München, Bayerische Staatsoper, Richard Wagner, „DAS RHEINGOLD“, 12.2.2012, NI, 3. Vorstellung
Kein Ghettoblaster, keine Gummitiere, weder Schlamm noch Schaum auf der Bühne und trotzdem am Schluss großer Jubel. Man reibt sich die Augen und wartet bang auf den üblichen zeitgenössischen Regieschnickschnack. Stattdessen leere Bühne – nur ganz wenige Zeichen und Andeutungen, ansonsten freies Spielfeld für Sänger und Statisten. Letztere haben immer gut zu tun: So bilden sie zu Beginn in fließenden Bewegungen den Rhein, umschlingen Alberich und zärtlich die Rheintöchter. Später bewegen sie die aus gepressten Menschenleibern geformten Quader, auf dem die Riesen thronen. Regisseur Andreas Kriegenburg versprach in Vorab-Interviews ein Kammerspiel, konzentriert auf die Protagonisten. Meiner Ansicht nach ist ihm dies durchaus gelungen, außerdem mag sich ja noch einiges im Laufe der folgenden Ring-Teile entwickeln.
Die Götter sind bei Kriegenburg bereits in Ehren ergraut bzw. erbleicht, obwohl sie doch noch nicht Freias Äpfel entbehren müssen. Wotan (brav, aber nicht sonderlich überzeugend: Johan Reuter. Wir hatten in München schon andere Kaliber auf der Bühne!) ist weniger gieriger Herrscher als ein an Loges Fäden Agierender, schließlich sogar ein Gebrochener. Beim Einzug ins neue Walhall stützt er sich schwer auf Gattin Fricka (Sophie Koch mit schönen Tönen als still resignierende und leidende Gattin). Loge (großartig Stefan Margita, mit hellem durchschlagendem Tenor, dandyhaft im roten Anzug mit Gehstock) ist hier ein veritabler Strippenzieher, listig, verschlagen, niemandem hold und mit berechnendem Lächeln Fafner das Messer zum Brudermord reichend. Die Riesen Fasolt (fordernd und weich: Thorsten Grümbel) und Fafner (mit bedrohlicher Schwärze: Phillip Ens) bewegen sich mit vollendeter Geschmeidigkeit ihre rollenden Podeste hinauf und hinunter. Und Fasolt hat, scheint es, nicht nur ein Auge auf Freia (Aga Mikolaj mit zum Teil sehr angestrengten Tönen) geworfen, sondern bei der Lieblichen auch Gehör gefunden. Denn so wie sie sich zärtlich an ihn schmiegt, mag der Aufenthalt bei den Riesen für Freia weniger Schmach denn Lust gewesen sein. Bei seinem Tod bricht sie sogar völlig zusammen.
Im Nibelheim-Bild (Bühne Harald B. Thor) entfaltet sich veritabler Theaterzauber: Wir befinden wir uns tief unter der Erde, in der Dunkelheit am Boden kriechende Gestalten ahnend, durch einen erleuchteten Gang ziehen schwer tragende Gebeugte vorbei, von Alberichs Peitschenhieben angetrieben. Alberich, den Wolfgang Koch mit seiner kompakten Statur als groben Sklaventreiber gibt, der sich schließlich grausam übertölpelt sieht und Wotan und Loge einen beeindruckenden „Liebesgruß“ entgegenschleudert. Elegant gelöst die Tarnkappenprobe: Der böse Lindwurm ist eine an Stäben durch die Dunkelheit getragene Feuerschlange, die kleine Kröte eine junge Frau.
Hinreißend und vokal grandios die platinblonden Rheintöchter: Eri Nakamura als Woglinde (sonst eher im Belcanto-Fach zuhause, produzierte sie hier phantastisch dramatische Töne ), Angela Brower (Wellgunde) und Floßhilde (Okka von der Damerau). Das übrige Personal: Donner (ordentlich grollend Levente Molnàr), Froh (Thomas Blondelle), Mime (wie immer prägnant und präsent Ulrich Reß), Erda (Catherine Wyn-Rogers, sehr heller Mezzo, wie eine Untote aus der Tiefe aufsteigend)
Am Schluss großer Jubel vor allem für Kent Nagano, das Bayerische Staatsorchester und für Loge Stefan Margita. Nagano dirigierte einen schlanken, bisweilen strengen, immer feingesponnenen Ring-Vorabend, immer auf dem Sprung, um den Sängern den schönsten Begleitteppich auszurollen.
Ob dies nun der große Regiewurf wird, sozusagen der „Ring aller Ringe“, vermag ich nicht zu sagen, gewiss ist aber, dass ich mich an diesem Abend keine Sekunde gelangweilt habe, sondern gespannt das Geschehen verfolgte und ich musste mich auch nicht über hanebüchene „Konzepte“ ärgern. Vielleicht bekommen wir am Ende keinen funkelnd-glitzernden Solitär, sondern einen solide geschmiedeten Reif, an dem dann doch das eine oder andere Steinchen blitzt und blinkt.
Jakobine Kempkens