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MÜNCHEN/ Cuvilliestheater: SEMELE. Premiere

25.10.2013 | KRITIKEN, Oper

Georg Friedrich Händel: SEMELE (Premiere am 24.Oktober 2013 im Cuvilliéstheater in München)

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Schlussapplaus: Jennifer O’Loughlin. Foto: Staatstheater am Gärtnerplatz

 Schon in den frühesten Dokumenten schwanken die Chronisten und Musikwissenschaftler, ob „Semele“ ein Oratorium ist, oder doch als Oper bezeichnet werden kann. Im Original wird das Werk „The Story of Semele“ benannt. Im Vorwort der Ausgabe der Deutschen Händelgesellschaft, Leipzig 1860, heißt es dazu: „Die Bezeichnung wurde gewählt, weil man das Werk wegen seiner weltlichen Haltung nicht Oratorium, und seiner oratorischen Haltung wegen nicht Oper nennen wollte. Semele ist aber von Congreve als Operntext geschrieben (1707), bewies sich indes wegen des undramatischen Ausganges als nicht geeignet für die Bühne, und blieb unbenutzt liegen bis Händel das Gedicht mit einigen Veränderungen oratorisch behandelte.“

William Congreve schuf das auf dem 3. Buch der „Metamorphosen“ des Ovid basierende Libretto zunächst für den Komponisten John Eccles. Unklar ist, ob diese Vertonung je zur Aufführung gelangt oder nur in Vergessenheit geraten ist. Georg Friedrich Händel begann seine Komposition Anfang Juni 1743 und vollendete sie schon einen Monat später; die Uraufführung fand am 10.Februar 1744 im Theatre-Royal in Covent-Garden statt. Trotz einer hervorragenden Besetzung war dem Werk, wohl auch aus dem Spannungsfeld Oratorium – Oper heraus, kein großer Erfolg beschieden und auch der Versuch einer Wiederaufnahme endete mit einem Fiasko. Erst im 19. Jahrhundert besann man sich der musikalischen Qualität des Werkes und seit einigen Jahren kommt es zu regelmäßigen szenischen wie auch konzertanten Aufführungen; im Theater an der Wien war „Semele“ als Oper im September 2010 zu sehen.

„Göttervater Jupiter liebt die sterbliche Prinzessin Semele von Theben und entführt sie vor der von ihrem Vater eingefädelten Hochzeit mit Prinz Athamas in seinen himmlischen Palast. Semele ist darüber sehr glücklich, galt ihr Streben doch stets Höherem. Weniger glücklich ist hingegen Jupiters Ehefrau Juno, und sie spinnt einen Plan, den Seitensprung zu hintertreiben: Juno erschleicht sich Semeles Vertrauen und weckt in ihr den Wunsch nach Unsterblichkeit. Diese bekäme sie, wenn sich Jupiter ihr in seiner wahren Gestalt zeige. Dass diesem Anblick kein sterblicher Körper gewachsen ist, verrät sie jedoch nicht. Semele fällt darauf herein, und als der liebesverblendete Jupiter schwört, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, wählt sie den tödlichen. Die Hüterin der Ehe hat über ihre Nebenbuhlerin gesiegt, doch aus Semeles Asche steigt in Gestalt ihres Sohnes Bacchus eine neuerliche Bedrohung jedweden Eheglücks hervor …“ Mit dieser kurzen Inhaltsangabe kündigt das Gärtnerplatztheater in der Jahresvorschau die gestrige Premiere von „Semele“ an. Als Spielort, wegen der noch andauernden Umbauarbeiten gastiert das Gärtnerplatztheater an verschiedenen Spielstätten in München, wurde das Cuvilliés-Theater ausgewählt, das einen optisch und größenmäßig optimalen Rahmen für eine Barockoper bietet.

Karoline Gruber, die Regisseurin der Neuproduktion in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln, hat Erfahrung mit Opern des 17. Und 18.Jahrhunderts, hat sie doch immerhin schon Werke von Hasse, Matthus, Cavalli, Rameau und auch Händel in Szene gesetzt. Wer im Hinblick auf das Ambiente des Theaters eine quasi historische Inszenierung, wie ich sie kürzlich im Schlosstheater von Cesky Krumlov für „Siface“ von Nicola Antonio Porpora erlebt habe, erwartet, ist mit falschen Vorstellungen gekommen. Denn auch wenn das Leadingteam (neben der Regisseurin Roy Spahn – Bühne, Magall Gerberon – Kostüme und Beate Vollack – Choreografie) immer wieder „altes“ Theater zitieren, bleibt die bunte Inszenierung häufig der traditionellen Moderne verhaftet. Ausgehend von der ersten Szene des Librettos, Semele soll gegen ihren Willen verheiratet werden, hat sich die Regisseurin dafür entschieden, die auf der Erde spielenden Szenen am Ende des 19. Jahrhunderts anzusiedeln. Im Frack die Männer, im passenden Abend-/Hochzeitskleid die Frauen. Dahinter eine Mauer, die wohl die auch geistige Enge des damaligen bürgerlichen Lebens symbolisieren soll. Bunt wird es im zweiten Akt, im Reich von Zeus. Weiße Wölkchen werden herumgetragen, irgendwann tauchen die Türme der Frauenkirche aus der Versenkung auf (eine Turmkuppel entpuppt sich als Zeus´ Hausbar), Semele wird mit Unmengen von Schuhen, Handtaschen und Kleidern umgarnt (ist Semele wirklich so einfach gestrickt ?). Wenn die Juno ihrer Widersacherin die Zukunft vorhersagt, wird vom Schnürboden eine verkleinerte Kopie des Bühnenportals als quasi Spiegel herabgelassen und Doubles zeigen Semeles Zukunft bis hin zur alten Frau. Und immer wieder Projektionen auf Teile der Szene. Die letzte Szene nach Semeles Tod erinnert optisch wieder an den Beginn der Oper. Der Kreis ist geschlossen. Verbindendes Glied über den ganzen Abend ist ein Schmetterling (Hipparchia semele, auch Rostbinde genannt), der als Symbol des flatterhaften Jupiter aber auch der Zerbrechlichkeit von Semele gedeutet werden kann.

Musikalisch steht der Abend auf durchwegs hohem bis sehr hohem Niveau. Dass das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz nicht auf Barock spezialisiert ist, weiß auch der Besucher aus Wien und erwartet keinen Originalklang. Aber Marco Comin, Chefdirigent des Hauses, sorgt mit Unterstützung von Spezialisten im Continuo für einen feinen Klangteppich, der ein Wenig an die Interpretationen eines Karl Richter erinnert. Mehr als nur erwähnenswert die gute Leistung des von Jörn Hinnerk Andresen einstudierten Chores.

Das nicht durchwegs barockaffine SolistInnenensemble nennt einige Namen, die der Besucher aus Wien von der Volksoper oder dem Theater an der Wien kennt, insbesondere – und durchaus wertend zu verstehen – Jennifer O´Loughlin in der Titelpartie, Franco Fagioli als Athamas und Adrineh Simonian als Juno. Die Titelgebend Semele steht nicht nur im Zentrum des Werkes, ihre Partie ist voll von seitenlangen Arien voller Koloraturen und höchsten Tönen. Wer diese Rolle mit der Qualität und dem Können von Jennifer O´Loughlin, sie gehörte bis zur letzten Saison zum Ensemble der Volksoper, zählt zweifellos zu den Spitzen ihres Stimmfaches. Die vom Komponisten geforderte Stimmbandakrobatik meisterte sie mit Bravour. Man muss kein Prophet sein, um sie am Beginn einer wirklichen Karriere zu sehen. Diesen Sprung in die Internationalität hat der Countertenor Franco Fagioli schon geschafft. Der im Theater an der Wien immer wieder bejubelte Sänger bewies auch an diesem Abend, dass es nicht egal ist, ob manche Rollen mit Mezzosopranen oder Countertenören besetzt werden. Als Semeles Vater Cadmus kann er seine stimmlichen Qualitäten auch voll ausspielen. Adrineh Simonian, auch sie von der Volksoper bekannt, zeigte als Juno ihre in Wien zu oft unterschätzten stimmlichen Qualitäten und war in Stimme und Ausdruck eine ebenbürtige Gegenspielerin zu Semele. Nicht ganz dieses Niveau konnte Ferdinand von Bothmer, auch er war vor einigen Jahren im Haus am Währingergürtel engagiert, halten. Wohl entspricht er optisch dem Wunschbild von Jupiter, dem von Händel geforderten Gesangsstil kann er aber nicht alles abgewinnen. Eine Luxusbesetzung für die kleine Rolle des Apollo ist Juan Carlos Falcon, die tiefen Stimmen für Cadmus und Somnus liegen bei Holger Ohlmann und István Kovács in profunden Kehlen, Elaine Ortiz Arandes singt eine mehr als achtbare Iris und Ann-Katrin Naidu kann als Ino stimmlich und vor allem auch schauspielerisch punkten.

Nach einem langen Abend gab es zuletzt großen Jubel für alle Beteiligten, dem sich der Besucher aus Wien gerne angeschlossen hat.

 Michael Koling

 

 

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