Staatsoper München: Live-Stream „Karl V.“ 23. Febr. 2019
Kastration: großer Wurf wird verschleudert
Einwurf von Tim Theo Tinn
Bo Skovhus, Opernballett. Foto: @Wilfried Hösl
Filmisch kennt man verschiedene Bildeinstellung im Verhältnis der Abbildung/Wiedergabe zum vorgegebenen Bild: von Supertotalen geht man sogar noch über Detailaufnahmen hinaus.
Im Theater gibt es nur ein Format: die Totale. Was geschieht, wenn man einer großartigen Nutzung dieser Totalen auf einer 2.500 QM großen Bühne nun den Perspektivwechsel zu den Filmformaten auferlegt?
Beim Live-Stream der Inszenierung wurden Schwächen potenziert, Qualitäten beschädigt.
Nach der Premiere war mein Eindruck: „…die Bilder, das Werk und fast alle Protagonisten machen den Abend wertvoll und oft betörend!“ (s. TTT: Beinahe ein ganz großer Wurf! https://onlinemerker.com/muenchen-bayerische-staatsoper-karl-v-von-ernst-krenek-premiere/).
Insgesamt wurde die Hoffnung, wenige negative Punkte der Premierenbetrachtung im Live-Stream korrigieren zu können nicht erfüllt: … es wurden Schwächen potenziert, Qualitäten beschädigt.
Die großformatige Distanztotale einer Theatervorstellung lässt Manches untergehen. Nahaufnahmen, mit unterschlagendem großartigen visuellen Gesamt-Rahmen, vergrößern z. B. mangelhafte Regie in Körpersprache und Ausdruck. Die fehlende Korrespondenz mit dem außerordentlichen und ungewöhnlich feinsinnig sensibel abgestimmten visuellen Raum (Bühnenbild ist als Bezeichnung hier zu geringschätzig) wirkt geradezu anarchisch, terrorisiert begeisterte Aufnahme. Auch die fast „mikroskopisch“ überhöhte techn. Bearbeitung des Auditiven wirkt kontraproduktiv. Das Gute wird nicht besser, aber Schwächen werden noch schwächer.
Meinen Eindrücken der o.a. Ausführungen kann nicht viel hinzugefügt werden. Es bleibt bei den wenigen unbefriedigenden Punkten der 3 Fehlbesetzungen, fehlender Personenregie als wesentlicher Faktor einer Inszenierung, reduzierte adäquate inszenatorische Dramaturgie.
Ärgerlich ist nach wie vor, dass auch hier im Pauseneinspieler betont wird, sich nur in 2 Zeitebenen bewegt zu haben (Gegenwart und Vergangenheit). Daher werden auch sämtliche Erscheinungen auf gleichem optischen Niveau gespielt. Es sind aber keine Vergangenheiten, die sich offenbaren. Es erscheinen Wesenheiten aus anderen Universen, keine Untoten, sondern Energien, die der Realität nicht angehören, aber im Kontext dieser realen Welt agieren. Wäre es Vergangenheit, dann könnten auch nur vergangene Themen vorgetragen werden. Das sollte ein Inszenator und sein Dramaturg erkennen.
Ich bleibe trotzdem bei der Hoffnung, dass mit dieser Inszenierung das Tor zu feinstofflichen theatralen Umsetzung geöffnet wurde.
Schade, dass man eine in großen Teilen bildgewaltig sensible szenische Aufbereitung in ein enges Bildschirmformat wuchtete.
Der kleine „Kack“ im Großformatigem wird zu großem im Kleinformatigem.
Tim Theo Tinn am 24. Febr. 2019
Profil TTT: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden).