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MICHAEL MÜLLER-KASZTELAN, jugendlicher Heldentenor

viel mehr als nur ein ausgezeichneter Sänger

Du bist ausgebildeter Hornist und hast ein abgeschlossenes Staatsexamen in Schulmusik und Germanistik. Wie kommt es, dass wir Dich als Tenor auf der Opernbühne erleben dürfen?

Das Horn war mein ursprüngliches Instrument, und der Weg über die Schulmusik hat mir einen noch breiteren Zugang zur Musik eröffnet. Scherzeshalber sage ich immer: als Schulmusiker muss man alles können, aber nichts richtig. Und dennoch hat mir dieses studium generale viele Kompetenzen vermittelt, um heute in besonderem Maße wettbewerbsfähig zu sein. Eine schnelle Auffassungsgabe zum Beispiel. 

Was ich in meinem Lebenslauf bewusst nie erwähne, ist meine dirigentische Ausbildung. Zunächst habe ich während des Schulmusikstudiums privat bei Leonid Grin und Constantin Trinks studiert und schloss dann ein Dirigierstudium an der Eastman School of Music in New York bei Neil Varon an.

Die Wahrheit ist aber, dass ich immer schon gerne gesungen habe. Und obwohl mich der damalige Kieler GMD als Assistent verpflichtete und ich hier und da dirigiert hatte, zog es mich aus dem Graben auf die Bühne. Selbst Bestandteil des Klanges zu sein und meine besondere Affinität zum darstellenden Spiel reizen mich bis heute auf’s Immerneue.

Michael Müller-Kasztelan
Der jugendliche Heldentenor Michael Müller-Kasztelan (Foto: Michael Fertig)

 

Wie lange bist du schon am Theater Kiel engagiert?

Seit 2009 gehöre ich zum Ensemble des Opernhauses der Landeshauptstadt Kiel. Wir sind hier ein tolles Team, von den Pförtner*innen über die Techniker*innen, das KBB, die musikalischen Kolleg*innen bis hin zur Führungsetage. Alle geben täglich ihr Bestes und arbeiten auf ihrem höchstem Niveau.

Wenn ich zurückdenke, gab es nicht einen Tag, an dem ich nicht gerne zur Arbeit gegangen bin. Ich habe hier gefühlt fast alles gesungen, was es für Tenöre gibt. Vom Tamino und Cassio über Joe Gillis bis hin zum Paul und Herodes. Das geht nur, weil ich alles dafür tue, dass sich meine Stimme weiterentwickelt und gesund bleibt.

Deshalb blicke ich meiner Zukunft in Kiel mit diesem vielfältigen Repertoire mit Freude entgegen.

 

Muss man im Ensemble eines Stadttheaters nicht oft Rollen singen, die einem eigentlich nicht zu 100% liegen?

Das kann durchaus vorkommen. Ein Festengagement fordert von einem Sänger Flexibilität. Manchmal gibt es Rollen, die einem nicht unmittelbar liegen. Oder die kleinen Rollen, die wenig Raum bieten, sich stimmlich zu entfalten, weil sie eher inhaltlich getrieben sind.

Die große Chance dieser Rollen am Anfang einer Karriere ist jedoch, dass man mit wenig Druck Routine entwickeln kann, was sich in meiner Karriere als unverzichtbare Basis für z.B. Einspringen, Aufgaben an größeren Häusern oder in unendlichen und heiklen Partien wie dem Paul herausgestellt hat.

Krol Roger am Theater Kiel
Als Pasterz in Szymanowskis Król Roger in Kiel 2023 (Foto: Isabell Machados Rios)

 

Bleibt bei einem Festengagement noch Zeit zum Gastieren?

Das hängt auch von der Spielzeitplanung ab. Grundsätzlich bin ich der Kieler Leitung und meinem Generalintendanten Daniel Karasek dankbar, dass immer versucht wird mir Gastspiele zu ermöglichen. Immerhin sind sie ja auch eine gute Möglichkeit für Künstler und (!) Stammhaus das eigene Potential andernorts zu zeigen und neue Gesangskolleg*innen, Bühnen, Regisseur*innen und Dirigent*innen kennenzulernen. Mittlerweile blicke ich auf eine stattliche Zahl an Häusern und Konzertpodien im In- und Ausland, mit denen ich zusammengearbeitet habe.

 

Böse Zungen behaupten, das schönste an Kiel sei die Autobahn nach Flensburg. Was gefällt Dir an Kiel?

Hahaha! Das müssen besonders böse Zungen sein! (augenzwinkernd; Anm. des in Flensburg lebenden Fragestellers)

Kiel ist eine Stadt mit einem besonderen maritimen Charme. Allein das Rufen der Möwen! Die Nähe zur Ostsee und die frische Luft haben einen positiven Einfluss auf mich. Außerdem bietet die Stadt und das Umland eine überschaubare und entspannte Atmosphäre, die es mir ermöglicht, konzentriert zu arbeiten.

 

Du bist Präsident des Bundesverbands Deutscher Gesangspädagogen (BDG). Welche Aufgaben sind konkret mit diesem Amt verbunden?

Als Präsident koordiniere ich die strategische Ausrichtung des Verbandes. Immerhin sind wir Berufsverband und größter Zusammenschluss von Gesangspädagog*innen in Europa. Weltweit ist nur der Schwester-Verband in den USA größer. Derzeit sind wir in den letzten Zügen einer größeren strukturellen Transformation und ich sehe mit großer Freude, dass alles gut wird.

Mein Vorstandsteam arbeitet unablässig und auch unsere Mitglieder sind sehr aktiv. 2025 gestalten wir das „Jahr der Stimme“ und werden besonders die Themen „Stimme und Gesundheit“ sowie „Singen mit Kindern – die Kinderstimme“ fokussieren.

Außerdem bilden wir in unserer Akademie angehende Gesangspädagog*innen aus. Die Teilnehmer*innen unserer Lehrgänge GPZ (Klassische Gesangslehrerausbildung), PPG (popularmusikalische Gesangslehrerausbildung), GPkidZ (Gesangspädagogik der Kinderstimme) und Durchatmen (Regenerationsbegleitung bei chronischen Erkrankungen vor allem der Atemwege) kommen meistens aus dem künstlerischen Berufsfeld und haben beschlossen, mehr unterrichten zu wollen und dies richtig zu lernen.

Darüber hinaus vertreten wir unsere Mitglieder auch in politischen und beruflichen Fragen.

 

Unterrichtest Du selbst auch?

Ja, seit 2021 gehöre ich zum Team der Gesangslehrer*innen an der Musikhochschule Lübeck, nachdem ich sechs Jahre lang Gesang an der Universität Osnabrück unterrichtet und die dortige Gesangsabteilung geleitet habe.

Die Stimme von jungen Sänger*innen systematisch aufzubauen und einen möglichst noblen Klang herauszubilden ist eine verantwortungsvolle Aufgabe und benötigt bei aller didaktischen und methodischen Expertise insbesondere die Erfahrung, dass Lernen häufig nicht linear verläuft; Entwicklungen passieren, wenn sozusagen die kritische Masse im Wissens- und (!) Erfahrungsbereich erreicht ist.
 
Gerade weil ich weiß wie lang der Weg zum Sänger*innenberuf ist und welche Kompetenzen erworben sein sollten, ist es mir wichtig, meine Erfahrungen weiterzugeben.

 

Wie bewertest Du die Änderungen durch das Jahressteuergesetz 2024 bezüglich Musik- und Gesangsunterricht?

Der Referentenentwurf ist problematisch, da er die Umsatzsteuerbefreiung für Musikunterricht deutlich einschränken möchte. Wenn die Befreiung fällt, wird Musikunterricht entweder deutlich teurer oder vor allem die freiberuflichen Gesangspädagog*innen werden durch die Steuer in ihrer ökonomischen Existenz noch stärker gefährdet.
Ich frage mich immer: was wäre aus Mozart geworden, wenn der Staat seinen Musikunterricht derart verunmöglicht hätte?

Insofern bin ich glücklich, dass die Petition „Qualifizierter Musikunterricht muss umsatzsteuerfrei bleiben!“, einen so großen Zeichnungszuspruch hatte (ca. 105.000). Wir werden diese Petition am 9. Oktober 2024 mit den beteiligten Fachverbänden der Politik übergeben und damit ein schweres Gewicht in die Waagschale der Diskussion legen. Ich bin optimistisch, dass die politischen Entscheidungsträger im Sinne der Zukunft unserer einzigartigen deutschen Kulturlandschaft entscheiden, um die wir weltweit beneidet werden und die ja auch ein nennenswerter Wirtschaftsfaktor ist.

 

Ich habe Dich erstmals am 10.3.2020 in „Die Tote Stadt“ auf der Bühne erlebt. Es war eine der letzten Vorstellungen in Deutschland, die es vor dem ersten Corona-bedingten Lockdown gegeben hat. Hast Du noch besondere Erinnerungen an diesen Abend?  

Das war tatsächlich ein sehr spezieller Abend. In der Oper geht es ja um Abschied. Und wir ahnten schon, dass aus der immer näher kommenden Epidemie restriktive Maßnahmen erwachsen werden und Theater schließen müssen. Die Stimmung war deswegen einerseits angespannt und andererseits war es eine intensive, emotionale Aufführung, die mir im Gedächtnis geblieben ist.

 

Hast Du eine Traumrolle, die Du unbedingt mal verkörpern möchtest oder gibt es ein Haus, an dem Du sehr gerne einmal singen möchtest? 

Ich habe von Natur aus immer eine tragfähige Stimme gehabt, die in den letzten zehn, zwölf Monaten in der ersten Oktave an Klangfülle gewonnen hat. Ich folge meiner Stimme und weite mein Repertoire aus. Insofern reizen mich die großen Wagnerrollen, aber auch ein Peter Grimes oder ein Alwa aus der Lulu.

Und was die Häuser betrifft, so stellt jedes Haus – ob klein oder groß – eine künstlerische Herausforderung dar. Ein Traum wäre für mich ein Engagement am wunderschönen Teatro Colón.

 

Hast Du einen Lieblingskomponisten?

Es gibt so viele herausragende Komponisten. Einen einzigen Komponisten herauszugreifen wäre borniert. Ich gebe aber zu, dass ich – wenn wir jetzt mal von den Opernkomponisten ausgehen – die Dramaturgie und mediterrane musikalische Süffigkeit der Opern Puccinis liebe, aber andererseits auch die besondere Tiefe und Kraft der Musik Richard Wagners, zu dessen Musik ich seit Teenagertagen eine besondere Beziehung habe.

Am meisten gesungen habe ich allerdings Richard Strauss, dessen Musik mir daher sehr nahe ist, auch wenn er mit uns Tenören oft nicht besonders freundlich in seinen Partituren umgegangen ist.

 

Hast du stimmliche Vorbilder?

Das ist ein spannendes Thema mit dem ich mich auch seit Teenagertagen befasse. Damals beflügelt durch ein Sänger*innen-Kompendium von Jens Malte Fischer und einer Fernsehsendung über Tenöre des herausragend informierten Jürgen Kersting.

Großen Sänger*innen zu lauschen ist gut und notwendig, um einen Standard und Geschmack zu entwickeln. Ich rate jungen Sänger*innen ausdrücklich dazu. Ich empfehle allerdings aus eigener Erfahrung dann das Beiseitelegen der Hörbeispiele, wenn sie beginnen die individuelle Stimmentwicklung einzuengen.

Aber zurück zu deiner Frage: Ich könnte viele Tenöre nennen, die mein und unser aller Herz erfreuen wie Franco Corelli, Beniamino Gigli, Nicolai Gedda, der junge Giuseppe di Stefano oder Jose Carreras. Was für musikhistorische Interpreten! Und obwohl ich mit staunenden Ohren den Stimmen von Jon Vickers, Ramon Vinay, Giuseppe Giacomini und Ludwig Suthaus lausche, berühren mich tief im Herzen ganz besonders zwei Stimmen: die von Fritz Wunderlich und von Luciano Pavarotti.

 

Du selbst hast an mehreren CD-Aufnahmen mitgewirkt. Welche waren das und liegen Dir davon bestimmte besonders am Herzen?

Jede Aufnahme ist ein besonderes Erlebnis und gleichsam eine Momentaufnahme. Am meisten freue ich mich derzeit auf den bald erscheinenden BBC Mitschnitt der Salome vom Edinburgh Festival, weil es mit dem Bergen Filharmoniske Orkester unter Edward Gardner und u.a. Malin Byström und Gerhard Siegel ein fantastischer Cast war und wir während der Aufführungsserie eine tolle Zeit hatten.

Da in meiner kleinen Sammlung noch eine Lied-CD fehlt, möchte ich mir in den kommenden zwei Jahre ein paar Freiräume offenhalten, um ein spannendes Programm einzusingen.

 

Du hast auf Instagram bereits etwa 1.000 Follower, die du regelmäßig an deinem künstlerischen Schaffen teilhaben lässt. Wie wichtig ist dir der direkte Austausch mit deinem Publikum, und was dürfen deine Follower in Zukunft von deinem Account @muellerkasztelan erwarten?

Der direkte Austausch mit meinem Publikum über Social Media ist mir sehr wichtig, da er eine unmittelbare Verbindung zu den Menschen ermöglicht, die meine Arbeit wertschätzen und unterstützen. Instagram gibt mir die Möglichkeit, auch Einblicke hinter die Kulissen zu teilen, was besonders bei einem fachkundigen Publikum auf großes Interesse stößt.

In Zukunft plane ich, noch mehr aus dem Probenalltag und von Aufführungen zu zeigen, sowie interaktivere Inhalte anzubieten, um den Austausch mit meinen Followern weiter zu fördern.

 

Hat man mit dem Geburtsnamen Michael Müller überhaupt die Gelegenheit, italienisches Repertoire zu singen?

Natürlich, man muss nur „Müller“ mit einem charmanten ‚R‘ rollen, dann passt das perfekt! (lacht, Anm. d. Redaktion)

Weitere Informationen über den Sänger finden Sie auf www.muellerkasztelan.com 

 

Marc Rohde im September 2024

 

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