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MÜNCHEN/ Gärtnerplatztheater: DON GIOVANNI

Wunderbares Ensemble und gute musikalische Einrichtung als unterhaltsames Boulevardtheater

11.07.2018 | Allgemein, Oper

München – Don Giovanni – Gärtnerplatztheater  -10. Juli 2018 – Repertoirevorstellung

 Wunderbares Ensemble und gute musikalische Einrichtung als unterhaltsames Boulevardtheater

Der bestrafte Wüstling – spielerisches (nicht lustiges) Drama – Italienisch


Mathias Hausmann. Copyright: Thomas Dashuber

Einlassungen von Tim Theo Tinn

Ein schöner Publikumserfolg: hervorragende bis phänomenale gesangliche Leistungen, sehr gute temporeiche Personenregie, Orchester und musikalische Einrichtung in „mozartischer“ Delikatesse mit z. T. irritierend gedehnten Gesangs-Begleitungen, bewundernswert durchgearbeitete Rezitative (wie schön wäre in Gärtnerplatz-Tradition die Aufführung in Deutsch), relativ eindimensionale inszenatorische Sichtung  in schaler burlesker Unterhaltungsorientierung, in vorgeblich „zeitgemäßer“ Aufbereitung in monotonem Bühnenbild und heutigen Kostümen in häufiger theatraler Ideenlosigkeit.


Copyright: Thomas Dashuber

Zur Inszenierung: in Anlehnung an Mozarts „Cosi fan tutte“ (So machen’s Alle): so machen es derzeit leider viel zu viele. Was könnten, sollten…. und was machen Theater? Hier wird abgewirtschaftet in nahezu uniformer Wiederholung allerorten und verkommt zur verkleisterten Drollerie. Dazu Gedanken (gesamt unter: Inszenierungskonzeptionen …

 https://onlinemerker.com/gedanken-zu-inszenierungskonzeptionen-i-s-gesellschaftlicher-theaterreflektionen-von-tim-theo-tinn/)

Während aktuell Inszenierungen häufig dramaturgisch ins Heute gerückt werden, quasi als Spiegel und Reflexion der Inhalte zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen, die Darsteller oft als normale Menschen in den Mittelpunkt dramatischer Konflikte gestellt werden (die damit mglw. nur an gegenwärtigen grundsätzlich maroden Zuständen gemessen werden), könnte man die Handlungsmuster auch aufbrechen, das anzustrebende Sein in Bewusstheit, die Möglichkeit des Bewusstseinssprungs deutlich vom Menschen als Untier (Assoziationsmontage nach Eisenstein) in überzeitlicher Optik abgrenzen.  …….Darsteller wären kaum noch „normale Menschen“, eher verfremdete Archetypen (s. Felsenstein), die ästhetisch stilisiert werden. D. h. auch in der praktischen Umsetzung können alle visuellen Möglichkeiten mit Maske, Kostüm, Licht in flustrativen Farbdramaturgien ausgenutzt werden (z. B. Neugebauer, Ponelle – Theater der Affekte und Assoziationen = Eisenstein)!

Inszenierungen können mögliche Zeitenwenden antippen – vom erdgebundenen Menschen zum übergeordneten Sein. Ein Menschenbild kann im Theater das Leben mit äußeren und inneren Zielen reflektieren. Das äußere Handeln wird von veränderbaren weltlichen Motiven bestimmt, geboren von begrenztem Denken und emotionalen Prägungen……

Die Inszenierung von Herbert Föttinger bietet unterhaltsamen Einblick in das Leben eines dauergeilen, wohl manischen Menschen im rasanten Spurt zu neuen Eroberungen und Flucht vor vergangenen, mit handwerklichen Schwächen besonders im letzten Bild, wenn nur noch wenig stimmt. Der tote Komtur als spiritueller Widergänger im lebendigen Standbild verkommt z. B. hier zur Kruzifix – Pappmaschee – Figur.


Copyright: Thomas Dashuber

Das greift zu kurz, die Vorlage ist kein Schwank. Kein lustiges Drama, sondern eine spielerisch (giocoso) abzuhandelnde Geschichte, in der volkstümliche Hans-Wurstiade auf tragisches Musikdrama trifft   –  großes Welttheater mit kritischen  dramatischen Tiefen. Mord, Eifersucht, Todessehnsucht, Betrug, Maßlosigkeit, Verführung, Demagogie, Egoismus, Erniedrigung, Verwerflichkeit, Überwinden von Schranken, Frevel,  u.v.a. am Beispiel eines krankhaft übersteigertem Geschlechtstriebs (Donjuanismus – übrigens Äquivalent zur weiblichen Nymphomanie).

Es bleibt beim Publikumserfolg, aber auch beim Unterlassen eines großen dramatischen Erlebnisses, das keine intellektuelle Schwere benötigt, sondern leichtfüßig kommt, denn Mozart komponierte leichtfüßigen Scherz neben tragischem Psychothriller.

Dazu finden sich erfreuliche Informationen im ausgezeichneten Programmheft des David Treffinger.

Musik: die Ouvertüre begann angenehm durchwebt, in filigranem Mozartfeeling. Bei den Streichern schien die Abstimmung anfangs etwas unterzugehen, aber es blieb im Gesamtpaket feines Musizieren, sensibel zurückgenommen im akzentuierten Begleiten der Sänger. Erstaunlicherweise veränderte sich dieser Eindruck bei einigen sängerischen Highlights. Es wurde da etwas lahm, zerdehnt, expressiv perlende Dynamik schwand (z. B. Duett Giovanni/Zerlina: La ci darem…, Arie Zerlina: Batti, Batti,  Champagner – Arie Giovanni u.a.). Insgesamt aber unbestritten ein wesentlicher Baustein zur erfolgreichen Aufführung.

Das Sängerensemble ist eine aufregende Riege erstklassiger Sänger, in emotional optimaler Spannung gerade für den Don Giovanni. Alles passt, nichts wirkt angestrengt, abgeliefert, ist im Vortrag Musiktheater at its best, in Spannung und Schwung. So als schaffe der Geist Mozarts in der authentischen Sekunde gerade die vorzutragende Komposition – eine Seltenheit. Hier also auch Kompliment an den Musikalischen Leiter.

Don Giovanni Mathias Hausmann – Bariton –  diese Besetzung ist eigentlich ungewöhnlich, da die Stimme mehr lyrisch als Kavalierbariton angelegt ist. Er überzeugt aber gesanglich in jeder Hinsicht. Durchgehende Dynamik in allen Lagen, schwerelos aber doch mächtig, wunderbarer metallischer Kern. Hilft sogar dem Komtur im letzten Bild, indem er erstaunlicherweise Einiges mitsingt. Szenisch wirkt manches unentschlossen und die Optik im heutigen blauen Anzug mit Schicki- Micki-Frisur irritiert- dies dürfte aber der Regie/Inszenierung zuzuordnen sein.

Donna Anna Jennifer O’Loughlin – Sopran:  ein Belcanto-Engel im dramatischen Gewand dieser Partie. Eine Stimme in endlosen offenen Räumen der Tonwelten. Es geht schwerelos ohne alle Schärfen in alle Lagen mit jeder Dynamik. Das ist sopranes Wunderweben. Als Ärgernis wirken einige Kostüme, die für die äußerst attraktive Sängerin nicht geeignet sind.

Don Ottavio Lucian Krasznec  – Tenor – die Partiengestaltung begeistert. Statt der üblichen „Weichei“ Karikatur mit lyrischem Leid steht da eine selbstbewusste starke Persönlichkeit.  Da singt ein Tenore – Spinto mit phänomenalem Vermögen. Er scheint die Stimme mit einzigartigem Timbre aus der Mittellage schwerelos in jeder Dynamik auch in alle expressiven Lagen nach oben oder unten zu führen, immer mit dem wunderbaren Timbre. So hat der Rezensent den Ottavio noch nie gehört. Einzigartig erscheint z.B. seine Arie im ersten Akt „Dalla sua Pace…“. Schwebende volltönende Höhen, anrührendes und doch  selbstbewusstes Pianissimo und dann leichtfüßig im tiefen Register zum Schluss.

Komtur Christoph Seidl – Bass – schade, dass die geklebte Glatze den Haaransatz am Nacken offenläßt.

Donna Elvira Camille Schnoor –  Sopran – begeistert in der Umsetzung einer der schwierigsten Partien im Sopran-Kosmos. Die Stimme sitzt wunderbar mit Kern, öffnet mit Aplomb alle Lagen ohne Einschränkungen. Der Partie geschuldet entstehen manchmal leichte Schärfen. Irritierend erscheint eine Perücke, mit der man wohl einen Zentner Haare auf die hübsche Sängerin geladen hat.

Leporello Matija Meić – singt als Bariton eine Basspartie: tatsächlich hat der Bariton auch ein schönes Basstimbre. Er ist ein fantastischer Sängerdarsteller. Mit riesiger Spielfreude beherrscht er die Szene bravourös. Nach anfänglicher etwas unausgeglichener Eröffnungsarie steigert er sich großartig. Sein Leporello ist Weltklasse in Gestaltung und Gesang. Allerdings ist die nötige Basstiefe manchmal etwas erkämpft.

Masetto Timos Sirlantzis – Bass (Bariton) – der ganz junge Mann ist eine Entdeckung. Auch da steht wohl eine große Karriere an. Ein wunderschöner Kern in mächtiger Stimme, viril  und offensichtlich grenzenlos. Es überrascht, wenn man den szenisch noch etwas unscheinbaren Sänger plötzlich hört, Was da rauskommt, hat jetzt schon Weltklasse. Hoffentlich wird die Karriere sorgsam entwickelt. Es ist ein Wunder, wie das Gärtnerplatz – Theater auch hier erneut so hochkarätig engagieren kann.

Zerlina Sophie Mitterhuber – Sopran – singt und spielt wunderbar. Ihre hübsche Ausstrahlung wird durch anmutiges Spiel unterstrichen und geschieht durch lyrische Gesangsmagie ohne Makel in allen Lagen, in jeder Dynamik und Abstufung. Sie ist eine lyrische Sopran-Offenbarung.

Der Chor bietet wie immer in jeder Hinsicht auch in dieser kleineren Aufgabe gewohnte Qualität.

Fazit: eine  qualitativ homogen einheitlich edle Besetzung mit ausgewogenem Mozart – Orchesterklang machen den Abend in diskussionswürdiger Inszenierung zum Erlebnis und zur Freude.

München, 11. Juli 2018

Tim Theo Tinn

Dirigat Anthony Bramall

Regie Herbert Föttinger

Bühne Walter Vogelweider

Kostüme Alfred Mayerhofer

Licht Michael Heidinger

Video Raphael Kurig, Thomas Mahnecke

Dramaturgie David Treffinger

 

Don Giovanni Mathias Hausmann

Donna Anna Jennifer O’Loughlin

Don Ottavio Lucian Krasznec

Komtur Christoph Seidl

Donna Elvira Camille Schnoor

Leporello Matija Meić

Masetto Timos Sirlantzis

Zerlina Sophie Mitterhuber

Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

 

 

 

 

 

 

 

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