Edgar“) oder außergewöhnlichen Spielorten (Müllersches Volksbad, Circus Krone) die opernarme Sommerzeit. Heuer präsentierte man mit Puccinis Bohème eines der meistgespielten Werke der Opernliteratur im Hubertussaal des Nymphenburger Schlosses. Nicht in großer Orchesterbesetzung, sondern mit einem kleinen, feinen Solistenensemble (2 Violinen, je 1 x Viola, Cello, Kontrabass, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott). Auch diesmal hatte der musikalische Leiter Ernst Bartmann Puccinis Partitur für das kleine „Zimmerorchester“ eingerichtet und man war überrascht und begeistert, wie klar und authentisch die bekannten Melodien klangen. Bravouröse Virtuosität der Instrumentalsolisten und geschickte Improvisation ließen völlig vergessen, dass hier ja „nur“ 10 Musiker an den Pulten saßen.
Regisseur Andreas Wiedermann hatte sich von Bühnenbildner Anton Empl ein Einheitsbild bauen lassen: Eine Art Wintergarten unter dem Dach, mit Couch und Weihnachtsbaum. Die Vierer-WG ist mit Schreibmaschine, Handy und Glühbirnen bereits im 20. Jahrhundert angekommen. Mimi leidet nicht mehr an der Lunge, sondern ist psychisch krank (Borderline-Syndrom) und konsumiert von Heroin bis ‚Schnee‘ alles, was der Drogenmarkt bietet. Auch Rodolfos Liebe kann sie nicht von ihrer Sucht heilen, Erlösung bringt ihr nur noch der ‚goldene Schuss‘.
Auch wenn ich zunächst ein wenig den Eindruck von Schultheater hatte, so bewunderte ich im Verlauf des Abends doch viele witzige Ideen und Improvisationen: Statt des Aufmarsches der Wache mit Blaskapelle trommelte der Kontrabassist einen zackigen Rhythmus. Und weil in der Mansarde ein Weihnachtsmarkt schlecht durchführbar ist, kehrte man eben von demselben zurück, um sich bei Pizza Salami und Wodka mit krähendem Vergnügen über den Geschenkesack des Santa Claus herzumachen. Dass der Weihnachtsabend dann für alle in komatösem Zustand endete – nun, derlei soll ja im wirklichen Leben auch vorkommen.
Bei den jungen Sängern gab es einige sehr schöne Talente zu hören: Dorothee Koch als schönstimmige, mit warmem Sopran begabte Mimi, deren Spiel der Drogenabhängigen wirklich anrührte; den Italoamerikaner Rodrigo Trosino, der rein äußerlich jeden Italowestern zieren würde, mit strahlendem, in der Höhe wunderbar aufblühendem Tenor – ihn würde man gern in anderen Partien wiedersehen; den noch am Mozarteum studierenden Münchner Bassbariton Martin Summer, der als Colline sich ergreifend von seinem Mantel verabschiedete. Vervollständigt wurde das Jungvolk von Florian Dengler als Schaunard und Johannes Gruber als Benoit/Alcindor. Akustischer Schwachpunkt war leider das zweite Paar: Maria Vigdis Kjartansdottir als grell-scharfe Musette und Maxim Matiuschenkov, dessen Marcello nicht mit schönen Farben sondern mit blechern-hohlem Bariton aufwartete.
Das Publikum vergnügte sich prächtig und dankte mit reichlich Applaus für eine bunte, überzeugend in die heutige Zeit transferierte, Inszenierung, die mit den Beschränkungen des Spielortes gut zurecht kam. Und noch einmal ein Extralob für das grandiose kleine Orchester.
Jakobine Kempkens