München: “Turandot” – Bayerische Staatsoper 02.05.2019 – Schlussapotheose im Bambuswald
Die Prinzessin und die Ahnfrau in 3D – Ensemble und Chor der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl
Turandot ist nun wirklich keine Oper, die zu Psychologisierung einlädt, zu holzschnittartig sind die Charaktere gezeichnet: die eisige Prinzessin, der arrogante Prinz, die aufopferungsvolle Liu. Und wenn als Regisseur Carlus Padrissa mit seiner Akrobatentruppe La Fura dels Baus gebucht ist, erwartet man keine ausdifferenzierte Personenregie, sondern kraftvolles Aktionstheater. Davon gibt es in dieser letzten von vier Aufführungen der aktuellen Repertoireserie von Puccinis Turandot mehr als genug. Diese Turandot-Inszenierung hatte im Dezember 2011 Premiere und es wurde schon ausführlich darüber berichtet. Auch wer die Reizüberflutung ablehnt – es gibt zusätzlich zu den im Libretto vorgesehenen Personen noch Schlittschuhläuferinnen, Akrobaten, bewegliche Totenschädel,etc. – wird doch mit einigen eindrucksvollen Bildern nach Hause gehen: Der Auftritt Turandots im Zentrum eines riesigen Auges. Der Kinderchor, der in weiße Kapuzenmäntel gekleidet das Gestell mit dem zum Tode verurteilten Prinzen von Persien auf die Bühne zieht und dabei engelsgleich singt. Das Feld mit den abgeschlagenen Köpfen, die zum sehnsüchtigen Gesang von Ping, Pang und Pong zu tanzen beginnen. Und vor allem das Schlussbild, der Tod Lius, bei dem sich die Bühne in einen romantischen Bambuswald verwandelt. Wenn dann aber mitten in die wunderschön und bewegend gesungene Schlussszene – der Tod Lius – das Zeichen für die 3-D-Brillen erscheint und das ganze Haus wieder knisternd die rot-grünen Ungetüme aufsetzt, ist der Zauber zerstört. Schade.
Schlussapotheose im Bambuswald – Ensemble und Chor der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl
Anna Pirozzi als Turandot beeindruckt mit eisigen Spitzentönen, die nur in der Rätselszene einmal etwas schrill werden. Wenn sie vom Schicksal ihrer Ahnfrau erzählt, legt sie Wärme und Mitleid in die Stimme. Wenn sie mit Yonghoon Lee als Calaf zusammen das Hohe C erreicht, lässt die Phonstärke das Haus erzittern. Lee ist ja bekannt für seine Vorliebe für lautes Singen, da klingt seine Stimme auch am besten. Wenn er, wie in Nessun Dorma, mal eine Phrase im Piano versucht, wird die Stimme leider klanglos und fahl. Seine Gestik in dieser Arie wirkt wie die Parodie eines Operntenors: rechter Arm ausgestreckt, die Hand ballt sich zur Faust, Positionswechsel, linker Arm ausgestreckt, die Hand ballt sich zur Faust…
Für die Sklavin Líu hat Puccini die schönsten und ergreifendsten Melodien dieser Oper komponiert, Golda Schultz singt sie mit wunderschöner Phrasierung und viel Ausdruck.
Als Ping, Pang und Pong sind Mattia Olivieri, der unverwüstliche Kevin Conners und der schönstimmige Galeano Salas ein so komisches wie melancholisches Trio. Goran Jurić gibt mit schönem Bass dem Timur Gewicht. Der Kaiser Ulrich Reß dagegen, klingt etwas brüchig.
Die musikalische Leitung lag in den Händen von Pinchas Steinberg, der sich, wie schon in Macbeth letztes Jahr, als Mann der grellen Gegensätze präsentiert. Er legt mit dem Bayerischen Staatsorchester ein flottes Tempo vor und stellenweise eine Lautstärke, die, wie schon erwähnt, das Haus erzittern lässt. Da bleibt gerade den Sängern von Turandot und Calaf oft kein Spielraum für musikalische Differenzierung. In den Szenen mit Líu und Ping, Pang und Pong und vor allem am Ende nimmt er das Orchester auch mal zurück. Sehr schön und atmosphärisch dicht die Chorszene, wenn das Volk den Mond, das „abgeschlagene Haupt“ erwartet.
Es bleibt der Eindruck eines großen. lauten Events, das aber auch voll leuchtender musikalischer Farben ist. Großer Applaus für alle Beteiligten.
Susanne Kittel-May