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Michael Sommer: MORDSACHE CAESAR

Von vielen Seiten betrachtet

07.01.2025 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Michael Sommer:
MORDSACHE CAESAR
DIE LETZTEN TAGE DES DIKTATORS
316 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2024

Von vielen Seiten betrachtet

Wenn man meint, manche historische Ereignisse von Bedeutung seien längst auserzählt, irrt man oft. Gewiß, man weiß, dass – es ist einer der frühesten und berühmtesten politischen Morde der Geschichte – Gaius Julius Caesar am 15. März des Jahres 44 vor Christus von einer Gruppe von Verschwörern im Pompeius Theater in Rom ermordet wurde. Man kennt die Namen der Täter, man weiß, dass es 23 Dolchstiche waren, die den mächtigsten Mann seiner Zeit zu Tode brachten, weil die Verschwörer, „Republikaner“, die Umwandlung ihrer Gesellschaft in eine Diktatkur nicht dulden wollten.

Weiß man wirklich alles über diesen Mord? Der Historiker Michael Sommer, Professor für Alte Geschichte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, bezweifelt es. Man kennt den Autor, er hat zwischen Buchdeckeln schon viel aus der Antike, zumal der römischen, erzählt. Nun möchte er zu Caesars Tod Fragen stellen, aber anders, als es bisher geschehen ist. Die Tat ist interessant, aber mehr noch die Motive der Menschen, die sie ausgeführt haben, die Reaktionen der Menschen, die sich damals im Umfeld befanden.

Sommers  Methode besteht darin, die Tat in vielen Einzelkapiteln, die (meist) den beteiligten Menschen gewidmet sind und die natürlich in Hinblick auf Caesar erzählt werden, zu umkreisen. Dabei geht er übrigens über den Buchtitel „Die letzten Tage des Diktators“ weit hinaus. Er blendet sogar zu Beginn in das  Jahr 510 v. Chr. zurück, als ein Lucius Junius Brutus (ja, ein Brutus, wie auch der Caesarmörder) den letzten römischen König Tarquinius Superbus vertrieb und jene Römische Republik etablierte, die seither unerschütterlich ihre Herrschaft ausübte.

Man nannte sich zwar SPQR, der Senat und das Volk von Rom, aber die Senatoren, die den reichen und wichtigen Familien entstammten, sorgten dafür, dass die Macht fest in ihren Händen blieb. Allerdings nicht zu fest – ein kompliziertes System von Ämtern, die man (erst ab einem gewissen Atter) in einer bestimmten Reihenfolge absolvieren musste, bevor man die höchste Stufe des Konsuls erreichen konnte, verhinderte (so lange man sich daran hielt) zügellose Machtübernahme. Ebenso wie die Tatsache, dass man Konsul nur für ein Jahr war und das Amt mit einem Kollegen teilen musste.

So ging temporäre Machtausübung von einer Hand in die andere – und keiner konnte zu groß werden. Ein komfortables und relativ sicheres, vorgezeichnetes System für die Begünstigten – bis Caesar kam (abgesehen von allen, die vor ihm schon kurzfristig die Macht an sich gerissen hatten).

Das zweite Kapitel des Buches gehört dann Caesar – der gegen alle Gesetze der Republik mit seinen Legionen den Rubikon überschritt (eine sprichwörtlich gewordene Tat) und sich tatsächlich nach und nach zum „Diktator auf Lebenszeit“ machte, wenn er auch die Königskrone, die man ihm pro forma anbot, pro forma ablehnte.

Ein absoluter Herrscher, der einen in seinen Augen völlig unfähig gewordenen Senat aushebelte, war er doch. Die herrschende Klasse sah sich ihrer gewohnten Privilegien beraubt, konnte sich die Dinge nicht mehr untereinander ausmachen, sondern war plötzlich von dem „Diktator“ Caesar abhängig, der von seiner Umwelt Leistung verlangte, wenn er und er allein nun Konsuln, Prätoren, Ädilen und alle anderen hohem Beamten auswählte. Man war, wie bei orientalischen Potentaten, von seiner Gunst abhängig.

Sommer schildert sehr klar, wie das den Stolz, die Ehre und auch niedrigere Gefühle der herrschenden Klasse verletzte – man wollte die Republik aus angeblich idealistischen Gründen retten (bei manchem mochte das sogar stimmen), vor allem aber wollte man sich nicht unterjochen lassen. Und so kam es, dass unter der Führung von Cassius als „Mastermind“ der Verschwörung sich am Ende an die 60 Männer zusammen fanden, die Caesars Tod beschlossen…

Sommer führt nun Einzelschicksale aller Art auf – Cato, der Caesar so sehr hasste, dass er sich selbst auf die grausamste Weise tötete, um nicht Caesars „königliche“ Milde erfahren zu müssen, mit welcher dieser seine Feinde zu begnadigen pflegte. Wenn unter den gewählten biographischen Abrissen einzelne Verschwörer ins Zentrum rücken – Marcus Brutus, Cassius, Trebonius, Ligarius, Decimus Brutus -, so wird klar, dass sie alle Caesar viel verdankten und sich dennoch gegen ihn wandten, jeder individuell aus anderen Gründen.

Sommer bringt auch Cicero, den großen Intriganten der Epoche, ins Spiel, der in die Verschwörung nicht einbezogen wurde, Caesars „zweiten Mann“, Marcus Antonius, den man mit List aus dem Pompeius Theater fernhalten musste, weil er sich zweifellos vor Caesar geworfen hätte, um die Dolche der Verschwörer abzuhalten, und Caesars Großneffen, den jungen Octavius, der damals nicht in Rom war, sondern am Balkan wartete, sich dem Parther-Feldzug anzuschließen, den Caesar schon in wenigen Tagen beginnen wollte.

(Interessant, dass Sommer die in der Literatur auch schon aufgeworfene Theorie nicht verfolgt, Caesar hätte – sein Geheimdienst war der beste der Zeit – von der Verschwörung gewusst und sie zugelassen, weil er annahm, von den Anstrengungen des Parther-Feldzugs nicht heimzukehren. Ein schneller Tod, über den die Welt noch Jahrtausende später sprechen würde … eine solche Überlegung war ihm immerhin zuzutrauen.)

Sommer bringt auch Frauengestalten ein, die ägyptische Königin Kleopatra, die Caesar zu sich nach Rom geholt hatte, samt dem gemeinsamen Sohn Kaisarion, Caesar aus dem Gesicht geschnitten und den Römern ein Dorn im Auge, und Caesars Gattin Calpurnia, die ihn nach einem bedrohlichen Alptraum vergeblich daran hindern wollte, die fragliche Senatssitzung zu besuchen, bei der er den Tod fand… (Nebenbei liest man auch von Porcia, der heroischen Tochter von Cato und Gattin des Brutus.)

Seltsam ist, dass Sommer jenes Kapitel, in dem er Caesars Tod dann detailreich schildert, „Pompeius“ nennt, denn dieser war damals längst tot, spielt keine Rolle im Geschehen – es war nur sein Theater, in dem Caesar getötet wurde, seine Statue, an deren Fuß er sterbend zusammen brach (wenn man es denn so genau weiß…?).

Sommer erzählt stets so, dass kein Normalleser sich in wissenschaftlichen Überlegungen verfangen würde, und fügt auch, fast humoristisch, ins Geschehen immer wieder „Aktenvermerke des Historikers“ ein, in denen er manche Überlieferung bezweifelt – etwa, ob Caesar wirklich am Abend vor seinem Tod bei einem Festmahl von Lepidus (im flotten Stil des Autors eine „Dinnerparty“), als die Rede auf den „besten Tod“ kam, „der schnellste“ gesagt habe…

Bei der Schilderung der „letzten Stunden“ fällt der Autor allerdings in den Stil eines historischen Romans, wird etwas zu populär und blumig, wenn er dann wissen will, was Caesar gedacht und gesagt hat. Und wenn es dann heißt „Erschlägt um sich, er schreit, er windet sich“, dann ist der Krimi-Reißer fertig.

Nach Caesars Tod war der Rest nicht Schweigen, sondern ein  Chaos, für das die Verschwörer keinen Plan hatten. Aber das Leben und die Geschichte gehen immer weiter.. Vielleicht erzählt Sommer in einem nächsten Buch, wie der nach seiner Schilderung „skrupellose und kaltschnäuzige“ Octavius aus den Fehlern seines Großonkels gelernt hat und zum großen Augustus geworden ist…

Renate Wagner

 

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