Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Michaela Lindinger: MARIE ANTOINETTE

20.03.2023 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buch marie antoinette x~1

Michaela Lindinger:
MARIE ANTOINETTE
Zwischen Aufklärung und Fake News
Im Zentrum der Revolution
Königin der Lust
(Reihenweise kluge Frauen)
304 Seiten, Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria. 2023

In der Reihe des Molden Verlags, die sich Frauenschicksale widmet und wo oft auch weniger bekannte Namen auftauchen, gibt es nun einen „Star“: Nicht erst seit Stefan Zweig wurden über Marie Antoinette, Königin von Frankreich, Tochter Maria Theresias, zahlreiche Biographien verfasst. Und oft, sehr oft, ist sie nicht besonders gut dabei weggekommen, unter dem moralischen Urteil ihrer Biographen zusammen gebrochen.

Der moderne Ansatz von Autorin Michaela Lindinger ist in den Schlagworten „Zwischen Aufklärung und Fake News“, „Im Zentrum der Revolution“ und „Königin der Lust“ zusammen gefasst. Das klingt aufregend genug und ist es auch für ein Leben, das in Wien in der überfüllten Kinderstube des kaiserlichen Hofs begann und in Paris unter der Guillotine endete.

Bevor auf die Wiener Kindheit eingegangen wird, beginnt das Buch mit der Reise der kleinen Erzherzogin nach Frankreich, wo sie als Gattin des Dauphin ausersehen ist, mit der Aussicht, einmal Königin zu werden. Man würde heute dem „mit Schleifen, Rüschen, Spitzen und breitem Reifrock ausstaffierte Mädchen“ in analog eleganter Kleidung dieselbe Beachtung zollen, die „bunte Blätter“ und ihre Leserinnen für alle denkbaren Prinzessinnen aufbringen. Das ist auch der Gesichtspunkt, nach dem Autorin Michaela Lindinger Marie Antoinette beurteilt. Sie schildert dieses Leben ebenso detailreich in den Fakten wie gewissenhaft in den Hintergründen.

Marie Antoinette entsprach in der Rolle der Königin nicht den gängigen Erwartungen, die viele fügsame Frauen erfüllt hatten. Was einst, auch von ihrer kopfschüttelnden Mutter Maria Theresia, als Egoismus und Vergnügungssucht betrachtet wurde, sehen wir durchaus als Akt der Selbstverwirklichung, auch des Protests gegen den erstarrten französischen Hof. Doch auch vor dem Zeitalter der Sozialen Medien hatten Feinde jede Möglichkeit, den Ruf einer öffentlichen Persönlichkeit durch das zu ruinieren, was man heute „Fake News“ nennt.  

Und das ist nicht der einzige heutige Begriff, der sich hier findet – auf der Suche nach Lesern von heute gibt es da: La Vie en Rose / Royale Null / 50 Shades of Brown /  BFFs unter sich / Go West! /  Familienaufstellung / Roadmovie / Gothic Horror Picture Show oder Killer Queen… Marie Antoinette hätte keinen dieser Begriffe gekannt.

Zurück zu den Anfängen: In Wien hatte man ihr noch mit einer Drahtkonstruktion (ähnlich, wie man sie heute  noch verwendet), das Kiefer so reguliert, dass einem strahlenden Lächeln nichts entgegen stand – die Parallele zu heutigen Schönheitskorrekturen jener Damen, die an der Öffentlichkeit stehen, ist evident. Dass die Erzherzoginnen, die Maria Theresia so reichlich geboren hatte, nur dem einzigen Zweck dienten, politisch „nützlich“ verheiratet zu werden, ist bekannt, wurde oft erzählt und muss als Faktum der damaligen Zeit hingenommen werden.

Entscheidend ist, was diese Mädchen, die sich allesamt nicht unterdrücken ließen, daraus machten, obwohl die Rolle, in die man sie als halbe Kinder zwängte, natürlich auf Anhieb kaum zu bewältigen war. Zumal, als die Erzherzogin Maria Antonia, nach ihrer Heirat zur Dauphine Marie Antoinette gewandelt, auf einen jungen Ehemann traf, der nicht imstande war, die Ehe zu vollziehen.

Auch das ist ein immer wieder behandeltes Thema im Leben von Marie Antoinette, und da sie – wie heutige Royals – auf Schritt und Tritt beobachtet und Gegenstand des Klatsches war, kann man sich vorstellen, wie unendlich schwierig die Situation für sie war. Wenn Sex zur Pflicht wird, weil es nur darum geht, so viele Kinder wie möglich in die Welt zu setzen, ist ein normales Leben kaum möglich.

Marie Antoinette hat sich, einen schwächlichen Gatten an ihrer Seite und die strenge Mutter weit weg in Wien, dann nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen (die auch darin bestanden, eine Mode-Königin zu sein und Sex zu genießen) eingerichtet. Nach einer Tochter (das einzige ihrer vier Kinder, das sie überlebte) und dem geforderten Sohn gab sie sich mit dem Kinderkriegen nicht weiter ab (zwei wurden noch geboren, starben im Kindes- bzw. Kleinkindalter).

Man konnte der Königin von Frankreich nicht mehr viel befehlen oder verbieten. Man konnte sie nur vernichten, und von dieser Möglichkeit der bösen Nachrede, die bis in unsere Tage kleben blieb, wurde heftig Gebrauch gemacht. Da gibt es für die Autorin viele Gelegenheiten, genau hinzusehen.

Dass Marie Antoinette gesagt haben soll, das Volk – das regelrecht hungerte – möge, wenn es kein Brot habe, doch Kuchen essen, hat Generationen dazu gedient, alles zu rechtfertigen, was man ihr antat. „Gesagt hat sie es nie. Wohl nicht einmal gedacht“, schreibt Michaela Lindinger, und sie fügt hinzu: „In ihren Briefen findet man etliche Stellen, in denen sie sich für rasche Hilfe bei armutsgefährdeten Bevölkerungsgruppen ausspricht“. Das Zitat, das einer „Prinzessin“ in den Mund gelegt worden sei, stammte aus viel früherer Zeit.

Dennoch, dass man damals wie heute keine Chance hatte, wenn man in die mächtige Vernichtungsmaschinerie geriet, das beweist ihr Schicksal. Während man es heute mit materieller Vernichtung, gesellschaftlicher Ächtung und grenzenloser Beschimpfung bewenden lassen würde, schickte man Marie Antoinette in den Tod. Sie war nicht „unschuldig“ in unserem Sinn. Aber aktiv schuldig wie so viele Frauen etwa von Diktatoren, war sie gewiß nicht.  Und dass sie ihr Leben genießen wollte… viel Zeit hatte sie dafür ja nicht. Sie wurde zwei Wochen vor ihrem 38. Geburtstag hingerichtet.

Zu erwähnen ist schließlich auch die Optik, die  Aufmachung dieser Buchserie, die sich so angenehm von den Buchstabenfriedhöfen abhebt, durch die man sich oft durchbeißen muss. Maria Antoinette in Rosa, schon am Umschlag, das passt genau zu ihrer Welt (auch wenn sie am Ende rot von ihrem Blut wurde). Alle paar Seiten gibt es auf rosa Untergrund ganzseitige Bilder, und hier nicht nur das, was man im Zusammenhang mit ihr direkt kennt, sondern auch ein ausführlicher Blick auf ihre Zeit und ihre Zeitgenossen. Und wenn die Bilder auch von „Gestern“ erzählen, so hat das Buch doch einiges dazu beigetragen, einen zeitgenössischen Blick auf eine „Royal“ von damals zu werfen.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken