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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: GÖTTERDÄMMERUNG – Premiere

02.07.2012 | KRITIKEN, Oper

MÜNCHEN/BAY. STAATSOPER: GÖTTERDÄMMERUNG – Premiere am 30. Juni 2012


Stephen Gould, Nina Stemme. Foto: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper

Nun ist er also abgeschlossen, der neue Münchner „Ring“, innerhalb nur einer Spielzeit eine Rekordzeit, das muss man Intendant Nikolaus Bachler lassen, und darum wird ihn in dieser Wagner-lastigen Zeit manches Haus beneiden. Aber ist der Kriegenburg-„Ring“ auch geschlossen?! So recht hat sich dieser Eindruck nach der Premiere der „Götterdämmerung“ nicht eingestellt. Was man da – vor allem – zu sehen bekam, in den Bühnenbildern von Harald B. Thor, den Kostümen von Andrea Schraad und der Choreografie von Zenta Haerter, war am Ende doch nicht viel anderes als was man in jüngeren Wagnerschen Regietheater-Produktionen in Europa sehen kann, nur noch eine Ecke verrückter und aufdringlicher. Und dabei gab es auch noch eine Reihe wahrlich hinlänglich bekannter déjà-vus.

Von der anfänglichen und insbesondere in München viel diskutierten Konzeption Andreas Kriegenburgs und seiner Dramaturgen Marion Tiedtke und Olaf A. Schmitt, das Geschehen in Form von Menschenleibern sozusagen lebendig mythologisch zu interpretieren und darzustellen, ist am 3. Tag der Tetralogie so gut wie nichts übrig geblieben. Ohnehin schwierig, denn in diesem Stück geht es um die Ebene der Menschen und ihre Intrigen, weniger um den Mythos. Dabei hatte es im „Rheingold“ sehr gut funktioniert und schien bereits einen neuen Akzent in der „Ring“-Rezeption zu setzen. In der „Walküre“ wurde dieses Konzept mit den livrierten Dienern, die wechselweise als Sitzfläche oder Sekttablett zu Diensten waren, bereits zweifelhaft. Es konnte wohl noch mal im „Siegfried“ streckenweise überzeugen, u.a. mit einer interessanten menschlichen Darstellung des Drachen Fafner.

Nun war man aber in der Realität des allzu alltäglichen „Regietheaterismus“ angelangt. Es beginnt mit einer Gruppe von Angehörigen mutmaßlicher Tsunami-Opfer vor den Bildschirmen der Katastrophe in Japan, die wie ein CNN-Studio anmuten. Statt der wunderbaren Auftakt-Akkorde und des nachfolgenden Streicherwebens ist erst mal ein undefinierbares Getuschel zu hören. Während die völlig weiß gekleideten langhaarigen Nornen ihren roten Strickfaden um die sorgenvoll Harrenden und nacheinander endgültig Verzweifelnden legen, werden diese langsam auf Radioaktivität abgetastet. Nach eingehender technischer Prüfung werden ihnen die letzten Bildchen ihrer Lieben genommen und in einen gelben Müllsack mit dem schwarzen Radioaktivitäts-Symbol entsorgt. Dabei bekommt man von der herrlichen, erhabenen Musik des Prologs rein gar nichts mehr mit, es sei denn, man macht die Augen zu. Brünnhilde und Siegfried haben sich in einer kleinen Holzkammer eingenistet, deren Wandbretter – hier nun wieder Kriegenburgs Menschen – von Statisten gehalten und beim Szenenwechsel auch wieder weggetragen werden. In der 4. Szene wird Siegfried praktischerweise das Schwert durch die Spalten herein gereicht. Später bilden diese Statisten mit ihren Mänteln den wogenden Rhein, auf dem er mit einem Kahn zu den Gibichungen rudert. Beides ist nicht unbedingt von umwerfender szenischer Wirkung.

Das ist allerdings die überaus luxuriöse Gibichungenhalle aus Glas in mehreren Etagen und mit drei Zugbrücken, in dezentem, aber total kühlem last minute design. Mit der stets auf der Höhe des Geschehens befindlichen Lichtregie von Stefan Bollinger schimmert sie in beeindruckenden Pastell-Tönen. Die Halle ist in der Tat optisch imposant, wird allerdings von da an zum nicht immer zielführenden Einheitsbühnenbild für den langen Rest des Stücks. Man muss sich fragen, wie in Zeiten allgemein knapper Mittel solch eine bühnenbildtechnische Opulenz überhaupt noch möglich und nötig ist, zumal der szenische Effekt sich in Grenzen hält. Immerhin hätte statt des vor der Zeit zu sehenden Pferdes Grane besser eines jener Luxusautos aus dem dieser Gibichungenhallen-Ästhetik ähnlichen vielstöckigen Auto-Ausstellungshaus einer deutschen Luxusmarke an der Donnersberger Brücke in die Vitrine gepasst…

Was in dieser Lobby, wahrscheinlich eines Großkonzerns, abgeht – denn hinten sind permanent Bürokaten mit endlosen stupiden Bürogängen, Telefonaten und Laptops beschäftigt – , ist an manieristischer wie hedonistischer Übertreibung kaum zu überbieten.
Das völlig dekadente Gibichungen-Paar benimmt sich wie die Axt im Walde, um es gelinde auszurücken. Wenn man gerade mal keinen Whisky oder Gin zu sich nimmt und der blowjob durch die Kellnerin und Reinmachefrau unter dem Nadelstreifen-Anzug bei Gunther beendet ist, wird schnell eine Prise Kokain geschnupft. Oder Gutrune reitet auf einem riesigen Euro-Zeichen wie auf einem Schaukelpferd herum, mit der Mimik und dem Verhalten eines Flittchens, das nebenbei wohl auch mit Gunther – wie so oft schon gesehen – noch was hat. Wird dennoch die Langeweile zu groß, muss die Kellnerin sich (un-)willig an der Bar mal kurz von hinten nehmen lassen, und Gutrune darf etwas später offenbar Genuss bringend in ihrem Schritt fummeln. Gunther setzt mit für einen erfahrenen Spieler kläglich wirkenden Probeversuchen just in dem Moment, als Siegfried die Glastüre nicht aufbekommt und in die Halle will, zum entscheidenden Golfschlag in die Scham der im Put-Abstand sitzenden und peinlich berührten Kellnerin an. Zu ihrer persönlichen Sicherheit und möglicherweise nach Auflagen der Bühnengewerkschaft mit einem leichteren Ping Pong Ball, weshalb der Schlag natürlich daneben geht. In der anschließenden Szene mit Siegfried sorgt sich Gutrune (in 1:1-Kopie des „Ring“ von La Fura dels baus in Valencia) mit ihrem großen Kleiderständer um ein standesgemäßes Outfit ihres Zukünftigen… Die folgende Waltraute-Szene ähnelt jener des Vorspiels in derselben tristen Bretterzelle wie aufs Ei und verliert damit gehörig an Spannung.

Im 2. Aufzug liegt Hagen erschöpft im eleganten Clubsessel, und neben ihm auf dem Sofa schlummern halbnackt zwei junge Damen, die es ihm offenbar im Rahmen einer größeren nächtlichen Party besorgten. Denn bei Beginn der Morgendämmerung komplimentiert er sie mit ein paar Dollarnoten schnell hinaus. Unter den Resten des Festes findet Alberich einen Damenslip am €-Schaukelpferd, den er heimlich einsteckt, und lässt, bevor er sich verzieht, noch eine Flasche Whisky und Gin mitgehen sowie das Begrüßungsgeschenk, welches Gunther Siegfried anbot und dieser nicht als solches erkannte. Nun folgt Kriegenburgs oberlehrerhafte Abrechnung mit den in der Tat immer grenzenloser werdenden Handy-Anrufern und -Fotografen. Alle Mannen escheinen statt mit Waffen mit Handys und betätigen diese in jedem Moment, in dem sie nicht singen müssen, auch wenn es nur Sekunden sind. Sogar Hagen zieht schließlich das Handy in der allgemeinen drahtlosen Kommunikationsfreude. Anschließend nutzen sowohl der Damen- wie der Herrenchor die Mobiltelefone zum unablässigen Fotografieren Brünnhildes und der Speereide, die auf einem riesigen €-Tisch in mammonartigem Golddesign stattfinden. Beim anschließenden Dreiergespräch verschläft Gunther mit dem Brautkranz Brünnhildes auf dem Kopf nach weiteren Drinks ihren Kommentar, dass Siegfried im Rücken verwundbar sei. Das passt sogar nicht zu seinen weiteren Auslassungen zum gemeinsamen Projekt.

Im 3. Aufzug kommen die Rheintöchter aus bühnentechnischen Gründen gleich selbst in die Gibichungenhalle und sehen einmal mehr Kriegenburgs Menschenleiber – nun im Vollrausch und teilweise schütter bekleidet nach der Hochzeitsfeier auf dem Boden liegend, zwischen leeren Sektflaschen, Damenslips und BHs, vornehmlich in schwarz – immerhin. Siegfried ist auch unter ihnen, hat sich mit einem Finger in einer Gin-Flasche verhaspelt. Es wird nicht nur hier gegibbelt im Publikum – dabei ist es ja einfach  z u  albern. Bei aller nahezu zwanghaft wirkenden Aktualisierung des Geschehens muss dann der gute Hagen doch wieder einen traditionellen Speer zur Hand nehmen, um Siegfried von hinten anzupieksen und sein vorzeitiges Ableben herbei zu führen. Fast unerwartet wird dessen Tod dann zu einem der wenigen Momente mit Fallhöhe. Er stirbt in den Armen einer Gruppe von Mannen gewisserweise als kollektives Erlebnis sehr würdevoll.

Der folgende Trauermarsch wird durch das geräuschvolle Beseitigen der Akten und Computerbögen des Konzerns auf den Galerien und das Herumlaufen von Menschenmassen unten wie auf einem Zentralbahnhof akustisch vertrampelt und damit eigentlich vergeudet. Weit weniger würdevoll als Siegfried sterben durfte, muss Brünnhilde sodann ihren große Schluss-Szene bestreiten, zeitweise auf den Knien vor ein paar noch immer nicht entsorgten Damenslips, BHs und Sektflaschen – banaler geht es kaum. Hinten brennt bereits das Mobiliar technisch geschickt in hellen Flammen, denen sich die Aufgeklärte mit ruhigem Gang anvertraut. Hagen taucht anschließend in den Menschenmassen unter, die genau so wie bei Dorst in der stehen bleibenden Halle umherlaufen und sich wegen des Rauchs Taschentücher vor die Nase halten. So schlimm ist es offenbar auch wieder nicht, selbst wenn die Musik anderes suggeriert. Etwas versöhnen kann am Schluss die Gutrune-Dramaturgie, denn sie bleibt als einzige voller Verzweiflung und Reue in der Halle. Aus dem möglicherweise vom brennenden Walhall ausgehenden rötlichen Schein kommt aus dem Hintergrund eine Gruppe weiß und damit unschuldig gekleideter junger Menschen nach vorn und umringt Gutrune in verzeihender Gestik. Das war zum Mutterliebe-Motiv der Sieglinde dann doch noch ein würdevoller Schluss und Ausblick auf eine bessere Zukunft…

Abgesehen von einigen wenigen Szenen gewisser symbolischer Tiefe und emotionaler Intensität war die Botschaft Kriegenburgs wohl eine andere: Bis zum Exzess wird mit dieser „Götterdämmerung“, im Ansatz sogar plausibel, eine tatsächliche oder vermeintliche Fehlentwicklung unserer Gesellschaft aufgezeigt, und das zieht sich durch das gesamte Stück: Niemand hört dem anderen mehr zu, alle sind nur noch egozentrisch mit sich selbst beschäftigt, in den Momenten größter Wichtigkeit und Bedeutung passt keiner auf und beschwört damit die kommende Katastrophe leichtfertig mit herauf. Das Handy mit seiner Fotofunktion wird zum Symbol für gesellschaftlichen Voyeurismus und Kommunikationszwang ohne Inhalt, was es tatsächlich ja auch immer mehr wird. Das hätte man mit den Mitteln des Theaters auch ganz anders, dezenter und deshalb umso überzeugender und nachhaltiger zeigen können. Durch den nahezu suchtartig und in manchen Szenen bereits aufdringlich wirkenden Gag- und Überraschungscharakter geht der gute Ansatz einer durchaus relevanten Botschaft weitgehend verloren, verpufft in der kaum noch nachvollziehbaren Detailverliebtheit von Aktionismen, die nicht nur von Kriegenburgs Thema ablenken, sondern auch von Wagners Musik und zu dieser über lange Strecken jeden Bezug verlieren. Die Handy-Orgie im 2. Aufzug wirkte lächerlich und penetrant. Bis auf ganz wenige Ausnahmen war die Absicht zu erkennen, eine sich auch nur in Ansätzen entwickelnde Schwere bzw. gar ein gewisses Pathos aus der Handlung herauszunehmen oder sich gar nicht erst entwickeln zu lassen, und das ohne jede Beachtung der jeweiligen musikalischen Aussage. Nur ein Beispiel soll hier für viele andere stehen: Als es endlich einmal ernst zu werden scheint gegen Ende des 2. Aufzugs und Hagen, Brünnhilde und Gunther sich bedeutungsschwanger zu einer Strategieentwicklung an den €-Tisch setzen, kommen die Kellnerinnen Gläser putzend herein und platzieren sie geräuschvoll, stilgerecht und anweisungsgemäß auf dem Tisch, von dem ohnehin niemals jemand mehr etwas zu sich nehmen wird. Das wirkte wie ein Schlag ins Gesicht! Eine klare Überzeichnung und damit ein Verlust an Intensität der Aussage. Es ist mit einem Satz gesagt: Weniger, und zwar viel weniger, wäre in dieser Produktion oft viel mehr gewesen. Überdies hatte diese „Götterdämmerung“ so gut wie keinen Bezug zu der Ästhetik der drei Abenden zuvor. Sie steht in ihrer Ästhetik nun in einer Reihe mit der vorzeitig gescheiterten „Götterdämmerung“ des letzten Münchner „Ring“ von David Alden und seiner Dramaturgin Nike Wagner.

Sängerisch sah es schon viel besser aus. Nach einem Nornenterzett, das in allen drei Fällen dem Mindestniveau für diese Rollen nicht ganz entsprach (Jill Grove, Jamie Barton und Irmgard Vilsmaier), boten Nina Stemme als Brünnhilde und Stephen Gould im Vorspiel schon die gewohnte Weltklasse-Leistung. Stemme ist stimmlich weiter gereift, ihr Sopran scheint, möglicherweise wegen der rasch zunehmenden Zahl von gesungenen Brünnhilden, schwerer geworden zu sein. Wenn auch das hohe C im Vorspiel leicht an der Grenze der Schärfe war, konnte sie in der Schlussszene des 1. Aufzugs, bei den Speereiden und im Finale ihre ganz große Souveränität ausspielen, stimmlich wie darstellerisch – eine ungemein emphatische Brünnhilde, mit Determination und Durchschlagskraft in jeder Hinsicht. Stephen Gould sang wieder mit einer Intensität und Klangschönheit sowie Ausdauer, die auf diesem höchsten Niveau wirklich ihresgleichen suchen. Der Sängerdarsteller ist in jeder Szene mit Herz und Verstand bei der Sache, hat eine gute Mimik und findet mit seinem heldentenoralen Timbre, welches gleichwohl stets etwas lyrisch klingt, immer den rechten Ton. Wie er nach den Herausforderungen der beiden ersten Aufzüge die schwierigen Waldvogelerzählungen mit Kraft und lyrischer Ausformung sang, war beeindruckend. Da ist das nicht ganz gelungene Aussingen der beiden hohen Cs im 2. und 3. Aufzug entschuldbar.

Ian Paterson, der den Gunther gerade an der Met gesungen hatte, wartete mit klangschönem Bariton auf und spielte die undankbare Rolle des über alle Maßen als inkompetent und verdorben gezeichneten Charakters bedrückend authentisch. Anna Gabler war eine erstklassige Besetzung der Gutrune, mit einem zu guter Attacke fähigen prägnanten Sopran und einer Wandlungsfähigkeit und Attraktivität auf der Bühne, die viele Entwicklungen nachvollziehbar machte. Michaela Schuster hatte als Waltraute mit ihren bekannten Höhenproblemen zu kämpfen. Während sie eine souveräne Fricka gibt, ist die Waltraute wohl nicht ihre beste Rolle. Wolfgang Koch entwickelt sich immer mehr zu einem Alberich der Extraklasse, sowohl stimmlich mit seinem klangvollen und ausdruckstarken Bariton wie auch mit einer intelligenten Darstellung. Die Rheintöchter (Eri Nakamura, Angela Brower und Okka von der Damerau) sangen im Unterschied zu den drei Nornen auf höchstem Niveau, sowohl einzeln wie im Ensemble. Sie waren nur durch ihre unvorteilhaften Kostüme benachteiligt. Eric Halfvarson als Hagen rettete den Abend, und die Staatsoper konnte sich glücklich schätzen, diesen intelligenten Sängerdarsteller statt des erkrankten und nicht mit großer Spielfreude gesegneten Hans-Peter König aufbieten zu können. Der Rezensent hatte Halfvarson noch einige Tage zuvor in Wien als wahrlich elementaren Großinquisitor erlebt, und er sang ihn dort gar noch am Abend vor dieser „Götterdämmerung“. Halfvarson setzte in dieser oft flachen Produktion starke Akzente, darstellerisch wie stimmlich mit seinem kernigen Bass. Chor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper sangen unter der Leitung von Sören Eckhoff wie immer stimmstark und transparent. Für ihre bizarre Dramaturgie und Choreographie konnten sie ja nichts.

Der scheidende GMD Kent Nagano schloss mit dieser „Götterdämmerung“ seine Tetralogie in München ab und animierte das Bayerische Staatsorchester zu einem guten Wagner-Sound. Natürlich litt der musikalische Vortrag am hyperaktiven Bühnengeschehen mit bisweilen störender Geräuschentwicklung. Aber neben flüssigen und zeitweise fein herausgearbeiteten Phasen kam es hier und da auch zu einigen rustikaleren Momenten, nicht zuletzt im Trauermarsch. Dem musikalischen Teil des Abends fehlte bisweilen der große Atem und Spannungsbogen.
(Fotos in der Bildergalerie)

Klaus Billand

 

 

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