Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: SIEGFRIED

01.06.2012 | KRITIKEN, Oper

München, Bayerische Staatsoper, Richard Wagner,  „SIEGFRIED“, – 31.5.2012, NI, 2. Vorstellung

Der Bewegungschor hatte reichlich zu tun: Die Heerschar von jungen, sehr beweglichen Menschen formte quasi das Bühnenbild, ob lodernde Flamme, gieriger Drache, kahle Felsen, hohe Bäume oder als zappelnde Gestalten im Gitter hängend vor Fafners Neidhöhle. Überraschend, gelegentlich unfreiwillig komisch, manchmal spielerisch, meist sehr ästhetisch und immer bewundernswert, wie das Statistenheer mit geschmeidigen Bewegungen Formationen einnahm und sich lautlos wieder auflöste (Choreographie: Zenta Haerter). Das Wenige, was dann noch an Bühnenbild (Harald B. Thor) auf- und abzubauen ist, wird fast ausnahmslos auch von der Statisterie erledigt.

Regisseur Andreas Kriegenburg bietet mit den „Menschenbildern“ dem Zuschauer viel Raum für Phantasie auf der ansonsten eher kargen Bühne. Allerdings löst so manches Neckische wie der doppelte, mit Flügeln wedelnde, Waldvogel (Sängerin + Statistin) bei Puristen wohl eher Stirnrunzeln aus. Noch mehr das Happening zu den Schmiedeliedern: Da wimmelt und wuselt es vor Menschen, die einen Blasebalg darstellen, mit Konfetti oder bunten Papierstreifen Funken und Feuer „spielen“ und mittendrin schmiedet Siegfried bzw.  braut Mime sein giftiges Gebräu. Das ist zwar bunt und vielleicht auch komisch, lenkt aber völlig vom eigentlichen Geschehen ab. Dafür ist die Schlussszene umso gelungener: Nachdem Siegfried sich durch die Menschenmauer gekämpft hat, bedeckt rotes Tuch Boden und Rückwand der Bühne, ein großes Bett wird gebracht und nach anfänglich schüchterner Abwehr versinkt Jung-Siegfried in liebestollen Jubel mit Brünnhild.

Musikalisch schwimmt man bei diesem „Siegfried“ fast durchgehend auf wonnigen Wogen reinsten Genusses: Lance Ryan, ein Siegfried der Extraklasse, der über schier unerschöpfliche Kraftreserven verfügt, sich vom köstlich-naiven Waldkind zum kraftmeierischen Jüngling und schließlich zum ängstlich-schüchternen Liebenden wandelt; Catherine Naglestad, die in dieser Produktion als Brünnhild debütierte und deren leuchtendes „Heil Dir, Sonne“ wirklich das musikalische Firmament erstrahlen ließ; Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, dessen schmuddeliger, nägelkauender Mime schon bedenklich neurotische Züge aufweist und der mit hellem, nie scharfem Tenor absolut textverständlich seine Ränke spinnt; Wolfgang Koch, der als Alberich mit mächtiger Stimme und Statur auftrumpft und dessen Weltherrschaft – gemessen an Stimmkraft und Präsenz – schon angebrochen zu sein scheint; sein Gegenspieler Thomas J. Mayer blieb da als Wotan eher blass und monochrom; schließlich noch das bezaubernde Waldvöglein (Anna Virovlansky), das mit blühendem Sopran herrliche Girlanden wob.

Im Graben waltete Kent Nagano, vor allem aber das Bayerische Staatsorchester, das wie immer bei Wagner und Strauss hörbar „zuhause“ war, Sänger und
Zuschauer trägt und nicht erschlägt. Dazu das phantastische Liebespaar Brünnhild-Siegfried, denen Catherine Naglestad und Lance Ryan so wunderbar lyrischen Ausdruck geben, bei denen Spiel und Gesang völlig natürlich – und scheinbar mühelos – verschmelzen, so dass langjährige Wagnerianer mit glücklichem Lächeln hinausgehen „So gesungen und nicht gestemmt oder geschrieen hat man die Schlussszene schon lange nicht mehr gehört!“.

Fazit: Wenn man von einigen szenischen Überflüssigkeiten absieht, ist dieser Siegfried gut anschaubar. Wer sich allerdings z.B. einen Bezug vom nibelungischen Streben nach Gold zur zeitgenössischen Gier nach Geld erwartet hatte, wird enttäuscht sein. Doch solch fehlende tagespolitische Ansätze müssen bei einer
Operninszenierung kein Nachteil sein, soll diese doch etwas länger überleben als eine Quartalsbilanz.

Verdienter großer Jubel und unbedingt sehens- und hörens(!)wert!

Jakobine Kempkens

 

Diese Seite drucken