Michael Sommer:
DARK ROME
Das geheime Leben der Römer
288 Seiten, Verlag C.H.Beck 2022
Das „Alte Rom“ hat bestimmt nicht den besten Ruf, dafür haben schon Fernsehserien gesorgt, aber die politischen und logistischen Qualitäten des Volkes, das über Jahrhunderte den gesamten Mittelmeer-Raum beherrschte, überragen alles, was es noch an finsterem Tratsch und Klatsch zu erzählen gibt. Dennoch ist es immer interessant, in die illegalen Tiefen einer Gesellschaft hinabzusteigen. Und genau das unternimmt Michael Sommer, Professor für Alte Geschichte an der Universität Oldenburg, mit einer Fülle von Beispielen zu einer ebensolchen Fülle von Gesichtspunkten.
Wenn er von den schmutzigen Bett- und Mordgesichten der Kaiser, zumal der julisch-claudischen Dynastie, berichtet, befindet er sich allerdings weniger bei dem „geheimen Leben der Römer“, das der Untertitel verheißt, als vielmehr auf vertrautem Gebiet: Das wird jeder Interessent an der Thematik schon in zahlreichen Biographien der Kaiser und ihrer Frauen nachgelesen haben. Aber bei vielen anderen Verbrechen von damals fällt eines auf – wie aktuell sie anmuten.
Ob es um die Kriegsführung geht, um die Rolle, die Spionage darin spielte, ob um „Wunderwaffen“, die es (samt „Giftgas“!) damals schon gab. Ob Giftmorde oder Drogenmissbrauch anstehen (Letzteres könnte man sogar dem edlen Marc Aurel nachsagen, der gegen seine Schmerzen stets einen opiumversetzten Trank eingenommen hat). Ob es um Verschwörungen ging, wobei der Autor der bekanntesten – jene von Catilina, die Ermordung Caesars und die Pisonische Verschwörung gegen Nero – her nimmt. Ob berühmt-berüchtigte antike Fälle von Korruption geschildert werden (über Varus, der später im Teutoburger Wald scheiterte, hieß es, er habe das reiche Syrien als armer Mann betreten und als reicher Mann das arme Syrien verlassen). Ob es um gezielten Rufmord ging, wie es der Kaiserin Theodora geschah … in vielen Fällen entdeckt man ganz klare Parallelen zu heute.
Das macht der Autor auch in seiner Sprache klar, wo er die Fake News auch in die Antike verlegt (besonders beliebt, wenn Autoren daran gingen, Zeitgenossen zu verleumden), oder ob er vermerkt, Ovid sei zwar lebenslang verbannt, aber nicht „gecancelt“ worden, denn Schreibverbot hat Kaiser Augustus ihm nicht auferlegt. (Wieso, nebenbei bemerkt, in dem ausführlichen Register kein römischer Kaiser aufscheint, bedürfte einer Erklärung.)
Vieles, das in der römischen Antike geschah, ist nicht unbedingt heute nachzuvollziehen – etwa die Massenmorde, die römische Patrizierinnen an ihren Gatten begingen. Eine Erklärung gab es dafür nicht, wie der Autor auch einräumt, dass viele Rätsel von damals einfach nicht gelöst werden können. Vielleicht benützt er darum als Epilog auch den Mord an dem Altertumswissenschaftler Johann Joachim Winckelmann am 8. Juni 1768 in Triest – auch ein Verbrechen, dessen wahre Ursache für immer unaufgeklärt bleiben wird.
Manche historische Schilderung wird zur Interpretation des römischen Wesens, einer Nation, die lernfähig war – der Schreck, den Hannibal ihnen versetzte, als er seinen (letztlich dann doch abgeschlagenen) anfänglichen Siegeszug gegen Rom antrat, wurde zur Erkenntnis, dass man zur Kriegsführung ein unfangreiches Informationswesen benötigte, über das der Karthager verfügte, die Römer damals noch nicht. Später wurden sie Meister gerade darin, bildeten Spezialeinheiten für alle kriegerischen Notwendigkeiten (und bauten auch ihre Waffen selbst). Und sie wurden auch perfekt in anderen nützlichen Künsten (die sich durch die Menschheitsgeschichte ziehen), wie etwa die Verschlüsselung von Geheimbotschaften.
Der Autor umfasst „Rom“ weit, von der Frühzeit bis zur Herrschaft des Christentums. Das gibt ein reiches Feld an Geschichten, die – in den Zeitebenen bunt herumgesprungen – teils ausführlich erzählt werden. Da ist alles „drin“, von Schwarzer Magie, die damals ebenso blühte, bis zu den geheimnisvollen Mysterienkulten, aber auch von einem kriminellen Alltag, der es mit jeder Gegenwart aufnehmen kann – den Dieben und Betrügern, Falschmünzern und Brandstiftern, Taschendieben, Einbrechern und Straßenräubern, Hochstaplern und „meineidigen Tempeldienern“ (die man heute wohl als bestechliche Beamte – oder gar Regierungsmitglieder? – übersetzen könnte).
Und gar erst die römischen Hinrichtungsarten, von der noblen Erlaubnis zum Selbstmord bis zum Extrem, wenn man in der Arena hungrigen Raubtieren vorgeworfen wurde. Kurz, „Dark Rome“ kann es in dieser Hinsicht mit allen anderen „dunklen“ Epochen der Geschichte aufnehmen…
Renate Wagner