Michael Sommer:
SCHWARZE TAGE
ROMS KRIEGE GEGEN KARTHAGO
368 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2021
Die Punischen Kriege waren schon in der Schule ein besonders interessanter Teil der römischen Geschichte, ermöglichten sie doch der Landmacht Rom seine Expansion zur führenden Macht des Mittelmeerraums, den man nach und nach konsequent eroberte – und das, obwohl die Römer alles nur keine Seefahrer waren (und auch nie wurden).
Die seefahrende, Handel treibende und weit eindrucksvollere Macht, die es zu besiegen galt, war Karthago, jene phönizische Stadt im heutigen Tunesien (tragische Reste sind heute noch in der Nähe von Tunis zu besichtigen, das, was übrig blieb, als die Römer ihren Sieg nach hundert Jahren und drei Kriegen durch brutale Zerstörung beendeten).
Von diesen Punischen Kriegen ist im allgemeinen nicht viel mehr im Bewusstsein geblieben als der Name Hannibal, die Tatsache, dass er mit Elefanten die Alpen überquerte, und schließlich das endlose Gegeifere des alten Cato, „Ceterum censeo, Carthaginem esse delendam“ – bis die Römer es halt zerstört haben. Allerdings nicht, weil ihnen der Alte auf die Nerven gegangen wäre, sondern weil sie in diesem Fall von ihrem üblichen Eroberungsprinzip abgingen. Sie waren nämlich, wie Michael Sommer richtig schreibt, im allgemeinen die wahren „Integrationsweltmeister“, die besiegte Gebiete in ihren Macht- und Einflussbereich eingliederten. Bei Karthago war das nicht möglich: Dieser Feind musste dermaßen erledigt werden, dass er nie wieder eine Bedrohung sein konnte.
Michael Sommer ist Professor für Alte Geschichte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit dem Schwerpunkt der Wirtschafts-, Sozial- und Mentalitätsgeschichte der römischen Kaiserzeit. Hier ist er allerdings ein paar Jahrhunderte in das Zeitalter der Römischen Republik zurück gerutscht. Und es geht ihm nicht nur um die Darstellung der drei Punischen Kriege (in denen manches so kompliziert verlief, dass sie gar nicht so leicht zu schildern sind). Zuvor stellt er grundlegende Überlegungen an, darunter jene, wie es möglich war, dass ein Volk wie die Römer, die sich bis dahin über ihren mittelitalienischen Raum noch nicht weit hinaus bewegt hatten, zwischen etruskischem Norden und griechischem Süden um eigene Identität ringend, innerhalb von hundert Jahren zu einer Weltmacht aufstiegen, die nicht nur die Karthager, sondern auch alle anderen Mächte der Region beiseite räumten. Die Theorie des Autors besteht darin, dass nicht zuletzt Machtwille und Ehrgeiz der regierenden römische Elite dahinter stand (der Senat war vielleicht doch ein bisschen mehr als nur die „tüchtige Ratsherrenversammlung“, wie Theodor Mommsen formulierte).
Sommer charakterisiert das Umfeld, Rom, die Phönizier (wobei die Mutterstadt Tyros spätestens seit der Einnahme durch Nebukadnezar die totale Handelsmacht an die Tochterstadt Karthago abgegeben hatte), die so wichtigen Inseln, voran Sizilien (wo dann alles begann), Sardinien und Korsika. Er charakterisiert das Mittelmeer per se (2,5 Millionen Quadratkilometer [!!![, die von den Menschen erst erforscht und begriffen werden mussten) und die Fahrten der Griechen, die sich zuerst zwischen Sizilien und dem Osten überall festgesetzt hatten. Zudem analysiert er, was an Quellen zur Verfügung steht, wer in wessen Interesse schrieb, wie viel glaubhaft ist. Und schließlich fragt er auch, warum Menschen Kriege führten. Im Falle von Rom ist die Antwort einfach – stolze Geschlechter von ehrgeizigen Adelsfamilien (schließlich hatte der römische Ur-Vater Aeneas einst die karthagische Königin Dido verlassen, auch Mythen spielen da mit) wollten immer mehr und mehr.
Man hat sich hoch interessiert durch 90 Seiten gelesen, bis man beim „Casus belli“ ist, der sich in Sizilien abspielte, wo mit den Tyrannen von Syrakus eine eigene Macht erwachsen war. Eine belagerte Stadt rief um Hilfe, die Römer kamen, mussten über die Straße von Messina, stellten sich erstmals dem Meer. Und hier warteten Karthago und Syrakus. Der Autor formuliert sehr griffig: „Beide boxten in einer anderen politischen Gewichtsklasse als die Mächte, mit denen die Römer in Italien bis dahin zu tun gehabt hatten.“ Und doch riskierte die Römische Republik den Krieg, der den Grundstein ihres Weltreichs legte.
Danach folgt der Autor der bekannten Geschichte der drei Punischen Kriege – aber hier nicht nur die Fakten der Eroberungen nachbetend (schließlich gewannen die Römer gleich im ersten Krieg Sizilien, Sardinien und Korsika), sondern auch die Notwendigkeiten, die dahinter standen. Die Römer mussten überhaupt erst eine Flotte aufbauen, während die Phönizier auf das lange Wissen ihrer Seefahrer-Tradition bauen konnten.
Der römische Versuch, den Krieg nach Afrika zu tragen, scheiterte beim ersten Versuch. Dennoch konnte der junge Feldherr Hamilkar für die Karathager nichts retten, und die Römer gingen als Sieger aus dieser Auseinandersetzung (264 – 241 v. Chr.) hervor. (Nur ein kleiner Hinweis: eine Zeittafel mit den wichtigsten Fakten hätte man ganz gerne gehabt…) Der Frieden, der nach 24 Jahren Krieg geschlossen wurde, hatte aber die Vormacht im Mittelmeer noch nicht definitiv entschieden.
Der zweite Punische Krieg ist untrennbar mit dem Namen Hannibal verbunden, währte von 218 – 201 v. Chr. und bescherte den Römern einen Feind, wie sie ihn noch nie erlebt hatten. Der erneute Krieg ging von den Karthager aus, die versuchten, unter der Führung von Hannibals Vater Hamilkar Barkas, ihren Einfluß entscheidend auf die Iberische Halbinsel auszuweiten (wo auch schon phönizische Händler lebten).
Hannibal hatte, als er in Spanien die mit Rom verbündete Stadt Sagunt eroberte, nach der Überzeugung des Autors seinen Überraschungsplan schon fertig: Diesmal wollte er den Krieg zum Feind tragen, auch wenn es bedeutete, 90.000 Mann zu Fuß, 12.000 Mann Kavallerie und 40 Kriegselefanten erst über die Pyrenäen, dann über die Alpen zu schaffen… ein legendäres Unternehmen. Und Michael Sommer, der immer wieder Fragen stellt, die sich aufwerfen (und die von den antiken Berichterstattern nicht beantwortet werden), überlegt (wie viele andere auch), warum Hannibal nach seinem Sieg am Trasimenischen See die Stadt Rom nicht angegriffen hat („Hannibal ante portas!“) – seine Chancen wären gut gewesen, die Weltgeschichte wäre womöglich anders verlaufen… wie der Autor ganz am Ende seines Buches sinniert.
Doch die Größe seines Schicksals liegt auch in seiner Tragik: Hannibal, der das römische Heer noch einmal bei Cannae besiegte, zog dann plündernd durch Italien, wurde nach Karthago zurück beordert und unterlag den Römern und ihrem Feldherrn Scipio schließlich bei Zama – dort, wo einst die Karthager herrschten, errichteten die Römer dann ihre Provinz Africa, Scipio erhielt den Beinamen „Africanus“. Hannibal, in der Folge nur noch auf der Flucht, starb in Kleinasien.
Im dritten Punischen Krieg, dem kürzesten ((149 -146 v.Chr.), zog Rom dann den von Cato so beharrlich geforderten Schlussstrich und zerstörte die Stadt. Sie blieb, wie der Autor ausführt, ein Erinnerungsort, ob in Opern von Purcell oder Berlioz, ob in Romanen („Salamabo“ von Flaubert). Diese wilden, rücksichtslosen Kämpfe, die über ein Jahrhundert lang den ganzen Mittelmeerraum umwälzten, sind – so wenig man Krieg mag, so wenig man etwas gegen ihn tun kann – einfach eine spannende Geschichte. Und werden spannend, mit vielen nachdenklichen Fragen aus der Gegenwart angereichert, erzählt. Und es hätte alles auch ganz anders ausgehen können. Aber in der Geschichte gibt es kein „wenn“…
Renate Wagner