Michael Schwalb:
HANS PFITZNER
KOMPONIST ZWISCHEN VISION UND ABGRUND
136 Seiten, Verlag Friedrich Pustet, 2016
Alle heiligen Zeiten spielt ein großes Opernhaus „Palestrina“. Selten genug versucht jemand „Die Rose vom Liebesgarten“ (und wenn, wie in Chemnitz, fällt es katastrophal aus). Vom „Christelfein“ kennt man kaum noch den Titel, der heutigen Zeitgenossen wohl peinlich im Ohr klingt. Und wer wüsste gar von „Der arme Heinrich“ und „Das Herz“? Kurz, Hans Pfitzner ist auf den Opernbühnen der Gegenwart ein rarer Gast, auch in den Konzertsälen selten anzutreffen, manchmal wird das eine oder andere seiner Lieder gesungen. Schon seinen Zeitgenossen als Persönlichkeit „zwielichtig“, hat die Nachwelt viele Beweise für Pfitzners gegenüber dem Nationalsozialismus wahrlich unglücklichen Verhaltens, das wohl auch aus einem höchst unglückseligen Naturell erwuchs.
In der Taschenbuch-Reihe „kleine bayerische biografien“ geht Autor Michael Schwalb, früher Orchestermusiker, nun Musikpublizist, das Thema an. Hans Pfitzner (1869–1949), geboren in Moskau als Sohn eines deutschen Musikers, der dort engagiert war, wuchs in Frankfurt auf und verbrachte die wesentlichen Stationen seines Lebens in Berlin und München, hätte sich am Ende noch gerne nach Wien zurückgezogen, was nur für ganz kurze Zeit gegen Kriegsende stattfand. Immerhin verschafften ihm die Wiener Phiharmoniker ein Ehrengrab am Zentralfriedhof, obwohl Pfitzner lieber bei seiner ersten Frau am Ammersee begraben sein wollte.
Er wäre unzufrieden gewesen mit seiner letzten Ruhestätte, wie er im Lauf seines Lebens so gut wie mit allem unzufrieden war, das ihm geschah. Denn Michael Schwalb zeichnet nicht nur das künstlerische Schaffen und den äußeren Lebensweg von Pfitzner nach. Ganz wichtig ist auch das Psychogramm einer Persönlichkeit, die sich von früher Kindheit an immer nicht ausreichend beachtet und gewürdigt fand. Der kleine Mann (mit 1,64 Meter unter dem Durchschnitt) war wohl nicht nur dem aufgeweckten Kind Klaus Mann als „nervöser und giftiger kleiner Herr mit dem dünnen Ziegenbart“ erschienen. Unter heftiger Abwehr der „Moderne“ („Das atonale Chaos ist die künstlerische Parallele zu dem Bolschewismus“) fand er seinen Weg zurück ins 19. Jahrhundert, zu einer von vielen hoch geliebten Spätromantik, und bekam auch dafür ausreichend Anerkennung von einem Teil des Publikums.
Ideologisch fand er sich ganz schnell bei den Antisemiten und Nationalsozialisten und schätzte es, in den zwanziger Jahren in München, „der Hauptstadt der Bewegung“, zu leben. Als Adolf Hitler den verehrten Musiker 1923 im Spital in Schwabing besuchte, wo dieser nach einer Gallenoperation lag, tat der überhebliche Meister deutscher Tonkunst etwas, was niemandem je gut bekommen ist: Er widersprach Hitler (es ging um die Person von Otto Weiniger). Und tatsächlich hat sich Pfitzners Karriere im nationalsozialistischen Deutschland dann gar nicht so großartig entwickelt, wie er es erhofft hatte (obwohl Hitler ihn noch 1944 zusammen mit Richard Strauss und Wilhelm Furtwängler auf eine „Sonderliste“ der „Gottbegnadeten“ unter den Musikern setzte). Dabei hatte Pfitzner in geradezu messianischem Erlösungsglauben alle Hoffnungen auf Hitler konzentriert… Und war später, nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs, zu keiner Einsicht über dessen Verbrechen zu bringen.
Als Pfitzner 1949 in Salzburg starb, konnte die Mitwelt – die manches unter ihm zu leiden hatte – in Anerkennung für sein Werk und in Verwirrung über sein Wesen nur den Kopf schütteln. Bruno Walter, ein ehemaliger Pfitzner-Freund, schrieb von der „seltsamen Mischung von wahrer Größe und Intoleranz“….
Und was fängt die Nachwelt nun mit diesem Hans Pfitzner an? Vielleicht kann sie sich wirklich (wie bei anderen „Zweifelhaften“ auch hier den Charakter ausklammernd), auf das Werk konzentrieren. Zum Talent auch noch die menschliche Anständigkeit zu fordern, ist vielleicht zu viel verlangt?
Renate Wagner