Wiener Staatsoper GmbH (Hg.):
„Mir ist die Ehre widerfahren …“
Die Direktion Dominique Meyer.
360 Seiten – zahlreiche Farb- und s/w Abbildungen
Unglaublich, wie die Zeit vergeht. Man erinnert sich noch genau, wie die damalige Ministerin als Staatsopern-Direktor einen hierzulande eher (Entschuldigung!) unbekannten Franzosen aus dem Hut gezogen hat. Dominique Meyer. Die Volksoper hatte seit 2007 einen Meyer als Direktor, den Robert, aber die Bezeichnung „Meyer eins“ und „Meyer zwei“ hat sich nie durchgesetzt. Die beiden hatten auch kaum je mit einander zu tun.
Den Meyer des großen Hauses lernte man als perfekt-höflichen Diplomaten kennen, der zwar auch aus der Haut fahren konnte (auch Kritikern gegenüber), aber selten. Dass seine Repertoire-Gestaltung und vor allem die Wahl der Regisseure den Wienern oft nicht behagte (den einen zu brav, den anderen zu blöd), konnte er immer mit Auslastungszahlen an der Traumgrenze abwehren. Voller als voll geht nicht, sagte schon sein weniger diplomatischer Vorgänger Ioan Holender.
Für Leute, die auch gerne nachlesend, nachblätternd in Erinnerungen schwelgen, war Dominique Meyer der ideale Mann. Jede Spielzeit gab seine Direktion ein wahres Kompendium des Geschehenen heraus, ein dickes, quadratisches Buch in Hochglanz, mit der Abbildung von Theaterzetteln, die jede Besetzungsnuance berücksichtigten, und mit jeder Menge Fotos, die Michael Pöhn und Ashley Taylor (für das Ballett) geschossen hatten. Kurz, Dominique Meyer wusste (wie jeder kluge Mann), dass man an seinem eigenen Ruf und Nachruf arbeiten muss.
Das Rückblicke-Buch auf zehn Jahre ist nun nicht in derselben Art gestaltet wie bisher – schade, zumindest bis Anfang März, bis Corona alles wegfegte, hätte man gern in bekannter Weise in Bildern und Abendbesetzungen geschwelgt. Dafür gibt es nun einen riesigen „Riegel“, mit dem schönen Titel „Mir ist die Ehre widerfahren…“ Die silberne Rose wird jetzt Monsieur Meyer überreicht, in zahlreichen Dankeshymnen, deren Spender möglicherweise willkürlich gewählt erscheinen, andererseits – bei so vielen Möglichkeiten muss man sich entscheiden. Und außerdem – wer wird von einem Abschieds-Rückblicks-Buch schon Kritisches erwarten?
So kann sich Dominique Meyer loben lassen und auch ein bisschen selbst loben, obwohl nicht jeder ihm seine Selbstcharakteristik „wohlwollend zu sein, eine gewisse Güte und Großzügigkeit zu zeigen, die Fähigkeit zuzuhören zu besitzen“ unterschreiben wird (Franz Welser-Möst sicherlich nicht). Aber wer macht sich schon keine Illusionen über sich selbst?
Das Interview ist teilweise auch auf der Website der Staatsoper nachzulesen. Resümee: „Also, unterm Strich muss ich sagen, dass man es als Operndirektor in Wien sehr sehr gut hat. Es gibt eine Liebe des Publikums zum Haus, eine Liebe der Künstlerinnen und Künstler zum Haus, es gibt offene Herzen und offene Ohren.“ Wenigstens ist er kein Wien-Beschimpfer, und für diese Noblesse muss man dankbar sein, nicht jeder Künstler hält so rein.
Interessant und ein wenig seltsam ist dann der Bildteil (abgesehen davon, dass man das Hochglanzpapier vermisst). Erstens weiß man absolut nicht, nach welchen Gesichtspunkten er zusammen gestellt wurde, ein Konzept ist nicht zu erkennen, Kraut und Rüben würde es am ehesten treffen (die Netrebko als Troubadour-Leonore auf Seite 175 und dann nochmals auf Seite 190 – warum?). Aber was diese Bildauswahl beabsichtigt, das ist völlig klar: Alle Fotos sind so ausgewählt, dass die Posen der Sänger „schräg“ wirken und die Szenenbilder so befremdlich wie möglich. Warum? Nun, um den Eindruck zu erwecken, es habe in Wien in den letzten Jahren szenisch modernes Operntheater gegeben (und nicht nur ein paar Eintöpfe von Modernismen). Fotos eignen sich für solche Vorspiegelungen bestens. Wenn man es nicht besser wüsste…
Aber am Ende fühlt man sich doch wie die Jubler, die dieses Buch bestückt haben: Man möchte zu Dominique Meyer, dem noblen Monsieur, der den Italienern sicher ein ähnlich nobler Signore bella figura sein wird, freundlich sein. Man möchte sich bedanken. Es waren immerhin Opernjahre, in denen man nicht aus dem Haus vertrieben wurde. Wer weiß schon, was die Zukunft (außer Corona-Problemen) bringt?
Renate Wagner