München/Bayerische Staaatsoper: DIE ENTFÜHRUNG AUS DEN SERAIL am 14.1.2012 (Georg Freund)
Luxusbesetzungen wie in der eben laufenden Serie von Don Carlo sind auch in München die Ausnahme. Das bewies diese Produktion von Mozarts Jugendwerk, in der außer einem einzigen Weltklassesänger nur unteres Mittelmaß zu hören war. Die offenbar neuere Inszenierung ist revuehaft gehalten und stammt von Martin Duncan. Auf die völlig leere Bühne werden an Seilen hängende knallfarbige Sofas gezogen, auf denen die Sänger sitzen oder knien und die sie nur bisweilen für ein wenig Aktion auf dem Bühnenboden verlassen. Dass bei dieser Anordnung kaum von Darstellung die Rede sein kann, liegt in der Natur der Sache und von der Belastung für die Sänger, ihre Kunst von einem in luftiger Höhe schwankenden Möbel aus darzubieten, will ich gar nicht reden. Dass vor allem die Exaktheit der Ensembles des Werkes unter diesem Regieeinfall litt, ist wohl selbstverständlich. Trotzdem muss ich sagen, dass der erzielte traumhafte Eindruck, der auch durch die sehr schönen, bunten, im orientalischen Stil gehaltenen Kostüme und die ausgezeichnete Beleuchtung noch verstärkt wurde, exotisch und gefällig war. Köstlich auch die Auftritte der zahlreichen, witzigerweise von Athleten dargestellten, gar nicht eunuchoid wirkenden Eunuchen, die trudelndende Sofas einigermaßen im Gleichgewicht halten oder auf dem Kopf riesige Tabletts mit Früchten tragen mussten
Leider, leider wurden diese Positiva durch die vollständige Streichung der gesprochenen Dialoge (nur Bassa Selim sagt im Finale einen einzigen Satz) stark eingeschränkt. Das Libretto zur Entführung zählt gewiss nicht zur deutschen Hochliteratur, ist aber in seiner örtlichen, räumlichen und handlungsmäßigen Konzentration durchaus wirkungsvoll, besitzt viel naiven Charme und erfüllt beinahe die aristotelischen Anforderungen an ein Drama. Als Ersatz für die gestrichene Prosa dienten unsagbar einfältige, vermutlich scherzhaft gemeinte verbindende Inhaltsangaben, die von einer schwarz gewandeten Dame namens Demet Gül vorgetragen wurden. Frau Gül unterstrich ihren Vortrag immer wieder mit semaphorartigen Armbewegungen, war textlich nicht ganz sattelfest und verfügte, da sie sich eines scheppernden Mikrophons bedienen musste, wohl nicht über die sprechtechnischen Voraussetzungen, um einen Theaterraum zu füllen. Sie flocht immer wieder türkische Worte in ihre Erzählung ein, sprach aber Deutsch nicht mit türkischem Akzent, was noch charmant wäre, sondern mit penetrant norddeutschem Zungenschlag. Ich bin auch überzeugt, dass allen Anwesenden durchaus klar war, was ein Serail oder ein Harem ist und sie für diese und andere Begriffe keine schulfunkartigen Erläuterungen benötigten. Es war auch keineswegs eine gute Idee, die Handlung ins Topkapi Serail von Istanbul zu verlegen, weil es handlungsmäßig geradezu lächerlich ist, den Paschau Selim mit dem Großherrn zu identifizieren.
Von den Sängern bot Pavol Breslik die mit ungeheurem Abstand beste Leistung Bekanntlich ist er eine der weltweit führenden Mozartenöre und er krönte seine makellose Verkörperung des Belmonte mit der fast immer gestrichenen Baumeisterarie im dritten Akt, die zwar ein musikalisch unerlässliches Pendant zu Konstanzes Marternarie bildet, die aber mit ihren außerordentlich hohen Anforderungen an gesangliche Virtuosität, vor allem mit ihren vertrackten Koloraturen, die Leistungsfähigkeit der meisten Tenöre überfordert, sodass sie sie lieber weglassen. Dieses herrliche Stück, von Breslik mit strahlender Stimme vorgetragen, war der beglückende Höhepunkt des Abends.
Brenda Rae, die erst 2009 in Frankfurt debütiert hat, verfügt zwar über hübsches, kräftiges Stimmmaterial, war aber ausdrucksmäßig mit der Kostanze überfordert .Dagegen hat Rebecca Nelsen als Blondchen nur eine kleine spitze Stimme und wenig Schauspieltalent. Neckisches Aufstampfen mit dem Fuß genügt nicht für die Charakterisierung dieser Rolle Kevin Conners gab den Pedrillo mit unschönem Charaktertenor und Peter Rose war zwar ein humorvoller Osmin, ihm fehlten aber für diese Partie einige tiefe Noten.
Ivor Bolton, der Chef des Salzburger Mozarteum Orchesters, dirigierte verlässlich mit sehr ausdrucksvollem Mienenspiel und fast ständigem Mitsummen. Blanker Neid erfasste mich angesichts der völlig makellosen Leistung der Hornisten, die sich am Tag darauf bei der schwierigen einleitenden Hornpassage zum 2. Akt von Don Carlo bravourös wiederholte. Einfach großartig! Aus Wien ist man da leider ganz anderes gewöhnt…
Dr. Georg Freund