Waits/Burroughs/Wilson The Black Rider: The casting of the magic bullets. Premiere am 1. März 201
Schön und schaurig – am Ende traurig
Foto: Oliver Berg
Immer häufiger reizt es Schauspielregisseure, Musiktheater zu inszenieren. In Münster hat Schauspieldirektor Frank Behnke mit seinen Klassikerinszenierungen bei Publikum und Presse grossen Anklang gefunden, es war schwierig, für „seinen“ „Hamlet“ eine Karte zu bekommen – durchaus selten!!! Beim Musiktheater beginnt er nicht mit grosser Oper, sondern mit dem Musical in 12 Bildern „The Black Rider – The casting of the magic bullets“ (Der schwarze Reiter. Der Guß der Zauberkugeln) – Musik vom Rock-Komponisten Tom Waits auf den Text von William S. Burroughs – uraufgeführt 1990 am Thalia Theater in Hamburg (Intendant damals Jürgen Flimm) nach einer Idee und in der Inszenierung von Robert Wilson, der dort fast gleichzeitig seine inzwischen Kult gewordene Inszenierung von Wagners „Parsifal“ besorgte. Dem „Black Rider“ liegt dasselbe „Gespensterbuch“ von 1810 zugrunde wie Carl Maria von Webers „Freischütz“. Nur die äusserliche Handlung erinnert an die Oper, auch nicht die Namen der handelnden Personen, der Förster heißt hier Bertram, die begehrte Jungfrau Käthchen. Der aus Liebe zu ihr den treffsicheren Schuß schaffen will, ist der Schreiber Wilhelm, sein Rivale der Jägerbursche Robert und der Bösewicht heißt Stelzfuß, der hinkende Teufel.. Einen fürs happy-end sorgenden frommen Eremiten gibt es beim zeitweise drogenabhängigen Waffennarren und Wegbereiter der 68er-Bewegung Burroughs natürlich nicht, Käthchen wird von der Freikugel getroffen, Stelzfuß nimmt sie mit in die Hölle.
Abschüssig wie das ganze „Musiktheater“ war auch der Bühnenboden (Bühne Günter Hellweg), in den eine von bläulichen Lichtern gesäumte kreisrunde Öffnung eingelassen war, in dem die Band mal höher mal tiefer aufgestellt spielen konnte – eine kluge Lösung! Im Bühnenhintergrund gab es ebenfalls eine kreisrunde Öffnung, in der zu Beginn Erbförster Kuno – dieser Name ist derselbe wie im Freischütz – statt still als Bild zu erscheinen auf einem Rad hin- und herpendelte – großartig dargestellt auch als junger Kuno von Florian Steffens. Für intimere Szenen wurde dieser Hintergrund von einem roten Vorhang verdeckt. Lustig wirkte etwa wenn für die Schussübungen von Wilhelm alle als Zielscheiben eingesetzt waren. Die übertrieben altertümlichen Kostüme entwarf Kristopher Kempf.
Textüberschneidungen, wie sie zu Burroughs passen, gab es vor allem bei der „Lucky day ouverture“ als die zirkusähnliche Einladung in mehreren Sprachen durcheinander im Zuschauerraum elektronisch extrem verstärkt von den Schauspielern ausgerufen wurde, etwas modernisiert mit dem Hinweis etwa, Mobiltelefone abzustellen – wohl bewußt provozierend.
Foto: Oliver Berg
Aber nicht nur auf die gesprochenen Worte hatte Regisseur Frank Behnke Wert gelegt, sondern auch auf die Körpersprache der Schauspieler, das kennt man von ihm, es war erstaunlich wie passend sich alle fast akrobatisch zur Musik bewegten – Unterstützung kam vom Ballettchef Hans Henning Paar. Das Giessen der glitzernden Freikugeln wurde dann so ironisch-schaurig inszeniert, wie es ein heutiger Opernregisseur kaum wagen würde einschließlich eines unheimlichen Baumstumpfs als Hinweis auf den deutschen Wald, in dem Stelzfuß einmal dämonisch auf die Bühne schwebte.
Letzteren als Hauptperson des Stückes, hier nicht hinkend, sondern durch einen Teufelsschwanz ausgewiesen, spielte und sang Aurel Bereuter abwechslungsreich, in allen seinen Songs vom wilden Titelsong „The black rider“ angefangen über den ironischen „Just the right bullets“ (die richtigen Kugeln) bis zum melancholischen Abschiedssong über die letzte Rose (The last Rose of summer)
In der letzten Aufführung in Münster 1997 waren die jungen Liebenden mit Opernsängern besetzt worden, sinnvoll vielleicht z.B. wegen des Duetts von Dornen und Rosen (The Briar and the rose) Aber jetzt gelang es Maike Jüttendonk als Käthchen und Christoph Rinke als schon etwas älterem Wilhelm durchaus, Microport-verstärkt passend zu singen, auch in ihren Soli „Lucky day“ von Wilhelm und besonders gelungen „I’ll shoot the moon“ (Ich schieß für dich den Mond vom Himmel) von Käthchen. Auch Vater Bertram von Gerhard Mohr und Mutter Anne von Isa Weiß als streitendes Ehepaar sowie Kraftprotz Robert von Maximilian Scheidt fügten sich darstellerisch und stimmlich gut ins Ensemble ein. Der ganz zentrale Song „Crossroads“ über die Parallele von Zauberkugeln- und Drogenabhängigkeit (Mariuhana führt zu Heroin) wurde zum besseren Verständnis zuerst auf Deutsch gesprochen, (Deutsche Bearbeitung Wolfgang Wiens), dann wie alle Songs auf Englisch gesungen von Florian Steffens sogar mit Andeutung von Koloraturen.
Musikalisch hat Tom Waits eine sehr abwechslungsreiche Musik komponiert, teils passend zur jeweiligen Bühnensituation, teils die Wirkung der Songs rockig oder sentimental verstärkend. Dies gelang der Band unter Leitung von Michael Barfuß ganz mitreissend, vor allem auch in den Zwischenspielen – hier Instrumentals geheissen – die Musik der „oily night“ erinnerte mit den kleinen Intervallen fast an Philip Glass. Michael Barfuß war auch die punktgenauen Begleitung der Handlung durch Geräusche zu verdanken. Dabei spielte jeder mehrere Instrumente, so Münsters bekanntes Jazz-Musikerpaar Christine Rudolf und Jürgen Knautz an E-Geige und singender Säge bzw. Bass und E-Gitarre. Saxophon Spezialist Klaus Dapper spielte neben „seinem Instrument“ Klarinetten und Flöte, Stephan Schulze alles, was geblasen wurde, sogar ein Didgeridoo, Martin Speight spielte auf allen Tasteninstrumenten und Rudi Marhold gab schlagzeugend den Rhythmus – alle Meister auf ihren Instrumenten.
Passend zum traurigen Schluß wurde nicht mit einem „Instrumental“ geschlossen sondern der unglückliche Wilhelm blieb schluchzend allein auf der Bühne zurück.
Nach der pausenlosen Vorstellung zeigte das Publikum im fast ausverkauften Haus durch langen Applaus, den man auch schon nach einigen Songs hörte, und durch Pfeifen seine Begeisterung.
Hingewiesen sei zum Schluß auf die übernächste Musiktheaterproduktion in Münster, in der wieder ein Teufel einen armen Tenor ins Unglück stürzt. Premiere von Igor Strawinsky`s „Die Laufbahn eines Wüstlings“(The Rake`s Progress – ML GMD Ventura, R Intendant Peters) ist am 10.Mai 2014.
Sigi Brockmann 3. März 2014
Fotos Oliver Berg