MÜNCHEN, Bayerische Staatsoper, Giuseppe Verdi, „SIMONE BOCCANEGRA“, NI, 2. Vorstellung, 6.6.2013
Endlich mal wieder ins Kino gehen, einen schönen alten Film sehen mit rauchenden, trinkenden Männern in Popelinemänteln, die in einer Eckkneipe auf die Direktiven ihres Bosses warten. Und da kommt es auch schon, das große schwarze Auto und heraus steigt…. nein, nicht Lino Ventura, sondern Zeljko Lucic. Denn wir sind nicht im Kino, sondern im Nationaltheater. Man spielt „Simone Boccanegra“, Verdis Piraten- und Schurkenstück. Simone (Zeljko Lucic), ein gereifter Jungmann mit speckiger Lederjacke und ebensolchen Haaren, muss erfahren, dass seine Geliebte Maria gestorben ist und versucht verzweifelt, den Leichnam zu entführen. Zuvor hatten Pietro (Goran Juric) und Paolo (Levente Molnár) Simone überredet, sich als Kandidat des Volkes zum neuen Dogen von Genua ausrufen zu lassen.
Nach diesem durchaus ansprechenden Prolog ist 25 Jahre später Genua eine triste Stadt geworden. Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov und seine Kostümbildnerin Elena Zaytseva bevorzugen grau und schwarz. Da wird im 1. Akt vor einer hohen grauen Wand gesungen, immerhin gibt es ein Fenster und einen Stuhl für Amelia (Kristine Opolais). Ihr Geliebter Gabriele Adorno (Stefano Secco) trägt schwarzweiße Motorradkombi und Simone trägt nun Anzug und Brille. Fiesco (Vitalij Kowalow) arbeitet als Padre Andrea weiter erfolgreich an seinen Racheplänen. Nach dem filmkulissenreifen Prolog spielen die anderen Akte in einer Konferenzhalle. Ist Furor angesagt, dann werden ein paar der zahlreich aufgestellten schwarzen Stühle umgeworfen. Das Volk stürmt in moderner grau-schwarzer Alltagskleidung in die Halle, ansonsten darf jeder mal abwechselnd auf einem Stuhl sitzen. Simone erliegt nicht dem Giftbecher, sondern schreitet, nach einem Wahntaumel mit Papierdogenmütze, zur Tür hinaus. Tja, angesichts von soviel „Aktion“ hätte man auch gut konzertant spielen können – Stühle genug waren ja da! Durch diese Regie (oder sollte man besser sagen Nicht-Regie?) gehen dramatische Szenen wie der Volksaufstand, die Selbst-Verfluchung des Paolo unter.
Da kann Bertrand de Billy im Graben noch soviel Emphase zeigen. Zwar kann man im Programmbuch einige Gedanken von Tcherniakov nachlesen, z.B. dass Simone nur glaubt, dass Amelia seine Tochter ist und vice versa. Doch ob nun eingebildete oder reale Verwandschaft, klar wird das in seiner Regiearbeit nicht. Also ein ärgerlicher Abend? Nein – viel schlimmer, äußerst fad und man würde wohl die letzte Viertelstunde sanft entschlummern. Wenn nicht Verdis herrliche Musik dagegen stünde und ein Solistenensemble mit zum Teil herausragenden Leistungen:
Zeljko Lucic (Simone), dessen warmer Bariton bei Verdi purer Genuss ist. Vitalij Kowaljow (Fiesco) mit balsamischem, schwarzen Bass – ein betörender Racheengel, mit ungeheurer Präsenz und selbst in der Priesterverkleidung mit bühnenbeherrschendem Charisma. Kristine Opolais (Amelia) hatte leider nicht ihren blühendsten Abend und Stefano Secco als Gabriele sang ordentlich. Perfekt in Statur und Ausdruck die beiden Intriganten Paolo (Levente Molnár) und Pietro (Goran Juric).
Am Schluss deutliches, verdientes Buh für die Szene und heftige Ovationen für die Solisten und Bertrand de Billy.
Jakobine Kempkens