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Moshe Zuckermann: WAGNER. EIN EWIG DEUTSCHES ÄRGERNIS

01.08.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Moshe Zuckermann:
WAGNER
EIN EWIG DEUTSCHES ÄRGERNIS
144 Seiten, Westend Verlag, 2020

Moshe Zuckermann ist emeritierter Leiter des Instituts für Deutsche Geschichte in Tel Aviv und blickt auf eine große Anzahl von Veröffentlichungen zurück. Meist stehen die Deutschen und die Juden im Zentrum seiner Betrachtungen, diesmal ist es Richard Wagner. Und man kann annehmen, dass seine Meinungen bei der orthodoxen Bevölkerung im heimatlichen Israel nicht eben auf große Zustimmung stoßen werden. Denn Zuckermann bläst nicht ins übliche Horn, sondern gibt höchst widerständige Ansichten von sich.

Der Autor stellt die grundlegende Frage gleich zu Beginn: „Noch einmal Wagner?“ fragt sich zumal der kundige Wagner-Fan, wenn er „Wagner – ein ewig deutsches Ärgernis“ angekündigt bekommt. Schließlich ist zu dem Thema, Zitat aus dem Buch, „genügend Historisches, Politisches, Musikologisches und Kunstphilosophisches, Ideologiekritisches und Polemisches, Bewunderndes und Gehässiges, Musiktheoretisches und Feuilletonistisches“ geschrieben worden. Ja, das fasst es etwa zusammen.

Was hat ein jüdischer Wagner-Freund, als der sich der Autor gleich bekennt, nun Neues zu sagen? Zu dessen Antisemitismus nichts, der ist unbestritten, außer dass diese Meinung für Wagner vermutlich ziemlich zweckdienlich war (siehe den Umgang, den er mit „nützlichen“ Juden pflegte, ohne sich schaudernd wegzuwenden). Außerdem war Wagner – es sei denn in seinem Werk – kein wahrer Ideologe, sondern seine sozial-politischen Äußerungen waren jeweils das Ergebnis persönlicher Probleme und beruflicher Enttäuschungen. Von den Vernichtungsideen der Nationalsozialisten war er weit entfernt. (Das heutige Urteil lautet in Umkehrung der Zeitenfolge: „Das Jahrhundert nach Wagner ist Wagners größter und bedenklichster Triumph.“)

Der Autor resümiert nach ausführlichen Erklärungen seine Ansicht über Wagners Antisemitismus: „Richard Wagner war kein Rassenantisemit, schon gar nicht ist er mit dem rassenbiologisch begründeten, eliminatorischen Antisemitismus des Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen.“ Eine Meinung, die wenige teilen. Daher bekommt Wagner seinen Antisemitismus weit öfter vorgehalten als etwa Karl Marx den seinen – und im übrigen, dies eine interessante Idee, wollte auch Herzl mit seinem Zionismus nichts anderes, als die Juden aus Europa wegzuholen…

Befasst sich der Autor mit Leitmotiven, Musiktheater, musikalischer Gestik, so liest man wenig Neues. Interessant wird es, wenn Zuckermann zu Wagners – seiner Meinung nach angeblichem – Antisemitismus in seinem Werk kommt. Wenn man es nicht darauf anlegt, argumentiert der Autor, sind die so deklarierten „jüdischen“ Figuren (Beckmesser, Mime, Alberich, Kundry) ganz normale Gestalten, die sich aus ihrem Wesen und aus der Situation heraus verhalten – Mime ist nicht hassenswert, weil er jüdisch ist, sondern weil er Mime ist. Und es bedarf nach Meinung des Autors schon sehr viel bewusster Verbiegung der Gegebenheiten, um den Antisemitismus mit Gewalt in Wagners Werk hinein zu interpretieren.

Das letzte Kapitel ist dann eine Philippika zum Thema Wagner in Israel, bei ihm genannt: „Die Wonnen der Intoleranz“. Zuckermann wollte gemeinsam mit Zubin Mehta, später versuchte es Daniel Barenboim erneut, den Wagner-Bann in Israel endlich brechen und dessen Werke zumindest in den Konzertsaal holen. Die Begründung der Ablehnung bezieht sich stets auf die heiklen Gefühle der Holocaust-Überlebenden, von denen es erstens kaum mehr welche gibt, denen Wagner in den meisten Fällen vermutlich herzlich egal ist – und unter denen sich vielleicht, als Erinnerung an bessere Zeiten, durchaus noch Würdiger von Wagners Musik finden können. Es ist nichts anderes als Heuchelei, was Zuckermann seinen Landsleuten vorwirft, die angeblich – das muss er besser wissen als jeder Außenstehende – mit den Holocaust-Überlebenden durchaus ihre Probleme hatten und vor ihnen keinesfalls auf den Knien gelegen sind. Dafür hat Israel sieben Jahre nach Auschwitz seine Beziehungen zu Deutschland aufgenommen und viel mit deutschem Kapital finanziert. Aber Wagner? Nein. Das letzte ideologische Feigenblatt. Der Autor ist sehr grimmig in dieser Frage. Für ihn ist Wagner nicht nur ein deutsches, sondern auch ein israelisches Ärgernis…

Das Resümee seiner Überlegungen wird Moshe Zuckermann mit vielen Wagnerianern teilen. „Es gibt gute Gründe, sich von der Person Wagners abgestoßen zu fühlen“, meint er und zählt neben dem Antisemitismus noch Opportunismus, Egoismus, ausbeuterisches Verhalten, Arroganz, Selbstmitleid und vieles mehr auf. „Ein in der Tat abominabler Mensch. Das Problem besteht darin, dass er zugleich auch ein Genie war.“

Renate Wagner

 

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