München/Staatsoper: L´ ELISIR D´ AMORE am 30.12.2011 (Georg Freund)
Man kann nur zur hl. Cäcilie als Patronin der Musik und zu allen 9 Chören der Engel flehen: Erhaltet uns die Wiener Inszenierung des Liebestrankes von Otto Schenk und bewahrt uns vor einer Inszenierung, die aus dieser feinsinnigen Komödie eine platte Farce macht !
Das Textbuch zu Donizettis Liebestrank zählt sicherlich zu den psychologisch überzeugendsten der gesamten Opernliteratur. Libretto und Musik zeichnen richtige Menschen, glaubhafte Charaktere, die eine Entwicklung durchleben, mit denen wir mitfühlen und die unser Interesse erregen, wenn wir diese Oper auch noch so oft gehört haben. Wer wird nicht mit großer Sympathie die bedingungslose Liebe Nemorinos und die Wandlung Adinas von einer Koketten zur wahrhaft Liebenden voll Interesse mitverfolgen? Wenn diese Gestalten aber von David Bösch zu Witzfiguren degradiert und ihres sozialen Umfeldes, in dem sie fest verankert sind, beraubt werden, dann mindert sich diese Wirkung, geht allerdings nicht ganz verloren, denn Donizettis Meisterwerk hält ungemein viel aus und ist sozusagen ein unsinkbares Schiff.
Bei Bösch spielt der Liebestrank in einer dunklen, von Trockeneisdampf erfüllten postapokalyptischen, mit Scherben und alten Gießkannen übersäten Landschaft. Bisweilen sind aber auch riesige, aus Luftballons oder Glühbirnen gebildete Herzen sichtbar, wohl um die ganz Dummen darauf hinzuweisen, dass das Stück von Liebe handelt. Die Damen und Herren des Chores sind leichenhaft geschminkt und tragen dreckige Kostüme, die aussehen wie aus einer Sammelaktion der Heilsarmee. „Es ist die Ärmlichkeit der Kostüme, die untergründig auch Liebe verrät“ meinte der Regisseur in einem Gespräch – ach Jottchen, das is mal ne tolle Erkenntnis, die auch unbarmherzig mit letzter Konsequenz umgesetzt wird. Nemorino ist als dummer August ausstaffiert, Adina trägt allerdings nicht Unterwäsche, wie man erwarten würde, sondern ein schäbiges, schmutziges Kleid- jeder Zoll keine reiche Pächterin. Dulcamara fährt auf einer Art Heuwender, der Dampf speit und dem eine riesige Metallkugel mit Bullaugen aufgesetzt ist, auf die Bühne. Der dadurch in Mythische überhöhte Quacksalber trägt ein glitzerndes Gewand und eine Krone aus zuckenden Glühbirnen, sein Liebestrank befindet sich nicht in einer Flasche, sondern in einem goldenen Feuerlöscher und wird nicht getrunken, sondern aus einem Schlauch versprüht. Belcore und seine grausamen Soldaten, die den Notar blutig schlagen, und unter den Dorfbewohnern Furcht und Schrecken erregen, sind futuristisch eingekleidet. Der Ausstatter ist offenbar der fragwürdigen Ästhetik der Mad Max- und Zombie-Filme verpflichtet. Bösch kommt vom Schauspiel her und zeigt seine Kunst lt. Programmheft vornehmlich in Bochum und Bonn.- in einer Großstadt sollte er sich lieber nicht produzieren, denn er steht dem Chor völlig hilflos gegenüber und versteht es ganz und gar nicht, ihn einigermaßen sinnvoll zu bewegen. Zugutehalten muss man ihm allerdings, dass er die Grundhandlung des Stückes beibehält und sie nicht durch eine sinnwidrige Neuschöpfung ersetzt. Er beherrscht auch noch nicht die neuesten Gags des Regietheaters, denn er vervielfacht nicht die Figuren, macht den Schnürboden nicht zum Aktionsraum und verzichtet auf jeglichen Kleiderfetischismus.
Viel besser als der visuelle war der musikalische Teil der Aufführung. Der Liebestrank ist eine Tenoroper und Pavol Breslik brillierte auch wie erwartet in seiner Rolle. Noch mehr als die sehr schön gesungene Arie Una furtiva lagrima hat mich das mit höchster Emotion dargebotene Adina credimi beeindruckt. Solche vokal ausgedrückte glaubhafte Verzweiflung habe ich weder von Pavarotti, noch von Carreras oder Alagna, um nur einige der besten Nemorinos der letzten Jahrzehnte zu nennen, gehört. Wunderschönes Timbre, perfekte Legatokultur und intelligente Phrasierung vereinigten sich zu einer Glanzleistung. Hervorzuheben ist aber auch ein geradezu artistischer Körpereinsatz: Seine große Arie muss Breslik singen, nachdem er einen hohen Lichtmast erklommen hat. Mit einer Hand hält er sich in schwindelnder Höhe fest, in der anderen muss er drei Luftballons halten. Auch sonst muss er ständig tänzeln und über die Bühne laufen. Adina wurde von der bildschönen Slowakin Adriana Kucerova sehr hübsch gespielt und gesungen. An ihren Gesangsverzierungen sollte sie freilich noch etwas arbeiten. In der Rolle des Dulcamara, die oft von einem Bariton past his prime verkörpert wird, triumphierte Ambrogio Maestri: Stimmkraft und –schönheit, enorme Bühnenpräsenz und Spielfreudigkeit ergaben eine großartige Leistung. Nicht dieses Niveau erreichte Levente Molnar in der Rolle des Belcore. Sein Timbre ist recht rau, aber so richtig schlecht war er nicht.
Am Pult stand der auch in Wien schon bekannte Dan Ettinger. Trotz eigenartiger Pumucklfrisur ist er ein durchaus solider, sein Handwerk beherrschender Dirigent, allerdings mit großer Neigung zu Lautstärke. Er gefiel mit wesentlich besser als so mancher gefeierte Jungstar, dessen theatralisches Gefuchtel und Gewedel nur zu Verwirrung im Orchestergraben und auf der Bühne führt. Beeindruckt haben mich die Hornisten des Bayerischen Staatsorchesters: Keinen falschen Ton habe ich von ihnen gehört – wenn man da an die Hornisten der Philharmoniker in der Wiener Staatsoper denkt…
Es gab freundlichen Applaus für alle Mitwirkenden – Breslik und Maestri wurden mit Jubel und Getrampel gefeiert.
Dr. Georg Freund