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Michael SCHOENWANDT: Wir Dänen sind die Italiener des Nordens

20.09.2015 | Allgemein, Dirigenten

Interview mit dem Dirigenten Michael Schoenwandt anlässlich der von ihm geleiteten „La Traviata“-Serie an der Wiener Staatsoper.
Das Gespräch mit Michael Schoenwandt führte Anton Cupak am 17.9.2015


Michael Schoenwandt. Copyright: Barbara Zeininger

Michael Schønwandt, Däne hin oder her, der Mann hat tiefes Verständnis für Verdi, für die hoch gespannten, getragenen Passagen, in denen die Musik mit unendlicher Traurigkeit Violettas Schicksal moduliert (die Vorspiele zum ersten und dritten Akt gelangen gleich stark), wie auch in der aufpeitschenden Dramatik. Tempodifferenzen zwischen Bühne und Orchesterraum waren minimal, zupackende Gemeinsamkeit häufig, und es lag sicher auch am Dirigenten, dass das Finale dann so stürmisch beklatscht wurde.

(Dr. Renate Wagner in ihrer Rezension von „La Traviata“ am 17.9.2015)

Warum ein Däne für Verdi? „Weil wir Dänen die Italiener des Nordens sind, weil ich gerade für Giuseppe Verdi ein besonderes Gefühl zu haben glaube“. Das antwortete mir Michael Schoenwandt auf meine leicht provokante Frage.

Meine nächste Frage war nicht weniger provokant: “ Zwei Online Merker-Rezensenten meinten nach dem Besuch der beiden ersten Vorstellungen unabhängig voneinander, dass sie sich nicht an eine derart schnell dirigierte ‚La Traviata‘ erinnern können“.

„Das stimmt so sicher nicht“ meinte Maestro Schoenwandt, „ich habe mich intensiv mit Verdi befasst, Verdi hat bei den Stellen, in denen das Leben flüchtig und relativ sorglos weiterläuft (wie im ersten Akt), schnellere Tempi gesetzt, als man in der heutigen Praxis zu hören bekommt. Dem trage ich Rechnung. Aber in dieser grandiosen Schluss-Szene wähle ich die Tempi wie einer,  der – wie ich – bereits drei Menschen unmittelbar sterben gesehen hat. Das ist ein Hinübergleiten – und das soll der Zuhörer auch so empfinden“.

Aber jetzt weg von  diesem Anlassfall. Wie ist Michael Schoenwandt, geboren 1953,  überhaupt zu seiner Berufung gekommen? Der Vater war mit seiner eigenen Firma in der Pharmazie-Branche tätig. Sohn Michael zog es schon im Alter von sechs Jahren in die Oper. Die Eltern förderten dies mit einem zweckbezogenen Taschengeld. Als er sich für Richard Wagner bereit fühlte, zog es ihn nach Bayreuth, wo es ihm trotz der Karten-Knappheit doch meist gelang, in die  Vorstellungen hineinzukommen. Als Michael Schoenwandt vor die Berufsfrage gestellt wurde, rieten ihm seine Eltern vorerst vom Beruf des Musikers/ Dirigenten ab, akzeptierten und förderten den Wunsch jedoch, als sie merkten, dass der Sohn fest dazu entschlossen war.

1977 debütierte Michael Schoenwandt als Dirigent im Tivoli in Kopenhagen, 1979 an der Königlichen Oper Kopenhagen („Ballo in Maschera“) wurde 1981 Chefdirigent des Collegium Musicum Kopenhagen. 1984 bis 1987 war er bereits Erster Gast-Dirigent in Brüssel, von 1987 bis 1991 stand er dem Orchestre Philharmonique in Nice vor. In dieser Zeit, nämlich 1987 und 1988 dirigierte Michael Schoenwandt als 33jähriger (!) in Bayreuth Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“.

Weitere Chefdirigentenpositionen: 1998 bis 2000 Sinfonieorchester von Danmarks Radio, 1992 bis 1998 Berliner Sinfonieorchester (heute Konzerthausorchester).

Kopenhagen, die Dänische Nationaloper
Die Dänische Nationaloper Kopenhagen. Foto: Ursula Wiegand

Von 2000 bis 2011 war Michael Schoenwandt Leiter  der Königlichen Kapelle und musikalischer Leiter des Königlichen Theaters in Kopenhagen, gemeinsam mit Kasper Holten, der heute in London das Royal Opera House als Direktor führt. Die Achse Holten – Schoenwandt funktioniert immer noch.

Seit 2008 ist Schoenwandt auch Erster Gastdirigent an der Stuttgarter Staatsoper, von 2010 bis 2013 war er Chefdirigent des Netherlands Radio Chamber Philharmonic in Hilversum.

Als Gastdirigent wurde er von den Wiener Philharmonikern, den Berliner Philharmonikern, dem Koninklijk Concertgebouworkest, dem London Symphony Orchestra, dem Orchestre Philharmonique de Nice und dem Orchestre de la Suisse Romande engagiert. Alfred Brendel begleitete er in London bei allen Klavierkonzerten von Beethoven. Schoenwandt hat zahlreiche CDs und DVD eingespielt. Dazu gehören die gesamten Symphonien von Niels W. Gade und Carl Nielsen. Als Däne ist für Schoewandt Carl Nielsen natürlich ein besonderes Anliegen, dessen Oper „Maskerade“ unter Schoenwandts Leitung klettert derzeit die Klassik-Charts empor.

Michael Schoenwandt ist auch der Dirigent des berühmten „Copenhagen-Rings„, der in keiner DVD-Sammlung der Wagner-Freunde fehlen sollte. Natürlich besitze auch ich diesen „Ring“, der auch szenisch hochinteressant ist.

Und da sind wir schon beim Thema „Regisseure“. Michael Schoenwandt geht es unaufgeregt an, bei Neuinszenierungen treffen einander Regisseur und Dirigent etwa zwei Jahre vor den Endproben, wenn notwendig „beschnuppern“ sie sich. „Danach wissen wir, ob wir einen Konsens finden können – und dann dürfte es auch keine Überraschungen mehr geben“.

Bei dieser Biographie mit so gedrängtem Arbeitspensum verwundert es nicht, dass Michael Schoenwandt 13 Jahre lang nicht an der Wiener Staatsoper dirigiert hat (zuletzt anfangs der Neunzigerjahre u.a.  „Le nozze di Figaro“, „Don Giovanni“,  „Elektra“, „Der fliegende Holländer“, „Tosca“, „Fidelio“ ), mit den Symphonikern, dem RSO Wien und dem NÖ-Tonkünstlerorchester  hat er aber besten  Kontakt.  Wien liebt er überhaupt – und ich war völlig überrascht, dass er zum Beispiel auch die Philadelphiabrücke in Meidling (meine Wohn- und Geschäftsgegend) kennt.


Michael Schoenwandt neben der Karl Böhm Büste in der Wiener Staatsoper. Copyright: Barbara Zeininger

Oper steht bei Schoenwandt absolut auf einer Höhe mit Symphoniekonzerten, die der Tummelplatz der ganz großen Pultstars sind. Natürlich könnte er einige Opern demonstrativ ohne Partitur dirigieren, obwohl er kein fotografisches Gedächtnis hat. Er verzichtet jedoch auf sämtliche Showeffekte  (die überlässt er den Kollegen – das sagte nicht Michael Schoenwandt, das sage ich).

„Ich bin glücklich, ob die anderen auch glücklich sind, weiß ich nicht“. Michael Schoenwandt ist mit seinem  Leben zufrieden – und obendrein  glücklich mit einer Pianistin verheiratet.

Ab 2015 ist Michael Schoenwandt Chefdirigent von Oper und Orchester Montpellier. Dort wird er demnächst „Turandot“ leiten. In Paris steht „Wozzeck“ in der Planung des Maestros, wie sich überhaupt mit Paris eine intensive Zusammenarbeit entwickelt.

Mit Wien gibt es noch keine fixen Vereinbarungen, aber gute Gespräche mit Dominique Meyer.

Ich würde mich freuen, den „glücklichen Maestro“, mit dem ich ein ganz lockeres Gespräch führen konnte, bald wieder in Wien zu sehen!

Anton Cupak

 

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