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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: ANDREA CHENIER. Festspielwürdig

23.07.2019 | Allgemein, Oper

München: “Andrea Chenier” – Bayerische Staatsoper 21.07.2017– Festspielwürdig

Einen ziemlich großartigen Andrea Chenier bietet die Bayerische Staatsoper zum letzten Drittel der Opernfestspiele. Ich sollte öfter mal schlecht informiert in die Oper gehen und mich dann positiv überraschen lassen. Ich hatte weder den Dirigenten noch den Sänger des Gérard auf dem Radar; beide Rätsel wurden schnell gelöst: die Lockenmähne von Asher Fisch ist unverkennbar, unverkennbar auch die Stimme von Željko Lučić. Der stiehlt schon im ersten Bild allen anderen die Schau, so schön singt er sein Arioso, das bei manch anderem Bariton im allgemeinen Getümmel untergeht. Seine Stimme weich und warm, doch mit stählernem Kern;  intelligente Phrasierung, langer Atem, aber nie wirken die Spitzentöne „ausgestellt“, immer im Dienst des Ausdrucks, des emotionalen Moments. Das „Nemico della patria“ ist ja ein Sahnestück für jeden Bariton. Er muss nur schön laut die richtigen Töne trompeten, den letzten sehr lange halten, und schon ist ihm der Applaus des Publikums sicher. Dabei stecken in dieser Arie auch leise Töne, die Trauer über ein verkorkstes Leben, die großen Ziele der Revolution, die nicht erreicht wurden, der Selbsthass, weil er seine Macht jetzt missbraucht. Das alles macht Lučić hörbar wie kein anderer Sänger, den ich in dieser Rolle gehört habe. Großartig.

Željko Lučić als Gérard, Anja Harteros als Maddalena de Coigny  © Wlfried Hösl

Die nächste Überraschung bietet Stefano la Colla. Vor kurzem wurde seinem Kalaf eine gewisse szenische Unbeholfenheit attestiert. Ich rechnete also damit, dass er die erste Viertelstunde bis zum Improvviso nur hölzern herumstehen würde, aber dem war nicht so. Er absolviert das „Spiel ohne Ball“ mit genauso viel Charme, wie einst Jonas Kaufmann. Was eine ordentliche Personenregie (Danke, Philipp Stölzl) und eine gute Abendspielleitung nicht alles bewirken kann! Außerdem hatte ich über seinen Gesang gelesen, dass er hauptsächlich laut sei. Dann begann er mit dem Improvviso, und, bietet einen dynamisch differenzierten, durchaus ansprechenden Vortrag. Schade, dass ein Wichtigtuer aus dem Publikum den kurzen Moment des Innehaltens nach „o patria mia“ für ein blökendes „Bravo“ nutzt und einige Herdentiere zu applaudieren beginnen. Das „Ora suave“ km zweiten Bild ist dann leider nur laut. Dabei ist diese Stelle so unglaublich viel berührender, wenn sie leise angesetzt wird. Aber insgesamt kann man ihn durchaus auf der Haben-Seite verbuchen. Angenehmes, helles Timbre, am Anfang mühelose Spitzentöne, gegen Ende muss er manchmal ein wenig stemmen und erreicht den Zielton nicht immer.

Anja Harteros ist wieder einmal großartig. Die Maddalena liegt ihr besser als die Desdemona, hier kann sie auch ihre dramatischen Qualitäten entfalten. Ihr „La mamma morta“ ist immer wieder erschütternd. Das Schlussduett aber gerät zeitweise zu einer Art Wettgesang nach dem Motto : „ich singe viel lauter als du“. Erst ganz am Ende, wenn beide vor der Guillotine die Morgenröte besingen, wagen sie wieder leisere, innigere Töne.


Schau mir in die Augen, Kleines: Anja Harteros als Maddalena und Stefani La Colla als Andrea Chenier          © Wilfried Hösl

 Bei der Besetzung der Nebenrollen kann die Bayerische Staatsoper wie immer auf ihr hervorragendes Ensemble zurückgreifen: Rachael Wilson als Bersi, von 2013 bis 2015 Mitglied des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper, seit der Spielzeit 2015/16 Ensemblemitglied, singt mit dramatischem, gut geführtem Mezzo. Neu in der Rolle der Gräfin von Coigny ist Helena Zubanovich, ebenfalls aus dem Ensemble, singt sie die Mutterrolle mit jugendlich klingender Stimme und spielt sie herrlich exaltiert. Elena Zilio singt die Rolle der alten Madelon, die ihren letzten Enkel der Revolution opfern will, schon seit der Premiere. Sie ist besonders gut bei Stimme und rührt das Publikum zu Tränen. Boris Prýgl als Roucher lässt in seiner relativ kleinen Rolle einen schönen Bariton hören. Gewohnt souverän der Abate des Ulrich Reß und der Incroyable von Kevin Conners. Mattia Olivieri ist Mathieu, der fanatische Revolutionsanhänger mit dem Joker-Gesicht und am Ende der Henker.

Die musikalische Leitung hat Asher Fisch inne. Ihm scheint diese Oper ebenfalls zu liegen: das Dirigat war zupackend, flott, dynamisch, aber nicht so dauerlaut, wie manch anderes von ihm. Die Abstimmung zwischen Bühne und Graben funktionierte nicht immer, da ist noch Luft nach oben für die nächste Aufführung am 25.07.

„An das Gewusel, das Regisseur Philipp Stölzl auf der Bühne anrichtet, hat man sich inzwischen gewöhnt, ebenso an den abgeschlagenen Kopf, den der Henker hochhält“, das habe ich über die Aufführung vom 31.07.2017 geschrieben. Diese kleine Szene am Ende fehlte diesmal. Eine Sparmaßnahme der Bayerischen Staatoper? Man hätte ja einen neuen Kopf für den neuen Tenor anfertigen müssen. Wirklich vermisst habe ich den Gag nicht, führte er doch jedes Mal zu Gelächter im Publikum und das passt gar nicht zur pathetischen Grundstimmung der Schlussakkorde.

Ein fulminanter , festspielwürdiger Opernabend, der vom Publikum ausgiebig gefeiert wird.

 

Susanne Kittel-May

 

 

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