Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Helena Kokešová: EDUARD ALBERT

10.05.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buchcover eduard albert~1

Helena Kokešová
EDUARD ALBERT
Ein böhmischer Intellektueller in Wien
332 Seiten, Verlag Böhlau, 2021

Es gibt Probleme, die werden buchstäblich erst Generationen später aufgearbeitet. So beanspruchen Nachfolgestaaten der Habsburger-Monarchie Persönlichkeiten, die in Wien gewirkt haben und von denen kaum je erwähnt wird, dass sie aus Ungarn, Galizien, Böhmen und Mähren oder einem der anderen Kronländer stammten. Wer damals etwas „werden“ wollte, zog in das Zentrum des Reichs, in die Kaiserstadt Wien, und viele, die aus den diversen Ländern der Monarchie kamen, wurden in die deutsche Sprache und die hier erbrachten Leistungen „eingemeindet“. Dass Sigmund Freud oder Theodor Herzl, zwei Männer, die von Wien aus Weltgeschichte machten, etwa aus Mähren und aus Ungarn kamen, wird nur unter den biographischen Fakten erwähnt.

Eduard Albert ((* 20. Januar 1841 bis † 26. September 1900, geboren und gestorben in Senftenberg, Böhmen) war ein bedeutendes Mitglied der Wiener Medizinischen Schule. Aber über seine erfolgreiche Tätigkeit als Arzt, Chirurg, Professor und Wissenschaftler hinausbefasste er sich auch mit Literatur und engagierte sich in der Politik zur Lage der Böhmen im Habsburgerreich.

„Ein böhmischer Intellektueller in Wien“ ist der Untertitel des Buchs, das Helena Kokešová, u.a. wissenschaftliche Mitarbeiterin des Masaryk-Instituts und des Archivs der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, in tschechischer Sprache schrieb und das nun, mit tschechischer und österreichischer Unterstützung, in deutscher Übersetzung im Böhlau Verlag heraus kam.

Das Hauptmotiv des Werks ist neben der Biographie von Eduard Albert, die für seine vielfältigen Leistungen jegliche Anerkennung verdient, ihn immer wieder als Tschechen in den Vordergrund zu rückne und dabei die Problematik der Sprache, Literatur, Politik dieses Teils der Monarchie in Wien ausführlich zu behandeln.

Eduard Albert, aus Senftenberg (heute Zamberk) stammend, wurde von der Familie in deutsche Schulen geschickt, wohl wissend, dass die perfekte Beherrschung der „Hauptsprache“ der Monarchie für jeglichen Berufserfolg nötig war. Der Junge besuchte Schulen in Mährisch Schönberg, Königgrätz und Reichenau und ging anschließend an die Wiener Universität, um Medizin zu studieren. Über Jahre in Innsbruck kam er nach Wien, ein innovativer Mediziner, der sich durch seine Leistungen, aber auch seine gesellschaftlichen Verbindungen ganz nach oben arbeitete. Dieser Teil des Buches wird für jene Leser besonders interessant sein, die tief in die Medizingeschichte Wiens (ein durchaus glanzvolles Kapitel) steigen wollen.

Aber Eduard Albert ist für die böhmisch / tschechische Vergangenheit ein besonderer Gewinn, weil er der tschechischen Sprache immer treu blieb, selbst dichtete, ob als Lyriker oder Verfasser historischer Schriften, Kollegen aus der Heimat förderte und tschechische Werke übersetzte

Ein eher heikles Kapitel ist jenes um das politische Engagement von Eduard Albert, denn er wäre sogar bereit gewesen, diesbezüglich Verantwortung zu übernehmen, blieb aber von Intrigen behindert diesbezüglich tief enttäuscht zurück.

Eduard Albert starb mit nicht einmal 60 Jahren, weil er sich ganz eindeutig überarbeitet hatte. Er versuchte allen Funktionen, die auf ihn zukamen, unermüdlich gerecht zu werden, was letztlich letale Folgen hatte. Als besonders tragisch befindet die Autorin und wohl viele Tschechen, dass Eduard Albert zuhause starb und auch dort auf eigenen Wunsch begraben wurde. Dennoch ließ ihn sein Sohn posthum auf den Wiener Zentralfriedhof überführen, wo Eduard Albert nun in einem pompösen Ehrengrab ruht.

Für die Tschechen der letzte Akt der Vereinnahmung eines Mannes, der mitsamt seinen Leistungen nach ihrem Verständnis ihnen gehört. Am Ende stellt die Autorin die Frage, wie man Eduard Albert, einen fraglos sehr bedeutenden Mann der Monarchie, in seiner Heimat heute sieht. Ein Fremder und Entfremdeter, sagen die einen, ein Patriot die anderen. Das Buch plädiert stark und mit überzeugenden Argumenten für Letzteres.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken