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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: DIE VÖGEL. TV (Stream) -Premiere

Metapher ideologischer Hetze in unordentlicher Routine!

03.11.2020 | Oper international

Bayerische Staatsoper München Staatsteater.TV-Premiere 31. Okt. 2020

Die Vögel -lyrisch-fantastisches Spiel in zwei Aufzügen – 1920 Komponist Walter Braunfels · Libretto vom Komponisten nach Aristophanes

Metapher ideologischer Hetze in unordentlicher Routine!

Einlassungen von Tim Theo Tinn


„Die Vögel“ – Chor und Statisterie der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl – Hitchcock gibt es nur bei Castorf

In „Die Vögel“ von Aristophanes (445-385 v. Chr.) und die Distanz von nahezu 2500 Jahren zu Braunfels (1882-1954) lyrisch-fantastischerMusiktheater-Adaption beschämen unverändertes menschliches Mäandern durch die Jahrtausende. Seine lyrisch-fantastischen Wahrhaftigkeiten entlarven. Evolution humaner Sozialisation stagniert spürbar immer noch, aktuell sogar deutlich und peinlich in der Weltgesellschaft.

Besonders heute können mit dieser Parabel peinliche Assoziationen zu politischer Hybris und Demagogie verdichtet werden, wenn man dies denn erkennen will. Inszenierung, weite interne und externe Sachwalter (z. B. Dramaturgie + Presse) wollten oder können es offensichtlich nicht. Das Thema wird hierzu allerorten untergebuttert. Gewinnen professionelle Corona-Restriktions-Meckerer so Glaubwürdigkeit? Zeitgeistige brisante Auseinandersetzung mit künstlerischen Mitteln verkam zur Drolerie. Der Urgrund des Theaterspielens versagt kläglich. So werden aktuelle Kunst-Beschwörungen zur Hohlformeln! Diese Allegorie könnte Kunst in gesellschaftspolitisch prekären Zeiten vital aus dem Elfenbeinturm führen.

„Verflucht noch mal, Beschwerdeträger, lasst Euren Worten Taten folgen (Goethe/Faust), gebt Eurem Publikum die zeitimmanenten Wichtigkeiten und Stützen. Die Dramaturgie der Bayerischen Staatsoper hat versagt. Systemrelevanz sieht anders aus! Fragt TTT!“

Ohne gelebte und nicht nur behauptete Positionen könnte die aktuelle Zuordnung zu seichten Unterhaltungen doch zutreffen!

1913/20 hat Walter Braunfels die Oper komponiert, in München von Bruno Walter erfolgreich uraufgeführt, unterbrochen von Krieg und Verwundung 1915/18. Nachdem Braunfels 1923 den Auftrag Hitlers zu nationalsozialistischer Hymne ablehnte, verschwand er nach der Machtergreifung 1933 von den Spielplänen, verlor sein Amt als Gründungsrektor der Kölner Musikhochschule, Adenauer rehabilitierte ihn.

Die derbe Komödie wurde von Braunfels Komposition zu einem lyrisch durchwirkten fantastischen Spiel transformiert, mit mächtigem Belcanto-Verlangen. Castorfs Inszenierung hat eine Verismus-Version versucht, statt das mirakulöse Etwas im Zauberreich zu suchen. Seinem Ruf wird er nicht gerecht! Hat er nun auch zu viel Kreide gefressen, durch 6stellige Musiktheater Honorare?

Aristophanes Vögel (415 v. Chr.) warnen vor politischer Hybris und Demagogie:

Zitat: „Wahrhaftig, ich sehe einen großen Plan im Volk der Vögel und Macht, die entstehen könnte, wenn ihr euch von mir überreden ließet.“

Vögel legen sich durch solche Einflüsterungen mit Göttern an, um eigene Welten aufzubauen. Braunfels verändert Charaktere, satirisch Gesellschaftskritisches zur Sehnsucht nach Kreatürlichkeit, Liebe, metaphysischem Streben. Der kauzige Prometheus diagnostiziert nun Hochmut und Realitätsverlust als „mystischer Repräsentant der Götterwelten“. Die im Antiken stumme Nachtigall für „romantische“ Sehnsüchte singt und bezirzt seit 1920. Düsternis wächst bei Braunfels, berührt Tragödie, Romantik, betont drei Handlungsstränge:  Konsenswelt der Menschen, Phantasma der Vögel, Götterwelten, zur perfekten Beschwörung eines „Wolkenkuckucksheims“ (nichtexistente Welt, Luftschloss, abgehobene Utopie).

Demagogie verführt Vögel zum Terror gegen die Götterwelten. Ideologische Hetze manipuliert unbedarfte Massen bis zum Untergang, hier als Vögel-Metapher.

Und schon sind wir nach 2500 Jahren im Hier und Jetzt – ob der vielfältigen Einflüsterungen! Werden wir ge- oder verführt, greifbar informiert?  Was soll denn z. B.  idiopatisch, kryptogenisch, iatrogenisch, nosokomial sein?

  1. Brecht: „Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selbst!“

Kurzhandlung: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_V%C3%B6gel_(Oper)     (ca. 2 Minuten)

Atmosphärisch dichte, erfreuliche ausführliche Beschreibung/Handlung, wenn die besondere Sensitivität des Musikdramas interessiert: https://www.zazzerino.info/Braunfels/Oper/030/index.shtml        (ca. 10 Minuten)

Die Inszenierung ist vielleicht nette Konversation in ewiger Nacht, aber keine dramaturgische Sichtung. Castorfs übliche szenische Wucht fehlt, schafft Containerbaracken statt Wolkenkuckucksheim. Ver–castorf- ung funktioniert nicht, erkennbar hat er oberflächlich am Libretto entlang gebastelt, nicht tiefschürfend gesichtet. Überbordendes szenisches Gerumpel gerät zur Unkenntlichkeit im szenischen Kauderwelsch und kruder Überladung. Eindrücke überkugeln sich sinnentleert. Handlungstragende Informationen konnten nicht erkannt werden.

Die typischen Castorf – Ingredienzen insbes. Bühnenbild verkommen hier zum immer gleich variierten Eigen-Plagiat gem. Abbildung s.o.

  1. dazu auch TTT Castorf-Rezensionen Totenhaus und Don Juan:

https://onlinemerker.com/muenchen-bayerische-staatsoper-aus-einem-totenhaus-2/

https://onlinemerker.com/muenchen-residenztheater-don-juan-von-moliere-aus-dem-franzoesischen-von-hartmut-stenzel/

Castorfs allfälligen Bühnensprache bleibt unsortierte Stoffsammlung, Sammelsurium von unakzentuiert Gekotztem aus ehemals Adäquatem.

Die Videoübertragung auf offener Szene durch Live-Kameras gem. o. a. Rezensionen verlieren ihren Gehalt. 

Inszenieren heißt Musik und Libretto fein lesen, austauschen mit aktuellem Hier und Jetzt sowie eigenen Empfindungswelten – daraus eine individuelle Synthese werkimmanenter Lesart mit Handwerk, Delikatesse und publikumswirksamer Umsetzung kreieren.

Braunfels wählte den Terminus lyrisch-fantastisches Spiel. Das meint Träumerisches, Fantasiegebilde und Empfindungen feinstoffliche Parallelwelt, das Faszinosum dieser Schöpfung – ist somit Aufgabe des musikalischen Leiters, des Inszenators.

Warum holt man Lyrisch-Fantastisches erdschwer auf die reale Konsenswelt in diffusen Containerbaracken, statt eine filigrane Parallelwelt im Faszinosum der schwerelosen Phantasiewelten zu kreieren?

Zitat TTT: „…eine weltüberhöhende, über Realität stehende Werkimmanenz erfüllt Musikdramen mit Heutigem aus feinstofflichen metaphysischen Bereichen oder aus immer mehr erkannten quantenphysikalischen Wahrheiten, besonders in diesem einzigartigem Musiktheatertypus.“ s. u.  Fußnoten TTT Musiktheaterverständnis

Musikalische Leitung Ingo Metzmacher:  TTT kann sich für 2 Zugangswege musiktheatralischer Interpretation begeistern: analytische Durchsichtigkeit und/oder sinfonische Wucht. In den ersten ca. 15 Minuten ließ sich solche Differenziertheit verheißungsvoll erkennen: eine zarte, klare, feinstimmige Durchhörbarkeit in individueller, lebendiger Gestaltung der Tempi (Agogik). Dann entzauberte sich der musikalische Fluss, blieb im ordentlichen Vortrag, erweckte aber keine tiefen feinstofflichen Kosmen der tonalen singulären Musiksprache (das kann auch mit digitaler Übertragung, der lustlosen Inszenierung oder dem reduzierten Orchester zusammenhängen)! Die Dynamik erschien also einförmig, kognitiv erarbeitet, Tempi und Dezibel gut. Lyrisch-fantastische warme Empfindungen und Poesie gem. Komposition konnte TTT nicht erleben.

 

Gesang (Rezension muss unangemessene Leistungen nennen, um akzeptabler Qualität zu dienen!) 

Caroline Wettergreen (Nachtigall) war exorbitante Qualität, Emily Pogorelec (Zaunschlüpfer) war gut – sonstige größere Partien erstaunen. Das Niveau war überwiegend unter dem Staatsopern-Premieren Level. Üblich sind Kaliber für die hier eingeführten Partien wie Kaufmann, Beczala, Pabst, Groissböck, Zeppenfeld. Einzig Caroline Wettergreen ist in dieser Liga, mehr noch – TTT kann sich keine andere Stimme für die Nachtigall vorstellen.

Wolfgang Koch (Prometheus):  seit der Salome Premiere  6/2019  als Jochanaan hat sich nichts geändert. Er bleibt unter den Erwartungen. Sein gleichmütiges Rollenspiel …. Gesanglich bleibt er weit zurück. Die Mittellage ist kraftvoll, elastisch mit schönem Kern. Das war es aber auch schon. Die Wege ins hohe Register werden angestrengt angegangen, gepresst und geschoben – so hört man unfreie Tongebung.  Auf dem Weg ins tiefe Register öffnet er regelrecht Tore, um sich herab zu ringen – das sind keine fließenden dynamischen Übergänge, sondern sortierte Registersuche. N.m.E. hat sich die Stimme über die Jahre versungen, das schöne Material hat das Potenzial zu früherer Qualität zu finden. Wie in wenigen Wochen Verdis Falstaff gesungen werden soll, schafft Spannung.

Michael Nagy (Ratefreund):  5/2019 erkannte TTT Folgendes: der erste Einsatz in gefälliger Mittellage war schön. Bei den Wegen in andere Register änderte sich das. Es wurde zu nasal, rappelte, der Registerausgleich fiel ungut auf, er stemmte Manches. Die Stimme scheint grundsätzlich alle Voraussetzungen zu haben – aber stimmtechnische Überarbeitung ist geboten.

Es hat sich was geändert, leider in die falsche Richtung. Nach dem ersten Akt schien die Stimme schon erschöpft, jenseits der Mittellage wird alles erkämpft. Fehlbesetzung.

Charles Workmann (Hoffegut): bleibt als Tenor in einer Liga, die den Anspruch der Bayerischen Staatsoper nicht erfüllen kann.  Die Stimme ist limitiert, einen Kern erkennt man nur in der Mittellage. Ansonsten schleift, schiebt und stößt er sich durch die Register. Die Stimme wird oben eng und unten kraftlos, kann als Charaktertenor durchgehen. Der Belcanto – Qualität im Duett anfangs des 2. Aktes wird alles geschuldet. Fehlbesetzung.

Günter Papendell (Wiehopf): auch dieses Engagement erstaunt, stimmlich ähnliche Probleme wie seine Kollegen. Am Anspruch der Staatsoper scheitert er gesanglich, oben eng, unten nichts – das reicht nicht. Fehlbesetzung.

 Caroline Wettergreen (Nachtigall): Partie und Umsetzung sind kongruent. Caroline Wettergreen singt eine exorbitante Nachtigall – das ist kosmisch – mehr als Weltklasse, als Phänomen verlässt sie jede Erdenschwere, verzaubert, eine ganz seltene Koloratur–Begabung. Die Stimme hat einen homogenen vitalen   in allen Zartheiten getragenen exquisiten Kern, geht schwerelos durch alle Register. Diese Stimme macht befangen – verzückt, beeindruckt emotional eindrucksvoll. Sie wirkt nie angestrengt, kann in aller Breite in sämtliche Resonanzräume schweben. Mein erster überlyrischer Koloratur-Sopran, der niemals auch nur ansatzweise bemüht oder schrill klingt.

 Fazit: eine wundervolle Musiktheater-Rarität wurde unter Wert verkauft, Chance auf zeitgeistige Wirksamkeit vertan.

„Chance an diesem Ort vertan – für alle Andren geweckt! Kulturträger dieser Welt, nutzt dies wertvolle, hochqualitative Schauspiel- und Musiktheater-Kulturgut, um Zeitgeistiges auf Euren Bühnen zu hinterfragen – am besten durch TTT.“

 Tim Theo Tinn, 31. Okt. 2020

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt keine Reduktion auf heutige Konsens- Realitäten, Yellow-Press (Revolverpresse), Trash – Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zuzulassen. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.

 

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