Staatsoper München -Verkaufte Braut – Komische Oper – Premiere Samstag, 22. Dezember 2018
Komponist Bedřich Smetana · Libretto von Karel Sabina
Einlassungen von Tim Theo Tinn
Dunkel war’s – unfertiger Inszenierungsversuch – mächtig-rasante Dezibel – großer Misthaufen
Oh ewige Nacht! Wann wirst du schwinden? Wann wird das Licht …? (Zauberflöte). Soviel zum konstant nachtschwarzen, stimmenschluckenden Bühnenbild und sonstigem Diffusen.
Misthaufen, Chor und Solisten | Bildquelle: © Bayerische Staatsoper / Wilfried Hösl
Anm. d. Redaktion: Der Rezensent legt Wert auf die Feststellung, keine Pressekarte der Bayerischen Staatsoper bezogen zu haben.
Der Rezensent hat diese Oper vor vielen Jahren inszeniert (Musikalische Leitung Jiří Kout, Thielemann auch mal) und bittet daher für manche puristische Sichtung um Verständnis.
Orientierung incl. Fachtermini: gem. B. Brecht (Innovativ oder Sackgasse: onlinemerker.com/pragmatisches-musiktheater-inszenierungen-innovatives-portal-oder-sackgassen-theater/)
Szenisch bietet sich uninspiriertes Niveau anfänglicher Stellproben – eine Soda-Inszenierung, die so da ist, aber …
Stückproben: Fehlanzeige.
Dramatische Sichtung: Fehlanzeige
Dramaturgische Sichtung und Konzeption: Fehlanzeige
aktuelle gesellschaftliche Relevanz: Fehlanzeige
Durchgeformte Inszenierung: Fehlanzeige
Artifizielle durchgeprobte Personenregie bis auf Wenzel: Fehlanzeige
meiner Erfahrung fehlt inszenatorische Vorbereitung, blieb Hoffnung auf Attacken genialer Erleuchtung während szenischer Proben unerfüllt. Übrig bleibt schales Niedermachen eines skelettierten Librettos mit hilflosen Eigenplagiaten (und einige Statisten pissen im großen Rund, dröhnen sich die „Birne“ zu, ein lebendiges Schwein gibt es auch), inszenatorischer Zugang fehlt. Es entsteht Eindruck eines verirrten Planschens in undurchsichtiger musikalisch-dramatischer Kulisse.
Die Geschichte gem. Libretto:
Reiche Oberschicht-Eltern wollen für zurückgebliebenen stotternden Sohn eine Braut besorgen. Dazu wird ein Heiratsvermittler (Kuppler) eingespannt.
Deshalb verfügt ein Unterschicht-Vater (Prekariat) aus pekuniären Gründen die Zwangsehe der Tochter mit eben diesem stotternden Dorfdepp.
Tochters Liebhaber verkauft sein Eheversprechen auch noch an den schlitzohrigen Kuppler, nutzt dazu kriminellen Identitätsschwindel.
Also: die Braut wird doppelt verkauft. 3 Chauvis (Vater, Liebhaber, Kuppler) wollen damit Kasse machen. Der Zukünftige, etwas Behinderte wird ebenso zu Eheschließung beordert.
Dann trickst auch die 3fach zur geldwerten femininen Ware degradierte Braut (Gegenwert 3maligen Geldflusses) den Dorftrottel-Zukünftigen aus. Usw.
Möglichkeiten umsetzbarer Themen gem. Libretto:
Chauvinismus
Bosheit, Schadenfreude, Gewalt,
Ware Frau – ist das noch „Me too“?
Zwangsehe und verbotene Kuppelei (s. Kinderehen in Deutschland)
Kezal und Hans(?): Menschen mit schlechtmöglichstem Ruf: s. Politiker, Versicherungs-verkäufer, Gebrauchtwarenhändler (war der Rezensent auch schon alles)
Klassengesellschaft Oberschicht und Prekariat
Bigotte Elternschaft
Gesellschaftskritik zu Geld, Macht, Gier, Liebe und Moral (s. auch „Kluge“ v. Orff: Zeitkritik 1942 „…wer die Macht hat, hat das Recht, und wer das Recht hat, beugt es auch, denn über allem herrscht Gewalt.“)
Erotische Ambitionen eines Behinderten in veralberter Darstellung – (hier schafft Wenzel/ Wolfgang Ablinger Sperrhacke einen faszinierend feinsinnig sensiblen Gegenentwurf zur Vorgabe)
Karikatur Politik: Wiedereinsteiger F. Merz in leitender Position bei kriminalitätsbehaftetem Aktienhändler (Cum Ex) macht auf politischer Bühne Werbung zum Aktienkauf als sichere Anlage für Jedermann (s. https://www.zeit.de/wirtschaft/2018-10/friedrich-merz-blackrock-aufsichtsrat-lobbyist-cum-ex)
Davon fast unbelecktes dramaturgisches Ergebnis der Inszenierung: „Friede, Freude, Eierkuchen“, Happyend-Syndrom – alles wird immer gut und besser –Elend, Übel und Gauner gibt es tatsächlich nicht“, gem. Wertekanon höfischen Theaters vor „1000 Jahren“. Es bleibt rohe unbeholfene Drollerie. (s.o. Fehlanzeigen!)
Erstaunlich, dass ständig outriert wird, statt über ernsthaftem Spiel den humorvollen Zugang zu ernsten Themen zu eröffnen. Die schwere Kunst hier Humor der leichten Muse zu berühren ist nicht gelungen. (s. Buster Keaton – The Art of the Gag –
https://www.youtube.com/watch?v=UWEjxkkB8Xs). Auch “Einer flog über das Kuckucksnest“ gibt Tipps zum Humor im Tragischen.
Die Ouvertüre öffnete das Herz, hervorragend wurde der Smetana – Kosmos eingeführt, rasante faszinierende Feinzeichnung akzentuierter Dynamik mit angetippten Puccini-Momenten. Es begann geradezu als Körperberührung mit eruptivem akzentuiertem Auf- und Abschwung (Fortissimo/Pianissimo). Wunderschöne Betonungen. Streicher mit den gefürchteten Achtelketten der Violinen schienen makellos.
Diese Feinzeichnung im Ausloten der Partitur innerhalb der Instrumentalgruppen blieb leider nicht. Die Durchleuchtung wich einer gleichförmigeren Gangart, die z. T. auch uninspiriert wirkte. Tempi schienen immer wieder zu rasch, Dezibel zu laut. Diesem Instrumentalgeschwader mussten die Sänger Paroli bieten. Das gelang nicht immer. So formierten sich regelrechte Duelle. Das sinfonische Erleben Smetanas Klangwelten mit volkstümlichen Einlenkungen war eingeschränkt.
Wunderlich und Böhme (https://www.youtube.com/watch?v=77DLIASa6Xg). Nach der Überlegung, ob dieser Vergleich fair ist: ja er ist fair, wir sind an einem weltführenden Haus.
Dirigent Tomáš Hanus im Interview: „Das ist sauschwer!“ Insbesondere die 3 Hauptpartien haben besondere Erfordernisse, es sind Grenzpartien. Der Bass des Kezal benötigt eigentlich den komplexen Bass: Dramatischer Basso profondo (schwarzer/tiefer), Basso cantante (hoher), Bassbuffo, Bassbariton. Marie und Hans sind über rein Lyrischem hinaus, das müssen schon jugendlich dramatische Stimmen sein. Alle müssen ganz exponiert sämtliche dynamischen Facetten mit Leichtigkeit beherrschen.
Alle Hauptpartien entsprachen dem Rahmen der Bayer. Staatsoper – aber doch mit Unterschieden, die ich mit Plus und mehr gekennzeichnet habe.,
Marie – Selene Zanetti – ganz großes Plus Kompliment an Nikolaus Bachler, der erneut mit exquisitem Gespür hier ein großes Talent gefunden hat. Das Diminuendo und Legato sind wunderschön, Weltklasse – wieder ein filigranes Wunderweben am Nationaltheater. Die Stimme schwebt lyrisch wie dramatisch durch alle Register, viril vibrierend. Im Forte-Aufschwung in obere Register gilt es noch eine unnötige Schärfe zu bändigen. Die tadellose Bühnenerscheinung lebt die Bühne vital, organisch, selbstverständlich.
Wenzel – Wolfgang Ablinger Sperrhacke – ganz großes Plus mit Weltgeltung normalerweise wird hier eine sogen. Charaktertenor besetzt, also der mehr Charakter als Gesangsqualität zeigen soll. Dieser Wenzel zeigt einzigartige lyrische Qualitäten,wird aber üblicherweise als Knallcharge dargestellt. Wolfgang Ablinger Sperrhacke hat einen faszinierend feinsinnig sensiblen Gegenentwurf entwickelt, dessen Erfahrung von schon 4 Inszenierungen in einer anrührend durchgeformten Bühnenfigur spiegelt.
Hans – Pavol Breslik – Plus der lyrische Tenor hat mich schon oft begeistert. Hier scheint es nicht optimal. Da mag das stimmfressende Bühnenbild eine Rolle spielen, die Orchesterdisposition enttäuschen, der jugendlich dramatische Held zeigt Grenzen.
Kezal – Günter Groisbock – Plus Gleiches gilt auch hier, wobei ich es z. T. nicht verstehe. Insgesamt vermisse ich den Kern, er kommt nicht richtig in den Saft. Seltsamerweise sind manche gleichen Töne völlig souverän, andere in gleicher Höhe und Lautstärke erkämpft, insbesondere im oberen Register. Auch nach unten besteht der Eindruck einer kurzzeitigen Toröffnung, um dann die gewohnt großartige Stimme zu öffnen.
Zirkusdirektor – Ulrich Ress – großes Plus mit Kabinettstückchen
Esmeralda – Anna El – Kashem – gutes Plus
Chor – großes Plus mit Weltgeltung, manchmal fehlte der Funke
Sonstige Solisten – unterschiedlich partiendeckend, 1 x na ja mit Abstrichen
Wenzels Schwein Willi – Superplus – Kinder und Tiere helfen immer
Die fehlende sonst übliche choreografische Begleitung der Inszenierung verblüfft. Da werden Furiant, Polka etc. kastriert geboten.
Der Rezensent hat diese Oper vor vielen Jahren inszeniert (Musikalische Leitung Jiří Kout, Tielemann auch mal) und bittet daher für manche puristische Sichtung um Verständnis.
Intendant Nikolaus Bachler hat ein Team mit Weltgeltung engagiert. Selbst sein tatsächliches Risiko einer Anfänger-Marie hat Weltklasse bewiesen. Das unbefriedigende Ergebnis ordne ich nur aus dem Ruder gelaufenen Traditionen von Inszenatoren-Allmacht zu (s. o. B. Brecht – Innovativ oder Sackgasse). Derzeit erinnern Reaktionen darauf an die Gandhi-Maxime: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du!“
Musikalische Leitung Tomáš Hanus
Inszenierung David Bösch
Bühne Patrick Bannwart
Kostüme Falko Herold
Licht Michael Bauer
Chor Sören Eckhoff
Dramaturgie Rainer Karlitschek
Dramaturgie Lukas Leipfinger
Kruschina, ein Bauer Oliver Zwarg
Kathinka, seine Frau Helena Zubanovich
Marie, beider Tochter Selene Zanetti
Micha, Grundbesitzer Kristof Klorek
Agnes, seine Frau Irmgard Vilsmaier
Wenzel, beider Sohn Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Hans, Michas Sohn aus erster Ehe Pavol Breslik
Kezal, Heiratsvermittler Günther Groissböck
Springer, Zirkuksdirektor Ulrich Reß
Esmeralda, Tänzerin Anna El-Khashem
Muff, verkleideter Indianer Oğulcan Yilmaz
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
Tim Theo Tinn – 23. Dez. 2018
Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freie Tätigkeit: Publizist, Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden).