Copyright: Bülent Kirschbaum
Dortmund Klangvokal Musikfestival
St-Reinoldi Kirche – 18. Mai 2018 – Adam und Eva
Zum zehnten Mal veranstaltet die Stadt Dortmund das „Klangvokal Musikfestival“ mit Aufführungen von Vokalkompositionen von Oper bis hin zu Pop. In diesem Jahr steht es unter dem Motto „Auf Schatzsuche“, womit wohl gemeint ist, daß weitgehend unbekannte „Schätze“ zu hören sind.
Dies traf nicht unbedingt zu auf die symphonische Dichtung „Orpheus“ von Franz Liszt, 1854 als Einleitung einer Aufführung von Gluck`s „Orpheus und Eurydike“ geschrieben, mit der die Dortmunder Philharmoniker unter Leitung von Granville Walker den Abend eröffneten. Das ausser einer dynamischen Steigerung im Mittelteil weitgehend elegische Werk gab dem Orchester und insbesondere den Holzbläsern, den beiden Harfen und den Solospielern von Geige und Cello Gelegenheit, ihr Können hören zu lassen.
Gar nicht Ergebnis einer Suche nach unbekannten Schätzen war das folgende häufig aufgeführte„Schicksalslied“ op. 54 für Chor und Orchester auf einen Text von Friedrich Hölderlin von Johannes Brahms. Der von seinem langjährigen Leiter und Dortmunder Opernchor-Direktor Granville Walker geleitete Philharmonische Chor des Dortmunder Musikvereins liess zunächst leichte Anfangsschwierigkeiten hören, war auch nicht immer sehr textverständlich. Die gegensätzliche Darstellung vom sorgenfreien Nichtstun der Götter unbeteiligt am grausamen Schicksal der Menschen kam aber zum Ausdruck, leider mehr von den in grösserer Zahl singenden Damen- als bei den weniger zahlreichen Herrenstimmen, letzteres ein Manko vieler nebenberuflich engagierter Chöre. Zu rhythmisch präzisem Spiel regte der Dirigent die Dortmunder Philharmoniker im schroffen und wilden Mittelteil an mit den exakt eingehaltenen „Entsetzens-Pausen“. Die abschliessende nur instrumentale Verklärung brachte im Gegensatz zu Hölderlins Gedicht mögliche Erlösung in wohlklingendem C-Dur zum Ausdruck.
Erstmals passend zum Motto des Abends und gelungene „Schatzsuche“ war das nach der Pause aufgeführte „Mystère“ (Mysterienspiel ) in drei Teilen auf einen Text von Louis Gallet „Ève“ (Eva) von Jules Massenet für Sopran (Ève), Bariton (Adam) Tenor (Erzähler), Chöre und Orchester. Dabei handelt es sich um ein Mittelding zwischen Oratorium und Oper, das nicht unbedingt im Kirchenraum aufgeführt werden muß – die Uraufführung fand 1875 in Paris im riesigen „Cirque d`Èté“ statt..
Ohne Auftritt von Schlange oder Genuß eines Apfels wird dargestellt, wie Adam und Eva sich zuerst treffen und bewundern. Ähnlich wie Masssenet’s andere Titelheldinnen, etwa„Manon“ oder „Thais“, wird Eva dazu angestachelt , als eine Art „Venus“ durch bewußten Einsatz weiblicher Verführungskunst (hier Baum der Erkenntnis) den Mann und damit mit stolzem Haupt (l’orgueil au front) die Welt zu beherrschen. So verführt sie Adam zu wilder Liebesextase. Wegen dieser offenbar nicht ins Paradies passenden „sündigen Lust“ werden beide aus diesem vertrieben und auf ewig zum Leben auf der Erde verdammt.
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Bereits vor einigen Jahren als „Manon“ in Dortmund bewundert war Eleonore Marguerre vom Aussehen her und stimmlich eine ideale Verkörperung der Eva. Besonders in ihrer grossen Szene im zweiten Teil (der Verführung) traf sie dank ausgefeilter Gesangstechnik scheinbar mühelos die hohen Spitzentöne der Partie – etwa im f bei „le désir est plus puissant que moi“ (das Verlangen ist stärker als ich) aber auch und gerade im p – (etwa bei „douce nuit), setzte sich stimmlich scheinbar ebenso mühelos gegen Chor und Orchester durch. Beim Wunsch an Adam „Aimer c’est vivre“ (Lieben heißt leben) konnte sie ihrer Stimme verführerisches Timbre verleihen, das alles bei grosser Textverständlichkeit.
Über diese verfügte auch Thomas Laske als Adam. Er erfüllte erfolgreich alle Ansprüche der umfangreichen Bariton-Partie bezüglich Tongenauigkeit und Textgestaltung, sodaß das Liebesduett der beiden zum Höhepunkt des Abends wurde. Kurzfristig hatte Thomas Blondelle die Partie des Erzählers (Récitant) übernommen. Bis hin zu exakt getroffenen Spitzentönen verfügte er passend für französische Gesangstradition über einen hell-timbrierten Teno und war ebenfalls textverständlich.
Hauptakteur des Oratoriums war naturgemäß der Philharmonische Chor des Dortmunder Musikvereins wieder einstudiert von Granville Walker. Nacheinander als ätherische „Stimmen des Himmels“ bei Beschreibung des Paradieses, als (besonders bei den Damen) sehr bewegliche„Stimmen der Natur“ bei Beschreibung des idyllischen Unschuldszustands, aber auch als verführerische „Stimmen der Nacht“ kommentierte und beeinflußte der Chor das Verhalten insbesondere Evas. Als „Geister der Hölle“ donnerte er den gewaltigen Fluch über das „sündiger Extase“ (l’ivresse des dèsirs) schuldige Liebespaars wobei auch hier die zahlenmässige Unterlegenheit der Herrenstimmen zu bedauern war.
Mit orchestralem Wohllaut spielten die Dortmunder Philharmoniker Massenet’s Partitur, unberührte Natur, berauschende nächtliche Waldatmosphäre, zum bitteren Ende aber auch Schrecken der Verdammnis mit einem gewaltigen „Dies irae“ – Anklang musikalisch schildernd.
Nachdem zum bitteren Ende das Liebespaar die Hoffnung ausdrückte, sich auch auf die Erde verbannt weiter lieben zu können und darauf ein letztes „Seid verflucht“ erlebte, applaudierte das Pubikum nach mehrfachem Zwischenapplaus im ausverkauften Kirchenraum lange und heftig mit Bravos für die drei Gesangssolisten.
Sigi Brockmann 19. Mai 2018
Fotos Bülent Kirschbaum