München: “La Fanciulla del West” – Bayerische Staatsoper 22.03.2019 – Kein Western, kein Gold
Arme Teufel in der Kohlegrube – Ensemble und Chor der Bayerischen Staatsoper im Eingangsbild von Andreas Dresens Neuinszenierung © Wilfried Hösl
„The Girl of the Golden West“, Das Mädchen aus dem Goldenen Westen“, so heißt das Theaterstück des Amerikaners David Belasco, das Puccini als Vorlage für seine Fanciulla diente. Puccini selbst hat bereits das „golden“ aus dem Titel weggelassen, Andreas Dresen nun hat in seiner Neuinszenierung für die Bayerische Staatsoper auch den Westen eliminiert und lässt die Oper in einem Bergwerk spielen. Ein düsteres, heutiges Setting, das nicht Gefahr läuft, unfreiwillig komisch zu wirken und in dem die Geschichte von der einzigen Frau in einer reinen Männergesellschaft schnörkellos und direkt erzählt wird. Dass Dresen vom Film kommt, merkt man vor allem an der ausgefeilten Personenregie. Vor allem im ersten Akt gelingt es ihm, die Vielzahl von kleinen und kleinsten Rollen so zu führen, dass individuell unterscheidbare Charaktere entstehen. Da entsteht kein Leerlauf beim Warten auf die Hauptpersonen, denn schließlich dauert es ja mindestens eine Viertelstunde bis Minnie erscheint, auf den Tenor muss man sogar noch zehn Minuten länger warten.
Bedrohlich wie eine Guillotine – der Vergleich stammt von Dresen selbst – hängt eine gezackte Gebirgskontur über allen Bildern, die Berge nicht als Sehnsuchtsort, sondern als Gefängnis symbolisierend. Minnies Hütte hat Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau als kleine Plattform in die unwirtliche Weite der Bühne gestellt, auch hier die Enge der Welt symbolisierend. Am Ende, wenn Minnie und Johnson ihr „Addio, mia dolce Terra! in himmlischem Unisono singen, richtet sich von unten eine zweite Bergkontur bedrohlich auf und verschließt den Himmel. Jack Rance zieht die Pistole, der Vorhang fällt – Minnie und Dick stehen allein davor – ein Aufbruch in ein besseres Leben schaut anders aus!
Die Hauptrolle spielt in dieser Oper die Musik Puccinis, die in der Fanciulla so farbenreich und modern ist, wie in keiner anderen seiner Opern. James Gaffigan am Pult arbeitet diese Farbigkeit, aber auch die Schroffheit und die Kanten, die in dieser Musik stecken, mit viel Emphase heraus. Das ist oft sehr laut, so dass man die ebenfalls vorhanden zarten, leiseren Stellen fast überhört. Das Bayerische Staatsorchester folgt ihm mit großer Präzision. Merkt man hier die Jahre mit dem Partituranalytiker Petrenko?
Das Ereignis dieser Neuinszenierung ist Anja Kampe in der Titelrolle. Sie ist darstellerisch eine wunderbar natürliche Minnie, man nimmt ihr die Bibelstunde ebenso ab, wie die Leidenschaft für ihren Banditen. Und alle Empfindungen dieser Figur stecken auch in ihrer Stimme. Sie hat zwar keine Arie, keine große Soloszene, wie Puccini sie seiner Tosca oder Turandot geschrieben hat, aber da sind doch sehr viele sehr schöne kurze Phrasen, in denen sich ihre Stimme aus der kräftigen, warmen Mittellage wunderbar in die Höhe schwingt und aufblüht. Allein wegen ihr würde sich diese Fancuilla lohnen.
Minnie (Anja Kampe) hat soeben das Leben von Dick Johnson (Brandon Jovanovitch) gewonnen – durch Betrug beim Pokern. Der Sheriff (John Lundgren) schleicht davon. © Wilfried Hösl
Brandon Jovanovich hatte in der Premiere noch mit kleineren Unsicherheiten zu kämpfen, die in der hier besprochenen dritten Aufführung nicht mehr zu hören waren. Auch er hat eine sehr schöne kräftige Mittellage, die exponierten Höhen klingen aber wie von einer anderen Stimme gesungen, hier fehlen etwas Schmelz und Farbe. Darstellerisch geht er voll in seiner Rolle auf und spielt den Räuber wider Willen sehr glaubhaft. Das „Ch’ella mi creda“ im dritten Aktgelingt ihm sehr berührend und auch im Zusammenspiel und -singen mit Anja Kampe, hat er wirklich große Momente. Ein Moment, der im Gedächtnis bleibt: Die unendliche Süße der Tenorstimmen – Puccini verlangt hier 15 Tenöre hinter der Bühne – die unisono summend Dick Johnson begleiten, wenn er am Ende der ersten Aktes Minnis schöne, reine Seele besingt.
John Lundgren singt den Jack Rance als „Scarpia light“ mit wenig Varianz in der stimmlichen Gestaltung, dafür aber umso mehr Kraft. Er hat ein kleines Arioso im ersten Akt, in dem er zeigen kann, dass seine Stimme auch sehr schön strömen kann, ansonsten ist er der gnadenlose Sheriff, der den Banditen und Nebenbuhler am Galgen sehen will.
Sehr beeindruckend wieder einmal die Ensembleleistung der vielen Männerstimmen in kleinen und kleinsten Rollen, die alle hervorragend besetzt sind und auch von der Regie sehr glaubhaft und natürlich geführt werden. Kevin Conners zieht als Kellner Nick wieder einmal alle Register seiner Spielfreude und Tim Kuypers lässt als Sonora einen sehr schönen, weichen Bariton hören. Galeano Salas (Harry) und Freddie Di Tommaso (Joe) mit ihren auf so unterschiedliche Weise schönen Tenorstimmen, Bálint Sabo als schmieriger Ashley, Manuel Günther (Trin), Alexander Milev (Sid), Justin Austin (Bello), Christian Rieger (Happy), Normann Garrett (Larkens), Sean Michael Plumb (Jake Wallace) und Ulrich Reß (Postillon) runden das Ensemble der Männerstimmen ab. Oleg Davidov als Billy Jackrabbit und Noa Beinard als Wowkle sind das Indianerpaar, das von der Regie nicht ganz so stereotyp gezeichnet wird, wie es das Libretto vorsieht.
Eine Neuinszenierung, die nur Jubel hervorruft, ein großartiger Opernabend!
Susanne Kittel-May