Michael Sommer
VOLKSTRIBUN
DIE VERFÜHRUNG DER MASSEN UND DER UNTERGANG DER RÖMISCHEN REPUBLIK
336 Seiten, Verlag Klett-Cotta, 2023
Salopp gesprochen, hatten der römische Adel und der Senatorenstand die Sache unter sich ausgemacht. „SPQR“ reihte den Senat eindeutig vor das Volk, das die längste Zeit machtlos war. Tatsächlich bestimmte da eine Minderheit mehr oder minder ungefragt über eine riesige Mehrheit. Und das in einer Republik, an der man eisern festhielt. So scheint es gewissermaßen logisch, dass gewitzte Männer darauf kamen, dass sie eigentlich das Volk vertreten und gewaltige Macht aus der Position eines „Volkstribunen“ ziehen konnten, der keineswegs aus dem Volk kommen musste… Jedenfalls war das Volkstribunat das wichtigste Instrument, das für die Plebejer im Kampf gegen die Patrizier geschaffen worden war. So widmet sich der Autor anfangs allgemeinen Überlegungen über die Führbarkeit und die Verführbarkeit der Massen zum Zweck einzelner…
Aber so allgemein betrachtet der Althistoriker Michael Sommer. Professor für Alte Geschichte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (der erst im Vorjahr ein Buch über „Dark Rome“, über die breit gefächerte kriminelle Welt des Alten Rom, vorgelegt hat), das Thema nicht. Nun wird er noch dunkler und düsterer, wenn er das Kapitel der römischen „Volkstribunen“ an einer ebenso schillernden wie hochgradig kriminellen Figur der Antike darstellt. Dieser Clodius Pulcher ist ein „Antiheld“, wie der Autor fast bedauernd bemerkt, der sein politisches Leben der Zerstörung der Ordnung gewidmet hat – aber in seiner Zeit und Welt gerade deshalb eine wichtige Figur war. Und wenn es auch aus Berechnung geschah – er setzte sich für die Armen der Gesellschaft ein, kämpfte für deren Rechte (wenn man es wohlwollend betrachten will).
Sommer erzählt dessen Leben in fünf großen „Akten“, weil ihn diese Geschichte an ein Drama erinnert und der Protagonist an einen Schauspieler, der viele Rollen spielte. Tatsächlich ist es teils Kriminalroman, teils Abenteuererzählung, teils Familiengeschichte und immer voll von Politik.
Das beginnt mit dem ersten Kapitel, das noch „Der Patrizier“ heißt und diesen Clodius in die Gesellschaft seiner Zeit (im ersten Jahrhundert v. Chr.) einordnet: Clodius gehörte der „gens Claudia“ an, der weit verzweigten Familie der Claudier, einem der ältesten Adelsgeschlechter Roms (später im Julisch-Claudischen Kaiserhaus mächtig vertreten) – er besaß eine Ahnenreihe, die in 400 Jahren mindestens zehn Generationen von Konsuln gestellt hatte, und die Claudier hatten der Stadt auch die Via Appia gegeben (nach dem in der Familie beliebten Vornamen „Appius“ benannt). Allerdings war sein Familienzweig, die „Claudii Pulchri“, zu seiner Zeit bereits nicht sonderlich geachtet: „Sie galten als arrogant und exzentrisch, ja extravagant, und das gewaltige Ahnenkapital der Familie stand in einem deutlich wahrnehmbaren Missverhältnis zu den Leistungen, die ihre Vertreter zumindest auf dem Schlachtfeld im Dienst der res publica erbracht hatten.“
Nun geht es Schritt für Schritt durch die Biographie. „Der Aufrührer“ behandelt seine Jahre bei Feldzügen in Asien, wo er sich bereits als Unruhestifter betätigte (was seinem Schwager Lucullus als Feldherrn im Krieg gegen Mithridates allerlei Schwierigkeiten bereitete).
„Der Transvestit“ zeigt Clodius zurück in Rom, verwickelt in den „Bona Dea“-Skandal, der Rom erschütterte, denn der junge, freche Mann hatte sich in Frauenkleidern in Caesars Haus geschlichen, wo eine gewissermaßen „heilige“ Frauenzeremonie stattfand. Gerüchte verbanden ihn auch mit Caesars damaliger Frau Pompeia, worauf dieser sich scheiden ließ. Dennoch wurde Clodius in den folgenden Ereignissen um die Verschwörung des Catilina gewissermaßen ein „Intimus“ von Caesar – und erntete den lebenslangen Haß von Cicero, der seine ganze Eloquenz auf die Vernichtung dieses Gegners verwandte. Die großen Männer der Zeit waren allerdings Caesar, Pompejus und Crassus, und es war klug von Clodius, sich an Caesars Seite zu finden.
Doch nun beginnt die Zeit von „Der Dompteur“. In einer politischen Welt, wo sich „Optimaten“ (Adel, Senat, Konservative) und „Popularen“ gegenüber standen, versprach der adelige Claudier sich für seine Zukunft mehr auf der Seite des „Volkes“, Er ließ sich also von einem jungen Plebejer adoptieren und änderte seinen Namen auf Clodius (seine berühmt gewordenen Schwestern taten es ihm gleich). Und nun wütete er sich im Namen des Volkes durch Rom, tat alles, um die bestehende Ordnung zu unterminieren, forderte Gesetze für das Volk, das er aufwiegelte, entledigte sich Ciceros (der allerdings später wieder aus dem erzwungenen Exil zurück kehrte).
Der fünfte Akt, „Der Revolutionär“ benannt, fand schließlich ein blutiges Ende. Denn Clodius war nicht der einzige Agitator auf den Straßen Roms. Hier war – Zeichen einer bereits zerfallenden Gesellschaft – auch Titus Annius Milo unterwegs, der ihm als provokanter Störenfried um nichts nachstand und mit marodierenden Söldnerbanden Angst und Schrecken verbreitete. In Milo hatte Clodius seinen letztlich überlegenen Gegner gefunden, denn dieser ließ ihn am 18. Januar 52 v. Chr. kaltblütig von seinen Leuten erschlagen – auf der Via Appia, der von seinen Vorfahren angelegten Straße. .Clodius war zu diesem Zeitpunkt schätzungsweise 40 Jahre alt.
Was Sommer in diesem Buch als politisches Lehrstück aufblättert, ist hier das antike Paradebeispiel dafür, wie man das Volk für seine Zwecke manipuliert, aufstachelt und schließlich zu Gewaltausbrüchen auf die Straße treibt – kurz alles, was spätere Demagogen ähnlich blutig, verheerend und staatliche Ordnungen stürzend unternommen haben. Dabei bedient sich Sommer heutiger Betrachtungsweisen und Formulierungen, Shitstorms, Fake News, Desinformationen als Mittel damals wie heute.
Vor allem aber geht es dem Autor um eine Geschichte über Gewalt. denn zu besonderer Virtuosität brachte es Clodius in der Entfesselung von Gewalt. In einer Zeit, wo amerikanische Bürger, einem Agitator folgend, fast das Kapitol gestürmt hätten, ist dergleichen jeder Aufmerksamkeit wert. Due Antike schickt uns die Lehre herauf, was mutwillige Einzelne anrichten können.
Renate Wagner