MÜNCHEN – Gärtnerplatztheater im Prinzregententheater, Giuseppe Verdi, „AIDA“, NI, 20. Juni 2014, 2. Vorstellung
Martin Hausberg, Sergii Magera, Angus Wood. Foto: Christian Zach
Am Gärtnerplatztheater gibt es seit Jahren die Tradition, die Hauptrollen weitgehend doppelt zu besetzen, so dass in der 2. Vorstellung, der sogenannten B-Premiere, die Alternativ-Besetzung zum Zuge kommt. Dabei gab es einige erfreuliche Entdeckungen. Doch zunächst zum Visuellen der Neuproduktion, die, wie einige aufmerksame online-MerkerInnen schon feststellten, eine Bearbeitung der seinerzeit in Klagenfurt zu besichtigenden Inszenierung ist. Seis drum. Wir Münchner Zuschauer konnten uns jetzt an der ästhetischen, zeitlosen Arbeit von Torsten Fischer erfreuen.
Schwarz-weiße Straßenkleidung (Kostüme: Vasilis Triantafillopoulos), eine leere Bühne (Herbert Schäfer), ein schwacher König, eine argwöhnisch-eifersüchtige Tochter, ein begehrter Kriegsheld, ein machtlüsterner, kriegsgeiler Oberpriester (in hellem Anzug mit Sonnenbrille als „Pate“von Theben), eine Fremde in schwarzer Abaja und schließlich ein Guerillakrieger, der sein Volk in die Freiheit führen will. Das sind die Zutaten für die zeitgemäße Inszenierung von Torsten Fischer. Keine ägyptisch-historisierende Ausstattungsoper, sondern beklemmend aktuelles Theater: Wenn Ramphis als brutaler Einpeitscher das friedliche Volk zu hochgereckten Fäusten und Kriegsgeschrei treibt; wenn der siegreiche Radamés bestürzt auf die am Boden liegenden Opfer blickt, blutverschmiert um Gnade für die Gefangenen bittet; wenn ein vermummter Krieger dem Helden die Maschinenpistole entreißt und einen Aufruhr verursacht. Dann sind das Bilder, wie wir sie ständig in den Nachrichten sehen und die uns hier auf der Bühne stärker berühren, weil sie das Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem alltäglichen Wahnsinn von Krieg und Gewalt in der Welt evozieren. Zum Nachdenken anregen – viel Besseres kann Theater nicht leisten.
Tamara Haskin, Angus Wood. Foto: Christian Zach
Die musikalische Seite gab etlichen Anlass zu Szenenapplaus: Tamara Haskin, eine glutvolle Aida, deren dramatischer Sopran ohne jegliche Schärfe hoch aufleuchtet, bruchlos in eine warme Mittellage und eine satte Tiefe geht, die zu zartem Piano und zu leidenschaftlichen Ausbrüchen fähig ist, eine starke Frau, die sowohl dem Vater als auch dem Geliebten ebenbürtig ist. Dieser wurde vom australischen Tenor Angus Wood gesungen, ein ansehnlicher, wohlgestalteter Held, der mühelos Orchester und Chor übertönt, seine göttliche Aida mit strahlenden Tönen anbetet, sich allerdings noch kein pp zutraute. Sergii Magera gab mit kernigem Bass den priesterlichen Diktator. Francesco Landolfi mit heldischem Bariton den König der Äthiopier. Das langjährige Ensemblemitglied Martin Hausberg sang den schwächelnden König und Dubravka Musovic die fordernd-argwöhnische Amneris.
Besonders zu loben sind der fabelhafte Chor, der wieder einmal seine phantastischen schauspielerischen Fähigkeiten und seine vokale Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellte.
Gleiches Lob gilt für das nicht minder großartige Orchester, das unter Chefdirigent Marco Comin ein italienisches (musikalisches) Feuerwerk entfaltete. Comin kostete vor allem in der Schlussszene die verlöschenden Piani aus. Umso ärgerlicher, dass ein Großteil des Publikums, kaum dass der letzte Ton verklungen war, zu Gejohle und Gepfeife ansetzte. Eine Unsitte! Kann man seiner Begeisterung nicht auch durch 30 Sekunden Stille Ausdruck geben?
Viel Applaus – und Glückwunsch zu einer großartigen Produktion.
Jakobine Kempkens