Münster Paulus-Dom Gedenkkonzert am 10. Oktober 2013. Benjamin Britten WAR REQUIEM
Foto: David Wilson
Am 10. Oktober 1943 ab 15.03 Uhr zerstörte ein Bomberangriff weite Teile der historischen Altstadt Münsters, Zielpunkt war das Westportal des Doms, sicherlich kein militärisches Ziel. Im Andenken daran wurde am 10. Oktober 2013 ebenfalls um 15 Uhr im wiederaufgebauten Dom nach Gedenkminuten mit Glockenläuten aufgeführt von Benjamin Britten das „War Requiem“ (Kriegsrequiem) op. 66 für Sopran, Tenor, Bariton, gemischten Chor, Knabenchor, grosses Orchester, Kammerorchester und Orgel, gleichzeitig auch passend zu Brittens 100. Geburtsjahr.. Im Gegensatz zu vielen seiner sonstigen Werke wählte Britten hier eine grosse Besetzung, wohl weil es sich um ein Auftragswerk handelte zur Einweihung der neuen Kathedrale von Coventry, die im Krieg von deutschen Bombern zerstört wurde – auch deshalb passend für diesen Tag in Münster. Hier fand schon zwei Jahre nach der Uraufführung am 29. November 1964 in der Halle Münsterland die erste Aufführung unter Leitung des damaligen GMD Reinhard Peters statt, ein grosser Fan von Britten, wie auch die von ihm geleitete deutsche Erstaufführung von „Gloriana“ zeigte.
Der liturgische Text der katholischen Totenmesse wird von Britten konterkariert durch Ausschnitte aus Gedichten Wilfred Owens, eines englischen Dichters, in denen er seine grausamen Erlebnisse im I. Weltkrieg verarbeitete, an dessen Ende er mit 25 Jahren fiel. Für die erwähnten Gegensätze seien zwei Beispiele angeführt: Wenn gleich zu Beginn das erste „Requiem aeternam“ p ausklingt, setzt der Tenor ein „What passing-bells for those who die as cattle? “ (Welche Totenglocken für die die wie Vieh sterben?) Wieder nur als Beispiel sang der Chor im „Offertorium“, der heilige Michael solle die Toten in das Licht geleiten, dann als für den Chor schwieriges aber im Dom gelungenes Fugato, in das Licht, das einst Abraham und seinen Nachkommen versprochen wurde. (quam olim Abrahae promisisti) Da hinein besingen Bariton und Tenor die von einem Engel abgewendete Opferung Isaaks durch Vater Abraham, aber der Schluß wird abgeändert, Abraham tötet seinen Sohn und danach „ half the seed of Europe, one by one“ ( die halbe Nachkommenschaft Europas, einen nach dem anderen“ Das „one by one“ wird wiederholt in den folgenden Knabenchor hinein und in die Wiederholung der Fuge vom Versprechen an Abraham.
Foto: David Wilson
Versöhnliche Töne kommen gegen Ende, wenn der Bariton als Motto singt „I am the enemy you killed my friend“ (Ich bin der Feind den du getötet hast, mein Freund) Diesem versöhnlichen Ansatz folgte schon Britten bei der Besetzung der Uraufführung, in der neben Peter Pears als Tenor der damals noch aus dem als feindlich empfundenen Deutschland stammende Fischer-Dieskau die Bariton-Partie singen durfte – heute noch auf CD erhältlich!
In Münster verfuhr man ähnlich. Der englische Tenor James Edwards und der deutsche Bariton Thomas Laske sangen zunächst abwechselnd als feindliche Soldaten,dann zusammen die Texte von Owens, textverständlich, rhythmisch akzentuiert, wenn sie etwa den Tod verlachten, wunderbar legato, wenn die Hörner auf dem Schlachtfeld beschrieben wurden, und ganz ergreifend p beim versöhnlichen Schluß., ohne jemals auf falsches Vibrato zu setzen So wirkten der Philharmonische Chor Münster, als Laienchor auch Veranstalter des Konzerts, der Domchor Münster und eben auch der Chor der York Musical Society aus Münsters englischer Partnerstadt mit, alle zusammen ein mächtiger Chor von fast 200 Sängern. Als Knabenchor sang die am Dom angesiedelte Capella Ludgeriana, begleitet von Domorganist Thomas Schmitz an der Orgel, geleitet von Christiane Alt-Epping.. Das getrennte Kammerorchester leitete Andreas Bollendorf. Der grosse Chor wurde begleitet vom Sinfonieorchester Münster unter Leitung von Martin Henning, der damit über zahlreiche Monitore auch die Gesamtleitung verantwortete.
Großer Chor und Sinfonieorchester waren platziert im Westchor des Doms, dem Angriffsziel der alliierten Bomber, getrennt von ihnen seitlich in der Mitte das Kammerorchester mit den beiden Solisten und ganz hinten nahe zur Orgel der Knabenchor, der ganz ätherisch klang, wirklich ein Chorus Angelorum, (Engelschor), wie er einmal singt. Durch diese Aufstellung im sakralen Raum wurde ein Raumklangerlebnis erreicht, wie es ein Konzertsaal kaum bieten kann.
Größte Wirkung erzielte natürlich der Chor, beginnend fast gehaucht mit dem ersten „Requiem“ rhythmisch exakt beim fast gesprochenen „Dies irae“, die Damen ganz elegisch beim „Recordare“ oder beim „Lacrimosa“. Zusammen mit ihm glänzte der Sopran von Susanne Bernhard koloraturensicher bis in höchste Höhen etwa im „Sanctus“ und alle übertönend im „Dies irae“ Im mächtigen „Hosanna“ hatte der Chor allerdings Mühe, sich gegen die eruptive Klanggewalt des Orchesters, besonders des Schlagzeug, zu behaupten. Neben dem „normalen“ Orchester verwendet Britten so exotische Instrumente wie Kastagnetten, Gong, Glockenspiel oder sogar eine Peitsche beim „judicare saeculum per ignem“ (Gerechtigkeit durch Feuer) Beim „dies amara valde“ bebten etwas die Mauern des Doms, so bitter wurde der Tag durch Chor und Orchester dargestellt. Im Gegensatz dazu erklangen aus dem solistisch besetzten Kammerorchester wunderbare Soli, zarte Geigenklänge, weiche Holz- und Blechbläser, die Harfe klang, wenn der Engel Abraham vom Kindesmord zurückhalten will, „ himmlisch“.
Wenn im letzten „Requiescant in pace“ (Ruhen sie in Frieden) alle Chöre mit den letzten Worten der Solisten „Let us sleep now“ pp verklangen, dabei endlich das das ganze Requiem beherrschende Tritonus-Intervall nach Dur aufgelöst wurde, war man fast zu Tränen gerührt… Nach dem Läuten der größte Domglocke verließen die Zuhörer ergriffen den auch an Stehplätzen überfüllten Dom, wohl auch dankbar für 68 Jahre Frieden nach der Zerstörung nicht nur Münsters.
Sigi Brockmann